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«Viele potenzielle Investoren haben Hemmungen»

Wie investiert man als Privatperson in ein Start-up? Viele potenzielle Investoren schrecken davor zurück, ihre Bank um Rat zu fragen. Dies sagt Brigitte Baumann, «European Business Angel 2014», im Gespräch mit der «Volkswirtschaft». Gerade bei Frauen ist die Zurückhaltung besonders gross. Zu Unrecht, wie die Chefin der «Business-Angels»-Plattform Go Beyond Early Stage Investing betont.
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«Entscheidend für den Erfolg eines Start-ups ist der menschliche Aspekt», sagt Brigitte Baumann, Mitgründerin der «Business-Angels»-Plattform Go Beyond Early Stage Investing.

Frau Baumann, Sie sind «European Business Angel of the Year 2014». Was ist ein «Business Angel»?


Ein «Business Angel» hat zwei Flügel. Er investiert in ein Jungunternehmen und erhält dafür eine Beteiligung, beispielsweise in Form von Aktien. Und er unterstützt den Aufbau dieses Unternehmens, indem er Kontakte vermittelt oder das Management unterstützt. Mit unserer Erfahrung helfen wir Start-ups, ihr Potenzial auszuschöpfen, zu expandieren und ihre Produkte zu verkaufen. Diese Tätigkeit ist mit hohen Risiken verbunden. Es sollte nicht mehr als 2 bis 5 Prozent des Vermögens so eingesetzt werden.

Wie wird man «Business Angel»?


Am Anfang werden im Sinne eines Lernprozesses am besten kleine Summen investiert. Dafür gibt es Plattformen oder Netzwerke. Beispielsweise können Sie in unserem Netzwerk bereits ab 4000 Franken investieren. Sie werden von erfahrenen Leuten begleitet und erhalten durch Kurse die notwendigen theoretischen Grundlagen.

Als Chefin von Go Beyond Early Stage Investing bieten Sie Leistungen für «Business Angels» an. Beraten Sie auch andere Kategorien von Anlegern?


Es hängt auch davon ab, in welcher Entwicklungsphase sich das Start-up befindet: Die «Business Angels» spielen ganz am Anfang eine Rolle. Danach übernehmen häufig Risikokapitalinvestoren, die sogenannten Venture Capitalists. Zu einem späteren Zeitpunkt folgen dann Eigenkapitalanleger, also die «Private Equity Investors».

Welchen Bedarf der «Business Angels» decken Sie konkret?


Wir haben drei verschiedene Ansätze, je nachdem, ob sie Neulinge sind und ein Portfolio zusammenstellen möchten oder ob sie «Deal Leader» oder «Coach» werden möchten. Zum Beispiel können Neulinge für ein Jahr lang Mitglied einer Gruppe von zehn bis zwanzig Personen werden, die von einem «Coach» geführt wird. Alle legen Geld gemeinsam an. Sie treffen dreissig bis vierzig Unternehmer – drei bis vier pro Monat – und lernen, diese zu bewerten. Bei allen Investments, die im Laufe dieses Jahres getätigt werden, agiert einer der Teilnehmenden als «Deal Leader», der die Gruppe vertritt. Er ist Anlaufstelle für das Unternehmen und verfolgt dessen Tätigkeit.

Ist diese Art von Investment gefragt?


Ja. Immer mehr Leute wollen in Start-ups investieren. Die «Business Angels» sind am besten positioniert, um ihnen dabei zu helfen. Interessierte merken schnell, dass solche Anlagen komplex sind und sie von den Erfahrungen anderer lernen müssen. Mehr als 60 Prozent unserer Mitglieder belegen entsprechende Kurse. Bei den Frauen sind es sogar über 80 Prozent.

Gibt es viele Investorinnen?


Nein. In der Schweiz sind lediglich 3 Prozent der «Business Angels» Frauen, bei unseren Mitgliedern sind es über 40 Prozent. Wir haben ein Umfeld geschaffen, das Investorinnen und Unternehmensgründerinnen anspricht.

Sie sind auch Verantwortliche für Diversität bei der Kommission für Technologie und Innovation des Bundes. Inwiefern ist dieser Aspekt wichtig?


Für die Innovation und das Unternehmertum ist es wichtig, dass ein bestimmter Sachverhalt aus mehreren Blickwinkeln betrachtet wird. Das ist ein Vorteil für das Unternehmen, selbst wenn es nicht immer einfach ist. Es ist erwiesen, dass die Leute in einem diversifizierten Umfeld bessere finanzielle Entscheide fällen und sich wohler fühlen. Unser Netzwerk zählt Vertreter beider Geschlechter und aller Altersgruppen – zwischen 30 und 80 Jahren – mit sehr vielfältigen Lebensläufen. Diversität ist im Umgang mit starken Unternehmerpersönlichkeiten nützlich.

Gehen Sie auf die Start-ups zu – oder kommen diese zu Ihnen?


Beides. Unsere Mitglieder von Go Beyond können auf unserer Plattform und an monatlichen Treffen Jungunternehmen kennenlernen. Das sind nicht die einzigen Begegnungen. Es gibt «Demo-Days», das heisst Tage, an denen die Anleger Unternehmer treffen, die an einem Akzelerator-Programm oder einem Businessplan-Wettbewerb teilgenommen haben. Die Kommission für Technologie und Innovation spielt auch in diesem Bereich eine Rolle. Wir vermitteln auch Partnerschaften mit Hochschulen oder Anwaltskanzleien. Bekannt ist unsere Gruppe auch wegen ihrer Kurse für Unternehmer. Interessierte informieren sich so über unsere Finanzierungsmöglichkeiten.

Was ist Ihres Erachtens entscheidend für den Erfolg von Start-ups?


Der wichtigste Aspekt ist der menschliche: das Individuum und das Team. Die Unternehmensgründer müssen ihre Visionen, ihre Ausdauer und ihre Leidenschaft unter Beweis stellen und zeigen, dass sie mit bescheidenen Mitteln Ideen verwirklichen können. Das Produkt kommt danach: Ist die Technologie innovativ? Gibt es einen Markt dafür? Die Finanzierung folgt an dritter Stelle: Wie viel ist das Unternehmen wert? Braucht es einen oder mehrere Anleger? Und welche Art von Beteiligung?

Und auf der Seite der Investoren?


Diese müssen ein Portfolio aufbauen und verwalten, das sowohl die Risiken als auch die Erfolgschancen berücksichtigt. Deshalb sollten sie in mindestens zehn bis zwölf Unternehmen investieren. Es ist wichtig, den Kontakt mit den Unternehmen zu pflegen und in die, welche sich positiv entwickeln, weiter zu investieren.

Mit welchen Renditen ist zu rechnen?


Die Anlagerendite der Portfolios unserer Mitglieder beträgt durchschnittlich 15 Prozent pro Jahr. Branchenstatistiken zeigen, dass von zehn Unternehmen vier «sterben» und die Investoren alles verlieren. Vier weitere werfen nur geringe Renditen ab. Wirklich rentabel sind nur zwei Investments. Deshalb müssen Anleger ein Portfolio zusammenstellen und die Unternehmen begleiten – und es braucht eine Portion Glück. Wer hätte voraussehen können, dass Uber innert fünf Jahren 68 Milliarden Dollar wert ist?

Aktuell sind die Zinssätze niedrig. Wirkt dies als Motor für Investments?


Das ist ein Faktor, viele potenzielle Investoren haben aber noch etwas Hemmungen, ihrem Bankberater zu sagen: «Ich möchte Unternehmer treffen, meine eigenen Anlageentscheide fällen. Bringen Sie mir bei, wie ich das mache, obwohl ich die Unternehmen nicht kenne.»

Viele Start-ups oder Kleinunternehmen gehen in der Wachstumsphase ins Ausland, beispielsweise in die USA. Können Sie dies bestätigen?


Dazu habe ich keine Zahlen. Für mich hängt alles vom Start-up ab. Wenn es neue Technologien entwickelt, bietet die Schweiz ein ideales Umfeld. Es sind hier sehr viele Nationen vertreten, etwa an der ETH. Firmen können hier durchaus wachsen – vor allem durch das Internet – und sich auch aufkaufen lassen.

Ist die Schweiz zu klein für neue Grossunternehmen?


Sicher muss ein Unternehmen in der Schweiz aufgrund der geringen Grösse des Landes schnell an Export denken. Das ist ein Vorteil, da schweizerische Start-ups sofort Technologien und Produkte entwickeln, die weltweit verwendbar sind. Das Land ist ideal für innovative Unternehmen. Manchmal werden sie durch einen internationalen Konzern aufgekauft, was ihnen die erforderliche Reichweite verschafft. In diesem Fall müssen sie ihren Standort nicht wechseln, denn diese Konzerne kennen die Schweiz sehr gut. Sie wissen, dass sie hier hervorragend qualifizierte Teams und neue Technologien finden.

Wäre es möglich gewesen, dass Uber oder Facebook in der Schweiz entstanden wären?


Das Umfeld in den USA ist nicht dasselbe. Dort ist es möglich, Unternehmen zu gründen, die innert kürzester Zeit ein oder zwei Milliarden wert sind. Das zieht gewisse Unternehmer an.

Ist der Unternehmensgeist in der Schweiz derselbe wie in den USA oder anderswo?


Unsere Wirtschaftslandschaft besteht hauptsächlich aus KMU. Der Unternehmergeist ist solide und einer nachhaltigen Entwicklung förderlich. In den USA gibt es viel mehr Auf und Abs. Ich kenne jemanden, der mehrmals ein Vermögen verdient und Konkurs gemacht hat: Das bedeutet für ihn Unternehmertum. Ein anderer musste sein 20-Millionen-Dollar-Haus verlassen und in eine winzige Wohnung ziehen – er hatte gerade noch genug zum Essen. In der Schweiz wird das Geschäft in kleinen Schritten vorangetrieben. Wir müssen das Positive unserer Kultur bewahren.

Finden Sie, dass es in der Schweiz zu wenig Risikokapital gibt?


Ja. In der Schweiz könnten mehr als 300’000 Personen zwischen 10’000 und 200’000 Franken investieren, um Jungunternehmen zu fördern. Aktuell tun dies vielleicht 3000 bis 4000 Personen. In anderen Ländern sind das deutlich mehr. Die Fintech ist das erste Opfer dieses Finanzierungsdefizits. Es ist traurig, dass Fintech-Firmen teilweise ins Ausland abwandern müssen, um für einen Wachstumsschritt die Finanzierungstranche von 2 Millionen zu finden. In dieser Branche spielen einige mit dem Gedanken, nach Grossbritannien zu gehen.

Ein Teil der politischen Welt möchte die Pensionskassen in die Finanzierung von Jungunternehmen einbinden.


Für Start-ups sind die ersten 500’000 Franken meistens kein Problem. Schwieriger ist dann der nächste Finanzierungsschritt von 2 bis 5 Millionen Franken. Für Risikokapitalinvestoren sind diese Beträge zu gering. Aber es ist auch sehr schwierig, diese Beträge bei «Business Angels» in der Schweiz aufzutreiben. Ich habe diese Erfahrung selber gemacht: Obwohl sich mein Fintech-Unternehmen gut entwickelt hat und Gewinn erwirtschaftet, ist es nicht einfach, 2 Millionen Franken aufzutreiben. Bei Pensionskassen ist darauf zu achten, dass sie nicht zu schnell zu viel Geld auf den Markt werfen. Das muss langsam geschehen.

Angedacht ist, dass Pensionskassen einen Fonds gezielt für Start-up-Finanzierungen äufnen. Die Einlagen sind jedoch in erster Linie für Rentenzahlungen bestimmt.


Ich bin einverstanden, für Start-ups mehr Finanzierungsmöglichkeiten zu schaffen. Wir sollten aber nichts erzwingen. Die Pensionskassen sind dazu da, die Renten zu sichern. Sie müssen frei entscheiden können.

Was halten Sie von staatlichen Fördermassnahmen?


Staatliche Ko-Investitionsfonds funktionieren in vielen Ländern gut, zum Beispiel in Deutschland und Grossbritannien. In der Schweiz gibt es nichts dergleichen. Eine häufige Form sind Matching-Fonds. Sie verfolgen «Business Angels» und deren Tätigkeiten. Eine Möglichkeit für Pensionskassen könnte auch darin bestehen, in traditionelle Risikokapitalfonds für Start-ups zu investieren.

Der Staat bietet auch Unterstützung.


Ja, für die Forschung und Entwicklung. In diesem Bereich sieht es gut aus, und es fehlt nicht an Unterstützung. Die Kommission für Technologie und Innovation engagiert sich stark in der Ausbildung und der Begleitung von Start-ups und der Entwicklung des unternehmerischen Umfelds.

Wie könnte der Staat Jungunternehmer ermutigen?


Grundsätzlich soll es einfach sein, ein Unternehmen zu gründen, Produkte zu exportieren, Leute einzustellen und zu entlassen: Hier ist die Schweiz gut positioniert. Ausserdem müssen wir internationales Know-how anziehen. Das Steuersystem ist so auszugestalten, dass es Unternehmer nicht abschreckt. Zu überprüfen ist in diesem Zusammenhang die Vermögenssteuer. Zudem müssen Investoren – vor allem, wenn sie grosse Risiken in der Startphase eingehen – angemessene Unterstützung und Schulungen in Anspruch nehmen können. Dies motiviert die Leute, zu investieren. Zuletzt ist es wichtig, die Profis zu unterstützen – Banken, Unternehmen oder Anwaltskanzleien. Diese können die Start-ups enorm viel weiterbringen.

Begünstigen unser Steuersystem und unsere Gesetzgebung wirklich Investitionen in der Schweiz?


In gewissen Ländern wie Grossbritannien werden Investitionen steuerlich stark begünstigt: Es sind mehr Abzüge möglich als in der Schweiz. Dieser Faktor ist wichtig, damit die Zahl der «Business Angels» – und damit verbunden die Unternehmensfinanzierungen – weiter steigt. Eine solche Gesetzgebung erleichtert auch die Schaffung von Netzwerken und Plattformen für Investments. In der Schweiz sollte beispielsweise die Gesetzgebung zur Beteiligungsfinanzierung revidiert werden. Wie in anderen Ländern müssen Kleinanleger angesprochen werden, die zusammenarbeiten und von erfahrenen Investoren lernen wollen. In der Fintech-Branche müsste beispielsweise die Regulierung angepasst werden. Ansonsten wandern diese Firmen aus der Schweiz ab, wenn sie international expandieren wollen. Unser Land muss ein globales Finanzzentrum bleiben.

Zum Schluss: Könnten Sie uns einen besonders glücklichen Fall Ihrer Tätigkeit als «Business Angel» schildern? Ein Start-up, das Sie speziell geprägt hat?


Am meisten schätze ich es, wenn ich zusammen mit anderen «Business Angels» in ein Start-up investieren kann, das eine überzeugende Innovation hervorgebracht und ein begeistertes Team hat. Wir helfen diesem Jungunternehmen dabei, sich weiterzuentwickeln, und im richtigen Moment verkaufen wir unsere Aktien mit einem schönen Mehrwert. So können wir weiter in andere Start-ups investieren. In der Schweiz sind Lemoptix und Sensima gute Erfolgsbeispiele.

Zitiervorschlag: Blank, Susanne (2016). «Viele potenzielle Investoren haben Hemmungen». Die Volkswirtschaft, 21. Dezember.

Brigitte Baumann

Brigitte Baumann ist Mitgründerin und CEO der «Business Angels»-Plattform Go Beyond Early Stage Investing mit Sitz in Zürich. Gleichzeitig ist sie Mitglied der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) und Verantwortliche für Diversity-Management. Als «Business Angel» ist die gebürtige Französin in mehreren Investmentkomitees aktiv und amtiert als Ehrenpräsidentin des europäischen «Business Angel»-Verbands. Baumann investiert bereits seit 2003 in Jungunternehmen. Für ihr Engagement wurde sie letztes Jahr mit dem Award «European Business Angel of the Year 2014» ausgezeichnet. Im November 2016 zählte sie zu den 50 einflussreichsten Europäerinnen im Bereich Jungunternehmen und Risikokapital. Sie ist ausgebildete Chemieingenieurin und verfügt über einen MBA in Finanzen.