Die Grundversicherer haben ihre Hausaufgaben gemacht: Santésuisse-Präsident Heinz Brand (l.) im Gespräch mit BAG-Direktor Pascal Strupler während eines Kongresses der Branche in Bern. (Bild: Keystone)
Die Schweiz hat ein relativ effizientes Gesundheitssystem mit einem hohen Leistungsniveau. Entsprechend nimmt die Schweiz im internationalen Vergleich der Gesundheitssysteme in der Regel einen der oberen Plätze ein.
Einer der Vorteile des Gesundheitswesens ist die unternehmerische Prägung der Krankenversicherer – was ein wesentlicher Unterschied zu anderen Krankenversicherungssystemen im internationalen Vergleich ist. Denn die Krankenversicherer sind aufgrund der unternehmerischen Prägung eine der (wenigen) Parteien im Gesundheitssystem, welche ein Interesse an tiefen administrativen Kosten und damit an der Effizienz des gesamten Systems haben. Die Sorge um die Effizienz spiegelt sich in vielen Aussagen und Medienmitteilungen der Krankenversicherer wider. Dies sicherlich ein Stück weit aus Eigeninteresse, aber zugleich auch aus Interesse an der nachhaltigen Entwicklung des Sektors insgesamt. Beides ist aus volkswirtschaftlicher Sicht zu begrüssen.
Eine neue Studie der Universität St. Gallen hat die Kosteneffizienz der Grundversicherer seit der Einführung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) im Jahr 1996 analysiert. Effizienz wird hier relativ verstanden – als Verhältnis der Inputfaktoren Arbeit und Kapital zum Prämienvolumen und den geleisteten Schadenzahlungen (siehe Kasten).
Nach einem anfänglich stagnierenden Verlauf – die Kosteneffizienz betrug 1997 im Durchschnitt lediglich 31 Prozent – zeigen sich seit dem Beginn der Nullerjahre enorme Effizienzgewinne (siehe Abbildung 1), sodass die Versicherer inzwischen als relativ kosteneffizient bezeichnet werden können. Dies war nicht immer der Fall: Die vergleichsweise geringe Effizienz des Sektors zu Beginn des Betrachtungszeitraums spiegelt dabei auch eine gewisse Heterogenität gerade vieler kleiner Versicherer in den Neunzigerjahren, wo grosse Unterschiede in der Produktivität zu beobachten waren. Demgegenüber präsentiert sich die Produktivität der Krankenversicherer heute deutlich homogener, was mit der Automatisierung und der Digitalisierung vieler Prozesse, aber auch mit dem Wettbewerb und einer zunehmenden Konsolidierung erklärt werden kann.
Abb. 1: Kosteneffizienz der Krankenversicherer (Marktdurchschnitt, 1996 bis 2014)
Eling (2017) / Die Volkswirtschaft
Allerdings gibt es weiterhin ein Steigerungspotenzial, denn im Durchschnitt betrug die Kosteneffizienz erst 74 Prozent. In Zukunft sind folglich weitere Produktivitäts- und Effizienzsteigerungen im Krankenversicherungssektor zu erwarten. So werden wenig effiziente Krankenversicherer zunehmend aus dem Markt ausscheiden. Während derzeit noch knapp 60 Versicherer im Wettbewerb stehen (siehe Abbildung 2), ist selbst bei einer linearen Fortschreibung der Entwicklung in wenigen Jahren mit weniger als 50 Marktteilnehmern zu rechnen.
Abb. 2: Anzahl Grundversicherer (1996 bis 2014)
BAG (2015) / Die Volkswirtschaft
Langzeitpflege als demografische Bombe
Aus meiner Sicht stellt die demografische Entwicklung die grösste strategische Herausforderung für eine effiziente Weiterentwicklung des Gesundheitswesens und der Krankenversicherungsbranche dar. Sie besteht darin, dass die Menschen, welche in den kommenden Jahren das Rentenalter erreichen, in etwa 10 bis 15 Jahren das Pflegealter erreichen. Zudem sind im Gesundheitswesen Lösungsansätze zum effizienten Management der Langzeitpflege und von altersbedingten Krankheiten (wie etwa Alzheimer) nur rudimentär vorhanden: Im Gegensatz zur Altersvorsorge, wo angesichts des demografischen Wandels Reformhebel wie Rentenalter und Umwandlungssatz vollständig bekannt sind, sind im Gesundheitsbereich die entsprechenden Lösungsansätze noch zu entwickeln.
Dies belastet in den kommenden Jahren das System. Insofern kann die These aufgestellt werden, dass die eigentliche demografische Bombe nicht die AHV ist, sondern die Themen Langzeitpflege und altersbedingte Krankheiten. Diese werden in den nächsten 10 bis 15 Jahren zu Mehrkosten in Milliardenumfang führen. Es ist dabei noch weitgehend unbestimmt und teilweise unbekannt, wie diese Kosten in der Gesellschaft adäquat aufgefangen werden können.
Aus dem Blickwinkel der Krankenversicherer ist diese Entwicklung eine Herausforderung. Denn im bestehenden Sozialsystem mit Grundversicherung und Ergänzungsleistungen wird es nicht möglich sein, die höheren Pflegekosten ohne eine deutliche Beitrags- und Steuererhöhung zu stemmen. Aus unternehmerischer Sicht ist die Entwicklung damit gleichzeitig eine Chance, da die Pflegekosten im Rahmen von privaten Zusatzversicherungen abgedeckt werden könnten. Analog zu Nachbarländern wie Deutschland dürfte sich die Alterspflege zu einem grossen Markt für Zusatzversicherungen entwickeln. Auch ist zu erwarten, dass sich der Anteil der über Sozialversicherungselemente finanzierten Kosten tendenziell reduzieren und der Anteil privat zu tragender oder über privatwirtschaftliche Versicherungslösungen finanzierter Kosten tendenziell erhöhen wird.
Unter Effizienzgesichtspunkten ist schwer zu sagen, wie der optimale Mix aus Sozialversicherung und privat zu tragenden Elementen aussehen sollte. Auch im internationalen Vergleich von Krankenversicherungssystemen ist kein Rollenmodell erkennbar, welches eine eindeutige Indikation gibt, wohin die Gesundheitssysteme konvergieren sollten.
Ungleichheit als volkswirtschaftliches Risiko
Während aus marktwirtschaftlicher Sicht eine verstärkt private oder über privatwirtschaftliche Versicherungen finanzierte Lösung wünschenswert erscheint, dürfen auch die Risiken einer derartigen Entwicklung nicht übersehen werden: Denn aus volkswirtschaftlicher Sicht kann es durchaus problematisch sein, wenn gut situierte Menschen etwa das Pflegerisiko durch Zusatzversicherungen an einen Versicherer transferieren, während weniger gut situierte dies nicht können und damit schlussendlich Ergänzungsleistungen beziehen müssen.
So kann der demografische Wandel, der für viele Menschen ein längeres Leben bei guter Gesundheit ermöglicht, prekäre Konsequenzen haben und vielleicht sogar zu mehr Ungleichheit führen. Politik wie Wirtschaft sollten folglich schon heute Konzepte erarbeiten, wie dieser Problematik begegnet werden kann. Eine Variante, die beispielsweise diskutiert wird, ist der verstärkte Aufbau von Geldern in der zweiten Säule der Altersvorsorge zur expliziten Pflegeabsicherung, also die Einführung einer obligatorischen Pflegeversicherung als Teil des bestehenden Vorsorgesystems. Auch weitere innovative Modelle der Pflegeorganisation wie etwa Zeitkonten sollten intensiver gefördert und diskutiert werden. In der Stadt St. Gallen werden beispielsweise jüngere Pensionierte, welche ältere Rentner bei Alltagsaufgaben unterstützen, für ihren Einsatz mit einer Zeitgutschrift entschädigt. Darauf können sie dereinst selbst zurückgreifen – und dadurch Pflegekosten sparen.
Wie die Studie zeigt, ist das Schweizer Gesundheitssystem seit der Jahrtausendwende wesentlich effizienter geworden. Einzig das relativ hohe Kostenniveau bleibt Gegenstand anhaltender, kontroverser Diskussion – denn die relativ hohe Qualität wird mit relativ hohen Kosten erkauft. Daher konzentriert sich die politische Diskussion häufig auf die Frage, wie die Gesundheitsvorsorge kosteneffizienter gestaltet werden kann. Sprich: Wie erhält man ähnlich gute Leistungen zu möglichst geringeren Kosten? Im Hinblick auf die kommenden Jahre erscheint dieser Ansatz aber wohl kaum realistisch, denn es ist eher mit einem weiteren Kostenwachstum zu rechnen. Allerdings bestehen weiterhin Potenziale für Effizienzsteigerungen.
Zitiervorschlag: Eling, Martin (2017). Versicherer haben Kosteneffizienz stark gesteigert. Die Volkswirtschaft, 23. Februar.
Die Kosteneffizienz setzt als relatives Produktivitätsmass das Output-Input-Verhältnis eines Versicherers in Relation zu den Marktteilnehmern mit dem besten Output-Input-Verhältnis. Wenn also beispielsweise der beste Versicherer mit 100 Mitarbeitenden ein Prämienvolumen von 100 Millionen abwickeln kann, ein zweiter Versicherer für das gleiche Prämienvolumen aber 200 Mitarbeiter benötigt, erhält der erste Versicherer einen Effizienzwert von 1 und der zweite einen Effizienzwert von 0,5.