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Ein gesunder Finanzplatz dient Innovation und Wirtschaftswachstum

Damit der Strukturwandel zu Wachstum führt, muss das Kapital von maroden Branchen zu innovativen und produktiven Unternehmen fliessen können. Gesunde Banken und ein liquider Kapitalmarkt sind dafür unerlässlich.
Innovative Start-ups sind in der Anfangsphase auf Eigenkapital angewiesen. (Bild: Alamy)

Wer mehr verdienen und Karriere machen will, muss nach besseren Jobs Ausschau halten und darf nicht dort verharren, wo die Perspektiven schlecht sind. Dasselbe gilt auch für das Kapital: in niedergehenden Branchen und schrumpfenden Unternehmen kann keine gute Rendite erzielt werden. Auf der Suche nach hohem Ertrag muss es dorthin wandern, wo Innovation stattfindet und die Wirtschaft expandiert. Mehr als die Hälfte des Produktivitätswachstums einer Volkswirtschaft kommt dadurch zustande, dass innovativere und produktivere Firmen rascher wachsen, Marktanteile besetzen und weniger produktive Unternehmen verdrängen. Dabei treiben vor allem Produkt- und Prozessinnovationen das Wachstum an.

Innovation ist ein Prozess schöpferischer Zerstörung und untrennbar mit Strukturwandel verbunden. Innerhalb grosser Konzerne werden Arbeit und Kapital im Zuge der Erneuerung des Produktzyklus neu eingesetzt. Gesamtwirtschaftlich spielt sich der Strukturwandel auch durch Schrumpfung oder gar Marktaustritt von unprofitablen Firmen ab. Dadurch werden Kapital und Arbeit freigesetzt, die wieder von jungen, innovativen Firmen nachgefragt werden.

Doch nicht allen Staaten gelingt es gleich gut, Finanzierung und Beschäftigung zu den rentablen Branchen zu lenken. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Verfassung des Finanzplatzes: Seine Aufgabe ist es, die Finanzierung zu stoppen, wenn die Rendite unterdurchschnittlich und die Rückzahlung zweifelhaft wird. Er muss die Finanzmittel dorthin lenken, wo ein höherer Ertrag möglich ist. Wie Kapitalreallokation zum Wachstum beiträgt, war Thema einer Arbeitstagung im Oktober 2015 an der Universität St. Gallen.[1]

Gesunde Banken sind zentral


Die Banken stehen im Zentrum dieses Prozesses. Mit der Steuerung der Kreditvergabe tragen sie auch zur Bewältigung des Strukturwandels bei. Die Kreditwürdigkeitsprüfung, die laufende Kreditüberwachung, die Nichtverlängerung von bestehenden Kreditlinien bis hin zur Auslösung einer Insolvenz, wenn bei Problemkrediten eine volle Rückzahlung unwahrscheinlich wird – sie alle sind Teile eines Prozesses, der die produktivitätssteigernde Kapitalreallokation unterstützt.

Damit Banken auch in Krisensituationen eine stabile Quelle der Kreditversorgung bleiben, müssen sie über genügend Eigenkapital und Liquidität verfügen. Ein starker Eigenkapitalpuffer kräftigt einerseits die Widerstandsfähigkeit und erlaubt den Banken so, profitable Unternehmen mit vorübergehenden Liquiditätsschwierigkeiten weiter zu finanzieren. Andererseits versetzt er sie auch in die Lage, die Finanzierung von unprofitablen Unternehmen zu stoppen, Kredite teilweise abzuschreiben und Verluste zu absorbieren, ohne das regulatorische Mindestkapital zu unterschreiten. Auch wenn ein Teil der Kredite verloren ist, wird bei einer Insolvenz Kapital freigesetzt, das in die Finanzierung von anderen profitablen Unternehmen fliessen kann. Wenn die Banken jedoch ihre Kapitalpolster aufgebraucht und keinen Spielraum mehr haben, neigen sie dazu, bestehende Kreditlinien auch an Firmen mit zweifelhafter Bonität zu verlängern, um Verluste zu vermeiden. Also werden auch keine Mittel frei, um neue Kredite zu vergeben.

Nicht aufgearbeitete faule Kredite sind letztlich der Inbegriff eines mangelnden Strukturwandels. Laut Mario Draghi, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank, vergeben schwer angeschlagene Banken kaum neue Kredite und verzögern damit die wirtschaftliche Erholung: «[…] je länger diese Situation anhält, desto länger wirken sich die Kreditkonditionen auf die von Schumpeter beschriebene schöpferische Zerstörung aus. Das Kommen und Gehen der Unternehmen am Markt ‒ eine bedeutende Triebkraft des Produktivitätswachstums ‒ würde unterbrochen werden.»[2]

Das Beispiel Japan


Wie ein verhinderter Strukturwandel das Wachstum bremst, zeigte das Platzen der Vermögenspreisblase im Jahr 1990 in Japan: Wissenschaftler von amerikanischen Universitäten haben die dortige Wachstumsschwäche mit mangelnder Kapitalreallokation aufgrund von Problemen in der Kreditvergabe erklärt.[3] In wenigen Jahren fielen die Aktien- und Immobilienpreise um mehr als 50 Prozent. Als viele schwach kapitalisierte Banken mit notleidenden Firmenkrediten konfrontiert waren, hätte eine marktwirtschaftliche Strukturbereinigung einsetzen müssen. Die Banken hätten entweder unproduktive Firmen in die Insolvenz schicken oder bei überschuldeten, aber wettbewerbsfähigen Firmen einer Restrukturierung mit Schuldenschnitt zustimmen sollen, um ihnen neue Wachstumsperspektiven zu ermöglichen. Beides wäre mit hohen Kreditabschreibungen und Verlusten verbunden gewesen, hätte aber letztlich die Wachstumsflaute überwunden.

Doch angesichts schwacher Kapitalausstattung wollten viele Banken weitere Verluste vermeiden, um nicht unter die regulatorischen Kapitalanforderungen zu fallen. Daher haben sie Kreditlinien an strukturschwache Firmen weitergeführt, anstatt neue Kredite an wettbewerbsfähige Firmen zu vergeben. So wurden viele unproduktive Firmen künstlich am Leben erhalten, die Marktanteile besetzen, das Wachstum der wettbewerbsfähigen Unternehmen bremsen und den Markteintritt neuer Anbieter behindern. Gemäss den Berechnungen der Forscher ist dadurch über zehn Jahre ein kumulativer Investitionsverlust von 17 Prozent des Kapitals entstanden. Die Beschäftigung der wettbewerbsfähigen Unternehmen wäre um 9,5 Prozentpunkte höher ausgefallen, wenn der Anteil der unproduktiven Firmen nicht gestiegen wäre.

Innovatoren brauchen Eigenkapital


Keine Investition ist riskanter als diejenige in Innovation. Deshalb brauchen innovative Unternehmen mehr Risikokapital als andere. Während Kreditgeber und Anleihenkäufer mit fixen Zinszahlungen rechnen können, müssen die Eigenkapitalgeber weit mehr Risiko tragen, denn Dividenden können nur vom übrig bleibenden Gewinn ausgeschüttet werden. In einer Rezession gibt es deshalb wenig zu verdienen, oder es müssen temporär sogar Verluste weggesteckt werden. Doch was für die Fremdkapitalgeber sicher ist, bringt das Unternehmen eventuell in Bedrängnis: Je mehr Fremdkapital ein Unternehmen aufnimmt, desto grösser werden die festen Zinsverpflichtungen. Deshalb ist die Schuldentragfähigkeit begrenzt. Die Fähigkeit, mehr Fremdkapital aufzunehmen, hängt von einer ausreichenden Ausstattung mit Eigenkapital ab.

Je innovativer und internationalisierter ein Land ist, desto höheren Risiken sind die Unternehmen ausgesetzt. Besonders hoch ist das Risiko für innovative Start-ups. Aber auch für innovative Exportunternehmen und multinationale Konzerne: Denn sie sind nicht nur der heimischen, sondern der weltweiten Konkurrenz ausgesetzt und brauchen deshalb mehr risikotragendes Eigenkapital. Aber Eigenkapitalfinanzierung ist keine Aufgabe der Banken. Eigenkapital wird einerseits selber, über einbehaltene Gewinne, langsam angespart. Bei Gründungen und starker Expansion mit besonders hohem Kapitalbedarf muss es andererseits auf dem Markt beschafft werden, d. h. bei Anlegern, an der Börse, von Beteiligungsgesellschaften, Finanzdienstleistern oder Wagnisfinanciers. Aus diesem Grund nimmt die Bedeutung der Kapitalmärkte für die Finanzierung der Wirtschaft zu, je näher ein Land an die Technologiegrenze vorstösst. Denn ein Innovationsführer muss radikalere und riskantere Innovationen hervorbringen als ein technologisch aufholendes Land, das andere Innovationen übernehmen und imitieren kann.[4]

Risikokapital für Start-ups


Während Banken langfristige Geschäftsverbindungen pflegen, sind auf dem Kapitalmarkt die Bindungen zwischen Investoren und Unternehmen schwächer. Daher fallen die Anlageentscheidungen radikaler und härter aus. Dazu kommen Informationsnachteile und die Risikoscheu der passiven Investoren: Sie können bei auftauchenden Schwierigkeiten eine Kapitalflucht begünstigen, die Aktien- und Anleihekurse der betroffenen Firmen stark fallen lassen und damit den Zugang zum Kapitalmarkt prohibitiv verteuern.

Die Marktdisziplin auf Kapitalmärkten ist härter. Dafür gibt es aktive Investoren wie sogenannte Wagniskapital- und Private-Equity-Gesellschaften oder «Business Angels». Sie sind auf die Finanzierung von innovativen, aber hoch riskanten Wachstumsunternehmen spezialisiert, die sich mit Bankkrediten nicht finanzieren könnten. Oft betreuen diese Gesellschaften nur wenige Portfoliounternehmen, diese dafür umso intensiver. Um ihr Investitionsrisiko zu begrenzen, treffen sie Investitionsentscheidungen mit wesentlich mehr unternehmerischem Know-how, bieten strategische Beratung an und üben intensivere Kontrolle aus. Solche Wagnisfinanciers geben keinen Kredit, sondern investieren risikotragendes Beteiligungskapital und trimmen diese Unternehmen auf Wachstumskurs. Firmen mit Wagniskapital schaffen daher mehr Beschäftigung, haben ein rasanteres Umsatzwachstum und erzielen wesentlich höhere Wertsteigerungen als andere, vergleichbare Firmen.

Investoren von Wagniskapital sind auf die Phase nach der Gründung spezialisiert, wo die unternehmerische Erfahrung am geringsten ist, der Markttest noch bevorsteht und deshalb auch die Überlebenswahrscheinlichkeit am geringsten ist. Meist ist die Finanzierung auf bis zu zehn Jahre begrenzt. Je länger die Firmen sich auf dem Markt bewähren, desto mehr können sie andere, weniger teure Finanzierungen wie Bankkredite erschliessen. Wenn für die Firmen die Vorteile des Wagniskapitals schwinden, rückt der Ausstieg näher, und es wird Kapital frei, das dringend für die Finanzierung von neuen Start-ups benötigt wird.

Liquide Märkte erleichtern den Handel


Den grössten Teil ihres Ertrags erzielen die Wagnisfinanciers allerdings erst beim Verkauf ihrer Beteiligung an der Börse, auf dem Kapitalmarkt oder an andere Unternehmen. Dieser besteht vorwiegend in der Wertsteigerung der Beteiligung, sofern nicht schon vorher ein Totalverlust zu verbuchen war.

Ein liquider Kapitalmarkt und der Börsengang von innovativen Jungunternehmen erleichtern den profitablen Ausstieg für Investoren und sind deshalb so wichtig für die Risikofinanzierung. Denn die Financiers sind umso eher bereit, mit neuem Kapital einzusteigen, je leichter sie nachher ihre Beteiligung wiederverkaufen und den Ertrag realisieren können. Wie bei den Anlegern gilt auch hier: Man kauft nur, wenn man sicher ist, bei Bedarf wieder einen geeigneten Käufer für seine Anteile zu finden. So lenken auch die Akteure des Kapitalmarkts mit ihren Investitionsentscheidungen das Kapital von unrentablen zu innovativen und wachsenden Unternehmen um und steigern damit das Produktivitätswachstum. Ein diversifizierter Finanzplatz mit leistungsfähigen Banken und einem liquiden Kapitalmarkt ist unerlässlich, damit die Ersparnisse und vorhandenen Vermögen mehr Einkommen und Wachstum hervorbringen.

  1. Die erste FGN-Tagung über «Finance, Capital Reallocation and Growth» wurde von Christian Keuschnigg, Universität St. Gallen, und Holger Müller, New York University, zusammen mit CEPR organisiert. Ein Video und weitere Informationen sind auf Wpz-fgn.com erhältlich. Die drei Keynote Lectures sind im Sonderband der Schweizerischen Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik, 2016, Vol. 152 (4) publiziert. []
  2. Nach dem Redemanuskript von Mario Draghi, «Bankenrestrukturierung und wirtschaftliche Erholung», anlässlich der Verleihung des Schumpeter-Preises der Österreichischen Nationalbank am 13. März 2014 in Wien. []
  3. Vgl. Caballero, Ricardo J., Takeo Hoshi und Anil K. Kashyap (2008), Zombie Lending and Depressed Restructuring in Japan, American Economic Review 98, 1943–1977. []
  4. Vgl. dazu Philippe Aghion (2016), Competitiveness and Growth Policy Design, in: Christian Keuschnigg (Hrsg.), Moving to the Innovation Frontier, CEPR und Universität St. Gallen, VoxEU Ebook, 5–29. []

Zitiervorschlag: Christian Keuschnigg (2017). Ein gesunder Finanzplatz dient Innovation und Wirtschaftswachstum. Die Volkswirtschaft, 23. März.