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Vorsicht vor Negativreaktionen der Sparer

Zwei neue Umfragen legen nahe, dass bei der Einführung von Negativzinsen viele Befragte ihr Geld bei Banken abheben würden. Die Konsumanreize sind den Studien zufolge verhalten. Nur gerade jeder zwölfte Schweizer möchte als Reaktion mehr Geld ausgeben.
Gemäss einer weltweiten Umfrage ist die Wirkung von Negativzinsen auf den Konsum bescheiden. (Bild: Shutterstock)

Zur Belebung der Konjunktur haben die Zentralbanken der wichtigsten Industrieländer in den letzten Jahren immer aggressivere geldpolitische Instrumente eingesetzt. Manche sind sogar so weit gegangen, ihren offiziellen Zinssatz unter null zu senken. Das Ziel der Zentralbanken ist es dabei, weitere Anreize für Konsum und Investitionen zu bieten.

Beim Blick auf Kunden und Verbraucher wirft die Einführung der Negativzinspolitik allerdings grundlegende Fragen auf, die bisher noch nicht untersucht wurden: Sind die Banken überhaupt bereit, die Kosten an die Kontoinhaber weiterzugeben? Und wenn ja, wie würden diese darauf reagieren?

Während in den USA die Federal Reserve Bank die Zinsen bereits wieder leicht erhöht hat, gibt es in Europa kaum Anzeichen für eine solche Trendwende. Die noch immer fragile Wirtschaftserholung in Europa bleibt anfällig für Rückschläge – nicht zuletzt auch wegen der zahlreichen anstehenden Wahlen in diesem Jahr. Das Thema der Negativzinsen und ihrer Auswirkungen auf Privatanleger wird dabei gerne von populistischen Parteien aufgegriffen, um eine antieuropäische Stimmung anzuheizen.

Die Schweiz blieb von diesem internationalen Trend der Negativzinsen nicht verschont. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat sich bereits im Dezember 2014 für eine Negativzinspolitik entschieden, um den Aufwertungsdruck auf den Franken zu mindern. So führte die SNB per Januar 2015 einen Zinssatz von −0,25 Prozent auf Girokontoguthaben ein, um damit den 3-Monats-Franken-Libor weiter in den Negativbereich zu drücken. Nur einen Monat später beschloss die SNB sogar die Aufhebung des Mindestkurses gegenüber dem Euro. Das führte schliesslich zu einer markanten Aufwertung des Frankens – auch wenn der Zinssatz auf Giroguthaben zusätzlich auf −0,75 Prozent gesenkt wurde.

Negativzinsen befeuern Rückgang der Spareinlagen bei Banken


Diese Geldpolitik der negativen Zinsen kann allerdings nur funktionieren, wenn Geschäftsbanken diese Zinsen auch an ihre Kunden weitergeben. Denn ansonsten entsteht für die Sparer auch kein Anreiz, mehr Geld auszugeben. Offensichtlich befürchten die Banken aber, dass Zinssätze unter null zu einem Kundenrückgang und zu beträchtlichen Geldabflüssen führen würden. Da die Zinssätze für Kredite jedoch meist vertraglich an die Geldmarktsätze gebunden sind, leiden in erster Linie die Rentabilität, die Kapitalschöpfung und die Kreditbereitschaft der Bank darunter, wenn sie ihre Kundschaft vor Negativzinsen verschont. Durch eine geringere Kreditbereitschaft wird die stimulierende Wirkung, welche die Zentralbanken mit ihrer Zinssenkung anstreben, zusätzlich abgeschwächt. Doch zumindest in der Schweiz haben die Privatkunden auf die Negativzinspolitik der SNB reagiert. Wie die Daten zeigen, hat die Einführung der Negativzinspolitik zu einem Rückgang der Spareinlagen auf Bankkonten geführt (siehe Abbildung 1). Dabei stellt sich nun aber die zentrale Frage, ob die Kunden nun tatsächlich mehr konsumieren oder ob sie einfach nur Bargeld horten.

Abb. 1: Entwicklung der Negativzinsen und der Sparguthaben bei Banken in der Schweiz (2009–2016)




ING Economic and Financial Analysis, Thomson Reuters / Die Volkswirtschaft

Die meisten Kunden würden ihr Geld abheben


Um den Effekt der Negativzinsen auf die Kunden zu untersuchen, beauftragte das niederländische Finanzinstitut ING Ende 2015 das Marktforschungsunternehmen Ipsos damit, rund 13’000 Personen in Europa, den USA und Australien zu befragen. Die Befragten gaben an, wie sie auf die tiefen Zinssätze reagiert haben und wie sie reagieren würden, falls die Zinsen unter null fallen sollten.[1]

Bei solchen  Befragungen ist allerdings Vorsicht geboten. Denn nicht immer tun die Befragten auch tatsächlich das, was sie antworten. Trotzdem sind die Ergebnisse erstaunlich. Drei Viertel der Befragten geben an, dass sie ihr Geld im Falle von Negativzinsen von ihrem Sparkonto abheben würden. Davon würden nur 12 Prozent mehr Geld ausgeben. Die meisten gaben an, dass sie wohl entweder in riskantere Anlagen investieren oder ihr Erspartes «an einem sicheren Ort» in bar aufbewahren würden (siehe Abbildung 2).

Tatsächlich lässt sich diese negative Reaktion auf allfällige Negativzinsen sehr zutreffend mit dem verhaltensökonomischen Konzept des «loss regret» erklären. Dieses besagt, dass eine Zinssenkung von 0 auf −0,5 Prozent stärkere Gefühle auslöst als eine Senkung von 1 auf 0,5 Prozent. Erstere wird eindeutig als Verlust wahrgenommen, während man Letztere lediglich mit einem geringeren Gewinn gleichsetzt.

Abb. 2: Was die Befragten mit dem abgehobenen Geld machen würden




Anmerkung: Die Abbildung zeigt die Untergruppe der Befragten, die zumindest einen Teil ihres Geldes von ihrem Sparkonto abheben würden (78% aller Befragten). Da Mehrfachantworten möglich waren, kann das jeweilige Landestotal 100 Prozent übersteigen.

ING International Survey / Die Volkswirtschaft

Hinzu kommen auch politische und kulturelle Faktoren. Viele empfinden Negativzinsen als eine unfaire «Besteuerung» von Kleinanlegern. Das gilt insbesondere für Kulturen, in denen Sparsamkeit als Tugend gilt. Im Durchschnitt würde allerdings nur eine Minderheit von 11 Prozent der Befragten mehr sparen (siehe Abbildung 3).

Abb. 3: Wie die Sparer weltweit auf Negativzinsen reagieren würden




Anmerkung: Gewichtet nach Land, Alter, Geschlecht und Region. Alle Antworten sind auf dem 95-Prozent-Niveau signifikant. Da Mehrfachantworten möglich waren, kann das jeweilige Landestotal 100 Prozent übersteigen.

ING international Survey / Die Volkswirtschaft

Ein Viertel der Schweizer würde Bargeld horten


Privatanleger in der Schweiz wurden bei der Umfrage von ING nicht berücksichtigt. Dennoch kommt man auch für die Schweiz praktisch zu den gleichen Ergebnissen, wie eine ähnliche Befragung im Auftrag des Finanzberatungsinstituts Moneypark zeigt.[2] (siehe Abbildung 4). Die Befragten sollten angeben, wie sie auf die Einführung von Negativzinsen durch ihre Bank reagieren würden. Nur 10 Prozent aller Personen antworteten, dass sie nicht wüssten, was sie tun würden. 53 Prozent hingegen gaben an, dass sie ihr Erspartes in andere Finanzinstrumente investieren würden. Ein Viertel aller Personen würde das Geld zu Hause aufbewahren. Und nur 8 Prozent der Befragten antworteten, dass sie mehr ausgeben würden.

Abb. 4: So würden Schweizer auf Negativzinsen reagieren (Umfrage September 2016)




Anmerkung: Die Umfrage wurde vom Marktforschungsinstitut GfK in der Schweiz auf Deutsch und Französisch durchgeführt. Insgesamt wurden 1013 Personen befragt.

Moneypark / Die Volkswirtschaft

Kaum Effekt auf den Konsum


Diese Umfrageergebnisse dürften sowohl für die Banken als auch für die Zentralbanken ernüchternd sein. Die Banken könnten daraus schliessen, dass ihre Befürchtungen bezüglich der Weitergabe von Negativzinsen an ihre Kundschaft wohl berechtigt sind. Vielleicht fielen die Antworten aber auch deshalb so deutlich aus, da die Bankkunden sehr besorgt waren, dass sie für das Aufbewahren ihres Ersparten auf einem Bankkonto belastet werden könnten.

Somit stehen die Banken vor einer schwierigen Wahl: Entweder sie senken die Zinsen für Privatkunden nicht unter null, oder sie tun es doch und riskieren damit beachtliche Abflüsse von Kundengeldern. Unabhängig davon legen die Ergebnisse nahe, dass Negativzinsen die Konsumausgaben weniger stark ankurbeln als Zinssenkungen über der Nullgrenze. Politische Entscheidungsträger und Banken in ganz Europa werden deshalb darauf hoffen müssen, dass die momentan noch fragile Wirtschaftserholung keine grösseren Rückschläge erleidet.

  1. Siehe ING (2016). []
  2. Die vollständige Studie ist auf Moneypark.ch verfügbar. []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Mark Cliffe, Carlo Cocuzzo, (2017). Vorsicht vor Negativreaktionen der Sparer. Die Volkswirtschaft, 27. April.