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Fördern Telearbeit und Homeoffice die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, oder führen sie letztlich einfach zu mehr Arbeit? Ein Bericht von Eurofound und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ist dieser Frage nachgegangen und hat Empfehlungen an die Politik formuliert.
Telearbeit verwischt die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit. (Bild: Keystone)

Büroarbeit sowie «Wissensarbeit» im weitesten Sinne werden heute durch das Internet unterstützt und können praktisch zu jeder beliebigen Zeit und an jedem beliebigen Ort ausgeführt werden. Mit dieser neuen, räumlichen Unabhängigkeit sind zwar Chancen, aber auch zusätzliche Herausforderungen entstanden.

Ein Bericht[1] der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound) und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) hat die Auswirkungen dieser sogenannten Telearbeit auf die Arbeitswelt untersucht. Darin werden Forschungsarbeiten aus zehn Mitgliedsstaaten der EU[2] sowie aus  Argentinien, Brasilien, Indien, Japan und den USA präsentiert.

Der Bericht untersucht reguläre und gelegentliche Teleheimarbeiter sowie Telearbeiter, die mehrheitlich an unterschiedlichen Orten, aber auch zu Hause arbeiten. Zudem geht er der Frage nach, inwieweit Telearbeit in den einzelnen Ländern verbreitet ist und welche Auswirkungen sie auf die Arbeitszeit, die Leistungsfähigkeit, die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Arbeitnehmer hat. Hierfür wurden Informationen aus den länderspezifischen Untersuchungen herangezogen, die durch Daten aus der sechsten Europäischen Erhebung über die Arbeitsbedingungen (EWCS) ergänzt wurden. Für den Bericht wurden auch politische Initiativen der Regierungen, Sozialpartner und Unternehmen im Hinblick auf Telearbeit untersucht. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse können dazu beitragen, dass wirksame politische Massnahmen für die Bereiche Digitalisierung, faire Arbeitsbedingungen und menschenwürdige Arbeit entwickelt werden.

Heimarbeit oder Mehrarbeit?


Wie verbreitet Telearbeit ist, hängt zum einen vom Stand der technologischen Entwicklung in den einzelnen Ländern und zum anderen von den bestehenden Wirtschaftsstrukturen und der jeweiligen Arbeitskultur ab. Je nach Land, Berufsgruppe und Wirtschaftszweig schwankt der Anteil Telearbeitender zwischen 2 und 40 Prozent der Beschäftigten. In der EU wird Telearbeit durchschnittlich von rund 17 Prozent der Beschäftigten genutzt. In den meisten Ländern arbeitet der Grossteil aber nicht regelmässig, sondern nur gelegentlich auf diese Weise.

Besonders verbreitet ist Telearbeit in hoch qualifizierten Berufen und bei Managern, sie nimmt aber auch bei den Bürofachkräften und den Verkäufern einen erheblichen Stellenwert ein. Gelegentliche Telearbeit kommt bei den Männern öfter vor als bei den Frauen. Regelmässige Telearbeit ist bei den Frauen verbreiteter.

Viele Beschäftigte erhoffen sich durch Telearbeit bessere Arbeitsbedingungen. Oft genannt werden kürzere Wege zur Arbeit, grössere Autonomie bezüglich der Arbeitszeit und dadurch mehr Flexibilität bei der Einteilung der Arbeitszeit. Hinzu kommen eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie eine höhere Produktivität. Davon profitieren auch die Unternehmen: Sie versprechen sich motiviertere Mitarbeiter, weniger Personalwechsel und höhere Effizienz. Zudem verringert sich der Flächenbedarf an Büroräumen, und die Nebenkosten sinken.

Doch neben allen Vorteilen bringt die Telearbeit auch Nachteile: Eine Tendenz zu längeren Arbeitszeiten und intensiverer Arbeit sowie schwindende Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit sind die Folgen. Zwar berichten Teleheimarbeiter häufiger über eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, doch «hochmobile» Beschäftigte, wie etwa Techniker und Versicherungsberater, sind einem höheren Risiko für Gesundheit und Wohlbefinden ausgesetzt.

Die Erkenntnisse über die Auswirkungen von Telearbeit fallen somit ausgesprochen zwiespältig aus. Sie hängen mit den Wechselwirkungen zwischen der Nutzung der Informationstechnologie, einem Arbeitsplatz in einer spezifischen Arbeitsumgebung, den verschwimmenden Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit und den Merkmalen unterschiedlicher Tätigkeiten zusammen. Wichtig ist: Wenn die Telearbeit Ersatz für Arbeit im Büro ist, wird sie öfter als positiv bewertet – wenn sie zusätzlich zur Arbeit im Büro geleistet wird, beurteilen sie die Befragten öfter negativ.

Die Europäische Rahmenvereinbarung über Telearbeit, die seit 2002 besteht, geht auf diese potenziellen Zugewinne und Risiken durch Telearbeit in den EU-Mitgliedsstaaten ein. Die meisten europäischen Länder haben diese Vereinbarung im Rahmen nationaler Sozialpartnerschaftsabkommen umgesetzt. Ausserhalb der EU existiert kein solcher vergleichbarer Rahmen, obwohl einige Länder die Telearbeit aktiv fördern (siehe Kasten).

Empfehlungen an die Politik


Wie der Bericht zeigt, bietet die Nutzung der Informatiktechnologie ausserhalb der Geschäftsräume des Arbeitgebers sowohl den Beschäftigten als auch den Unternehmen Vorteile. Die politischen Entscheidungsträger sollten deshalb anstreben, die positiven Effekte zu stärken und die negativen Folgen zu reduzieren. Hierzu kann man beispielsweise die Telearbeit bei Teilzeitbeschäftigten fördern. Andererseits sollte man die informelle und zusätzliche Telearbeit und die hochmobile Telearbeit mit langen Arbeitszeiten beschränken.

Besonders wichtig ist es, das Thema der zusätzlich geleisteten Telearbeit aufzugreifen, die als Erbringung unbezahlter Überstunden angesehen werden könnte. Dabei muss man sicherstellen, dass die Mindestruhezeiten eingehalten werden. Doch bei der Anwendung der Präventionsgrundsätze des Arbeitsschutzes und der Rechtsvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz in der Telearbeit besteht die Schwierigkeit, die Aufsichtsfunktion an Arbeitsplätzen ausserhalb der Räumlichkeiten der Arbeitgeber wahrzunehmen. Ein Projekt der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz soll die Politik deshalb dabei unterstützen, diese Herausforderungen zu bewältigen.

Um das Potenzial der Telearbeit ausschöpfen zu können und die Arbeitsbedingungen der betroffenen Arbeitnehmer zu verbessern, müssen Schulungs- und Sensibilisierungsmassnahmen für Beschäftigte und Führungskräfte angeboten werden. Telearbeit kann auch als Teil von Strategien verstanden werden, die darauf zielen, die Erwerbsbeteiligung bestimmter Gruppen zu erhöhen. Dazu gehören ältere Arbeitskräfte, junge Frauen mit Kindern und Menschen mit Behinderungen. Initiativen von staatlicher Seite und Gesamtarbeitsverträge sind insofern wichtig, als sie einen übergreifenden, strategischen Rahmen für Telearbeit definieren. Ein solcher Rahmen muss genügend Spielraum für die Entwicklung spezifischer Regelungen bieten, die den Erfordernissen und Präferenzen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gleichermassen entgegenkommen.

Die Erkenntnisse hinsichtlich der Unterschiede bei den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten, die unterschiedliche Arten der Telearbeit ausüben – beispielsweise Teleheimarbeit oder hochmobile Arbeit –, müssen thematisiert werden. Durch geeignete politische Massnahmen sollte den in der Untersuchung aufgezeigten Ursachen für die negativen Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen entgegengewirkt werden.

  1. Der Bericht «Working anytime, anywhere: the effects on the world of work» ist abrufbar unter Eurofound.europa.eu/publications. []
  2. Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, Niederlande, Schweden, Spanien, Ungarn und Vereinigtes Königreich. []

Zitiervorschlag: Oscar Vargas Llave, Greet Vermeylen, (2017). Allzeit bereit. Die Volkswirtschaft, 22. Mai.

So wird Telearbeit in anderen Ländern gefördert

Seit 2002 fordern die USA zum Beispiel, dass jeder Regierungsangestellte so weit wie möglich von zu Hause aus arbeitet. In Japan hat das Kabinett 2013 eine Erklärung ausgestellt, laut der die Vermittlung von Telearbeit die Provinzialgebiete neu beleben und dem schrumpfenden Arbeitskräfteangebot entgegenwirken kann.

Erst in jüngster Zeit befassen sich auch andere Regierungen, Sozialpartner und Unternehmen mit den informellen zusätzlichen Arbeitszeiten und führen Massnahmen ein, um diese zu begrenzen. In Frankreich gibt es seit 2016 gesetzliche Bestimmungen, die auf Unternehmensebene umgesetzt werden sollen.a In Deutschland hat das Beschäftigungsministerium 2013 eine Politik der «minimalen Eingriffe der Arbeitszeiten in die Freizeit» eingeführt und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin eingeladen, die Durchführbarkeit der Gestaltung und Umsetzung dieser Regelungen zu prüfen.

aFranzösischer Arbeitskodex (2016).