Die Versicherten sind immer mehr auf sich alleine gestellt. Die traditionelle Solidarität zwischen Pensionskasse, Arbeitgeber und Arbeitnehmer nimmt ab. (Bild: Shutterstock)
Die Pensionskassen wollen ihre Umwandlungssätze reduzieren. Der Umwandlungssatz bestimmt die Höhe der jährlichen Altersrente auf Basis des Vorsorgeguthabens. Einige Kassen senken diese Sätze von rund 6 auf unter 5 Prozent (siehe Tabelle). Dadurch kann die Höhe der Altersrenten bei gut ausgebauten Vorsorgeeinrichtungen um über 30 Prozent abnehmen.
Zwar schaffen einzelne Pensionskassen im Gegenzug auch Kompensationsmassnahmen wie höhere Sparbeiträge, Einlagen oder Umwandlungsverlustbeiträge des Arbeitgebers, um die Leistungseinbussen zu verringern. Oft gehen diese Massnahmen jedoch zu einem grossen Teil zulasten der versicherten Personen. Die Vorsorgeeinrichtungen treten so tendenziell immer mehr Verantwortung an die Arbeitnehmenden ab und übertragen ihnen damit auch die entsprechenden Risiken.
Die Pensionskassen senken ihre Umwandlungssätze
Pensionskasse | Zukünftiger Umwandlungssatz |
ABB | 5,25 % |
Bernische Lehrerversicherungskasse (BLVK) | 5,20 % |
BVK Kanton Zürich | 4,87 % |
Coop | 5,50 % |
Credit Suisse Group | 4,865 % |
Manor | 4,76 %a |
Publica | 5,09 % |
SBB | 5,16 % |
Sulzer | 4,80 % |
Swisscom | 5,34 % |
a Im neuen Pensionierungsalter von 65 Jahren: 5,0%
Quelle: ZHAW
Diese Entwicklung hat mit dem Wechsel vieler Pensionskassen vom Leistungs- zum Beitragsprimat begonnen. Beim Leistungsprimat tragen hauptsächlich der Arbeitgeber und die Vorsorgeeinrichtung das finanzielle Risiko. Anders beim Beitragsprimat: Das Risiko liegt dort vor allem beim Arbeitnehmenden.
Reduktion der Leistungen
Viele der freiwilligen Kompensationsmassnahmen im Rahmen der Senkung des Umwandlungssatzes sind jedoch einseitige Zusatzbelastungen für die Versicherten. Das in der beruflichen Vorsorge geltende Prinzip, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber mindestens je die Hälfte der Finanzierung übernehmen, wird teilweise aufgehoben. So sehen die Reglementsanpassungen in den Vorsorgeausweisen der versicherten Personen zwar wachsende Einkaufsmöglichkeiten vor, doch die Finanzierung des Einkaufs von höheren Leistungen wird oft ganz auf die Versicherten übertragen.
Die Risiken und die damit verbundene finanzielle Verantwortung gehen sowohl auf der Beitrags- wie auch auf der Leistungsseite zunehmend von der Pensionskasse auf die versicherten Personen über. So haben erste Vorsorgeeinrichtungen die Altersrente bereits in eine fixe und eine variable Komponente aufgeteilt. Bei diesem Modell ist ein Teil der Altersrente vom jährlichen Anlageerfolg der Vorsorgeeinrichtung auf den Finanzmärkten abhängig. Dadurch ist die finanzielle Unsicherheit in der beruflichen Vorsorge für die versicherten Personen nicht nur auf die aktive Berufszeit beschränkt, sondern schlägt sich auch in der Einkommenssituation als Rentner nieder.
Aufgrund neuer gesetzlicher Bestimmungen rechnet man in der 2. Säule damit, dass sich sogenannte 1e-Pläne, die nach dem entsprechenden Gesetzesartikel[1] benannt sind, zunehmend verbreiten (siehe Kasten). Diese Pläne übertragen nicht nur das Anlagerisiko, sondern auch das Risiko der Langlebigkeit vollständig auf die versicherte Person. Das würde bedeuten, dass es den Versicherten im Alter nicht mehr möglich ist, für Lohnanteile ab dem anderthalbfachen des oberen BVG-Grenzbetrags (CHF 126’900) eine Rente zu beziehen, sondern nur noch das Kapital. Der Zwang zum Kapitalbezug könnte im Prinzip bereits bei der Schwelle zum Überobligatorium – ab einem Einkommen von 84’600 Franken – einsetzen.
Systemstabilität gefährdet
Die wachsende Individualisierung und die abnehmende Solidarität stellen die berufliche Vorsorge auf die Probe. Es droht, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die zweite Säule abnimmt. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass bei sinkenden Umwandlungssätzen vermehrt das Kapital an Stelle der Rente bezogen wird.[2]
Das wirkt sich auch auf die Führung der Pensionskassen aus. Denn, wenn für überobligatorische Teile des Altersguthabens nur noch Kapital und keine Renten mehr ausbezahlt werden, hat dies zur Folge, dass die Vorsorgeeinrichtungen im Falle einer schwierigen finanziellen Situation deutlich weniger flexibel Massnahmen ergreifen können. Weil ein grösserer Teil des Vorsorgevermögens für die Kapitalauszahlung reserviert ist, steht weniger Vorsorgevermögen zu Anlagezwecken zur Verfügung. Zudem muss dieser kleinere Teil aufgrund der abnehmenden Risikofähigkeit auch konservativer angelegt werden. In vielen Fällen ist er aber zu klein, um erfolgreich Sanierungsmassnahmen in die Wege leiten zu können.
Zudem hat das Parlament bei der Reform der Altersvorsorge 2020 entschieden, dass die vorgesehenen Leistungsreduktionen in der beruflichen Vorsorge durch eine Erhöhung der AHV-Altersrenten teilkompensiert werden. Es ist zu befürchten, dass die Politik – entgegen den Forderungen aus Wissenschaft und Praxis – nicht weniger, sondern mehr Einfluss auf die Ausgestaltung der Altersvorsorge nehmen wird.
Zitiervorschlag: Greber, Daniel; Moor, Markus (2017). Das Risiko tragen die Versicherten. Die Volkswirtschaft, 22. Juni.
- Im Beitragsprimat sind die Altersleistungen von der Höhe der einbezahlten Beiträge abhängig, die sich aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen zusammensetzen. Bestandteil des Altersguthabens sind neben den Beiträgen auch die Zinsen. Gemäss dem Bundesamt für Statistik (BFS) gehören über 90 Prozent der aktiv Versicherten einer Kasse mit Beitragsprimat an.
- Im Leistungsprimat werden die Altersrenten in Prozent des versicherten Lohns berechnet. Die Pensionskasse trägt die Verantwortung dafür, dass sie die für die Leistungsversprechen erforderlichen Einnahmen erzielt. Das Leistungsprimat hat gemäss Statistik stark an Bedeutung verloren. Nur noch rund 3 Prozent der 1782 Schweizer Pensionskassen sind im Leistungsprimat.
- Mit den 1e-Plänen können Pensionskassen für Lohnanteile über dem anderthalbfachen oberen BVG-Grenzbetrag individuelle Anlagestrategien für die Versicherten anbieten. 2017 lag diese Schwelle bei 126’900 Franken. Die Arbeitnehmenden entscheiden aufgrund ihres Risikoprofils und ihrer Renditeerwartungen selbst über ihre Anlagestrategie. Sie tragen in der Folge die Verantwortung über die Wertentwicklung und müssen bei einem Austritt aus der Pensionskasse Verluste selbst tragen.