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Droht der Schweiz bei Bitcoins ein Napster-Moment?

Kryptowährungen wie Bitcoin haben das Potenzial, die Finanzbranche weltweit durcheinanderzuwirbeln. Schweizer Fintech-Unternehmen könnten dabei eine Schlüsselrolle spielen. Schlimmstenfalls droht dem hiesigen Finanzplatz das Abrutschen in die Bedeutungslosigkeit.
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Kryptowährungen basieren auf der Blockchain-Technologie. (Bild: Keystone)

Weltweit feiert die Bitcoin-Community den 22. Mai jeweils mit Pizza. Der Anlass: Am 22. Mai 2010 zahlte Laszlo Hanyecz, ein Bitcoin-Programmierer aus Florida, einem Buddy aus einem Internetforum erstmals die Summe von 10’000 Bitcoins für zwei Pizzen von Papa John’s. Damals, die Technologie war gerade ein wenig mehr als ein Jahr alt, entsprach diese Summe ungefähr einem Wert von 25 Dollar. Heute hätten die beiden Teigfladen einen Wert von über 25 Millionen Dollar (siehe Abbildung).

Kursverlauf Bitcoin (in Dollar)




Quelle: Ariva.de / Die Volkswirtschaft

Am Anfang tat die Finanzwelt alles, um sich nicht mit Internetwährungen abgeben zu müssen. Sinnbildlich für diese Haltung sagte Alan Greenspan, der frühere Chef der US-Notenbank, in einem Bloomberg-Fernsehinterview im Jahr 2013: «Es braucht schon eine schier unermessliche Vorstellungskraft, um den intrinsischen Wert von Bitcoin zu erfassen. Mir gelingt das nicht.»

Dann versuchten die Kritiker die Technologie als unsicher und unausgereift darzustellen. Klar ist: Wie bei allen neuen technologischen Entwicklungen gab und gibt es auch bei Kryptowährungen Verbesserungspotenzial oder Probleme zu lösen. Vordringlich zu nennen ist etwa der Umgang mit den Schlüsseln, die den Besitz von Bitcoins dokumentieren und auch zum Besitzübertrag notwendig sind.

Selbst als Ignoranz keine Option mehr war, tat sich die Wirtschaft noch lange schwer, das disruptive Potenzial von Bitcoins und anderen Kryptowährungen angemessen zu würdigen. Viele hochrangige Bankmanager führten einen regelrechten Kreuzzug und brachten Bitcoins pauschal mit Kriminalität und Terrorfinanzierung in Verbindung.

Heute sehen sich viele Exponenten der Finanzwelt gezwungen, ihre negative Meinung zu Kryptowährungen zu überdenken. Bereits im September 2014 veröffentlichte die Bank of England einen Bericht, der die Blockchain-Technologie – auf welcher Kryptowährungen basieren (siehe Kasten) – als «signifikante Innovation» mit weitreichenden Auswirkungen hervorhob.[1] Nur um ein paar Monate später nachzulegen: «Die Schaffung eines solchen Systems könnte ein Protokoll hervorbringen, mit dem es im Internet möglich ist, den Besitz von Werten und deren Transfer sicher und transparent zu regeln, vergleichbar mit dem von Sir Tim Berners-Lee am Forschungszentrum Cern publizierten Werk zu den Grundlagen des Internets.»[2]

Finanzindustrie drohen Turbulenzen


Bis zum Aufkommen der Blockchain war das Internet vor allem eine grossartige Infrastruktur für den Zugriff auf Informationen. Im herkömmlichen Web werden laufend Kopien der Daten erzeugt, ohne dass klar ist, welche davon das Original ist. Die Blockchain ändert dies: Sie ermöglicht es, den Besitz zu dokumentieren und den Transfer zu einem anderen Eigentümer sicher durchzuführen. Damit verlagern sich die Kernprozesse vieler Anwendungen in die Infrastruktur. Beispiele dafür sind der Transfer von Werten, das Führen von Bankkonten oder Grundbüchern. Als Konsequenz sinken die Kosten signifikant.

Sobald nun eine Organisation mit einer starken Marke und einem etablierten Sicherheitsimage dem Handel und seinen Kunden einen verlässlichen Blockchain-basierten Service zur Verfügung stellt, wird der Rest der Branche folgen. Gerade Banken fürchten diesen sogenannten Napster-Moment – den Zeitpunkt, wo eine etablierte Branche durch das Aufkommen einer neuen Plattformtechnologie komplett aus den Fugen gerät.

Mit den stumpfen Waffen der Vergangenheit ist einem solchen technologischen Umbruch nicht beizukommen, weil das damit verbundene Kundenerlebnis radikal einfacher und billiger wird. Entsprechend haben die Musikplattform Napster und ihre Nachkommen iTunes, Spotify und Netflix die Unterhaltungsbranche innerhalb weniger Jahre umgepflügt. Angesichts dieses Wandels schienen die etablierten Medienunternehmen wie gelähmt. Sie waren unfähig, ihre eigene DNA und Kultur rasch und entschieden so anzupassen, um die neuen Technologien als Katalysator des Wandels willkommen zu heissen.

Ähnliches droht heute der Finanzbranche. Derzeit wird auf Basis der Blockchain-Technologie eine Vielzahl von Smartphone-Applikationen entwickelt. Bald wird das Überweisen von Geld oder Eigentum – ohne traditionelle Bank oder Intermediär – so einfach sein wie ein Swipe von links nach rechts auf dem Smartphone.

Bis dato hält sich die helvetische Wirtschaft noch vornehm damit zurück, solche Anwendungen auf den Markt zu bringen. Die Dämme sind aber bereits brüchig. Bereits über 70’000 Onlinehändler wickeln weltweit durchschnittlich fast 60’000 Blockchain-Transaktionen pro Tag ab, und über 100 Pizzerien weltweit akzeptieren inzwischen Bitcoins.[3]

Auch in der Schweiz breiten sich Bitcoins und Blockchain-basierte Lösungen aus. So kann sich jeder an einem SBB-Ticketautomaten Bitcoins in sein digitales Portemonnaie laden und damit beispielsweise ein Bier im Sip’s Pub in Zürich-Oerlikon kaufen oder eine Rechnung an einem Onlineschalter des Kantons Zug begleichen. Der Zentralschweizer Kanton ist besonders gut positioniert, da sich dort mehrere Start-ups mit kryptografischer Expertise angesiedelt haben. Aus diesem «Crypto Valley» wollen sie nun die Welt erobern.

Technische Mängel als Herausforderung


Nebst der eigentlichen Geldüberweisung erleichtert die Blockchain-Technologie dank ihrer Transparenz und Abwicklungseffizienz auch die «Verifikation» und «Authentifizierung» der Handelspartner. Die Technologie wäre deshalb geradezu prädestiniert für die Digitalisierung des Grundbuchs oder den Handel mit Kunst, Antiquitäten und Liebhaberobjekten wie alte Uhren oder Oldtimerfahrzeuge – vorausgesetzt, die Bitcoin-Gemeinde findet Lösungen für die drei gravierendsten technischen Mängel. So ist erstens der Stromverbrauch noch viel zu hoch: Eine Bitcoin-Transaktion verbraucht die gleiche Menge Strom wie zwei Schweizer Haushalte pro Tag. Zweitens ist die Kapazität mit gerade mal drei Transaktionen pro Sekunde zu gering. Und schliesslich dauert die Bestätigungszeit einer Überweisung bis zu zehn Minuten.

Noch spielt den Zögerern die leistungsfähige und relativ günstige Payment-Infrastruktur für Frankenüberweisungen in die Karten. Was im Binnenmarkt gut funktioniert, hat aber gerade im grenzüberschreitenden Handel seine Tücken, sind doch länderübergreifende Zahlungen teilweise sehr teuer. Für den Eintritt in aufstrebende Märkte in Afrika, in Südamerika, im Mittleren Osten und in Asien könnte sich deshalb eine vertiefte Auseinandersetzung mit Bitcoin als Zahlungsmethode durchaus lohnen. Nicht zuletzt, weil in diesen Regionen die Verbreitung von Kreditkarten, aber auch von Bankkonten nur bedingt gegeben ist.

Eine Kombination von Handy und Kryptowährung bietet da eine smarte Abkürzung, sowohl für Shopbetreiber als auch für die Vernetzung der Volkswirtschaften. Denn technisch ist die Einbindung von Kryptowährungen für Onlinehändler überall auf der Welt ähnlich einfach.

Die regulatorischen Hürden sind vernachlässigbar. Solange sich die Lobbyorganisationen der etablierten Finanzmarktprotagonisten nicht aggressiv gegen die Technologie positionieren, wird der Gesetzgeber kaum stark eingreifen. Genau wie alle anderen müssen sich die Regulatoren auch erst mit den neuen Gegebenheiten vertraut machen.

Um aus der Ecke der Technikfreaks rauszukommen, braucht es bei der Kryptowährung neben Reichweite auch eine stimmige Kundenerfahrung. Dazu muss Blockchain als Metatechnologie derart in eine Transaktionsarchitektur eingebunden werden, dass Ökosysteme entstehen: Wenn zum Beispiel die vielfach schwerfällige Handhabung von Sekundärwährungen wie Airline-Meilen oder Loyalitätspunkten wie Supercard und Cumulus mit anderen digitalen Hebeln wie Access-Technologien oder Peer-to-Peer-Konzepten nahtlos verbunden werden, erschliessen sich exponentielle Potenziale. Die ersten Marktteilnehmer, welche in einem Ökosystem denken und handeln, indem sie ihre Aktivitäten zu Mehrwerten kombinieren, werden daher zu den Gewinnern gehören.

Mut zur Blockchain


Der Schweizer Finanzplatz sieht sich seit Jahren mit einem schleichenden Abstieg konfrontiert. An dessen Fuss steht die Bedeutungslosigkeit. Das Abseitsstehen bei der ab nächstem Jahr geltenden EU-Zahlungsdirektive PSD2 oder der Verlust des Top-10-Rankings unter den Finanzplätzen im Global Financial Centres Index[4] sind nur die jüngsten Zeichen dafür, dass man versucht ist, Existierendes zu halten, statt Neues zu schaffen.

Damit wir die ehemals anerkannte Rolle als Innovationsführer und Marktgestalter der Finanzindustrie zurückerobern können, braucht es ein entschiedenes und orchestriertes Handeln. Wichtige Stichworte sind Kundenrelevanz und eine Offenheit gegenüber Technologien: Nutzen wir technologische Hebel rund um Blockchain und schaffen innovative Businessmodelle, welche die Disruption der Märkte prägen, statt sie zu bekämpfen. Reichen wir uns die Hand, über Branchen-, Partei- und Unternehmensgrenzen hinweg – ein Ökosystem ist robuster und erfolgreicher als Inside-out-Alleingänge. Und: Nehmen wir Abschied von der helvetischen Vollkasko-Mentalität: Let’s make Switzerland great again! Gelegenheiten gibt es reichlich – Infrastruktur und Mittel ebenso. Jetzt braucht es noch etwas Mut. Und Mut ist gratis.

  1. Bank of England, Innovations in Payment Technologies, and the Emergence of Digital Currencies, Quarterly Bulletin 2014 Q3. []
  2. Bank of England, One Bank Research Agenda, Februar 2015. []
  3. Coinmap.org []
  4. GFCI 21, März 2017. []

Zitiervorschlag: Comboeuf, Patrick (2017). Droht der Schweiz bei Bitcoins ein Napster-Moment? Die Volkswirtschaft, 25. Juli.

Glossar: Kryptowährungen und Blockchain

Indem Kryptowährungen wie Bitcoin ein Währungskonzept der Zukunft zu etablieren versuchen, unterscheiden sie sich beispielsweise von digitalen Spielwährungen in Onlinecasinos. Kryptowährungen generieren sich über öffentliche Netzwerke durch die Community («Mining») und sind in der Gesamtmenge limitiert. Da der Staat als wichtiges Herausgabe- und Überwachungsinstitut fehlt, müssen die regulären Anforderungen an ein anerkanntes Tausch- und Zahlungsmittel über eine transparente technologische Alternative definiert erfüllt werden können.

Die Technologie hinter Kryptowährungen wie Bitcoin heisst Blockchain. Der Name referenziert das Grundprinzip der Technologie: Informationen werden in verschiedene Codeblöcke abgelegt und dann in einer Kette vereinigt. Die Daten sind dadurch dezentral gespeichert. Einzige Voraussetzung ist eine Software, welche die einzelnen Rechner mit dem gesamten Netzwerk verbindet. Nach der Überprüfung der Beteiligten wird eine Transaktion unveränderlich und für jeden sichtbar gespeichert. Die Verschlüsselung der Daten erfolgt durch Kryptotechnologie mit persönlichen und öffentlichen Schlüsseln.