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Nur unter Zusagen haben die Hilfswerke 1992 den Beitritt zu IWF und Weltbank befürwortet. Doch davon ist kaum etwas geblieben. Die Reformunwilligkeit der westlichen IWF- und Weltbank-Mitglieder und der Schweiz spielt heute China in die Hände.
Peter Niggli, Journalist, Publizist und ehemaliger Geschäftsführer von Alliance Sud (1998 bis 2015), Zürich (Bild: World Bank)

Standpunkt

Als der Bundesrat im Dezember 1989 beschloss, den Beitritt zum Internationalen Währungsfonds (IWF) und zur Weltbank einzuleiten, reagierte die Öffentlichkeit skeptisch. Nur drei Jahre zuvor hatte die Regierung eine aussenpolitische Kanterniederlage einstecken müssen, als der UNO-Beitritt mit 75 Prozent Nein-Stimmen abgeschmettert worden war. Der Anführer der UNO-Gegner, Christoph Blocher, verlangte damals vom Bundesrat, auf den geplanten Beitritt zu den Bretton-Woods-Institutionen zu verzichten. Seine Aktion für eine neutrale und unabhängige Schweiz (Auns) nahm den Kampf dagegen sogar in die Gründungserklärung auf.

Auch Hilfswerke und Drittwelt-Solidaritätsgruppen, die den UNO-Beitritt befürwortet hatten, äusserten sich kritisch. Ging es der Auns darum, kein Geld ins Ausland abfliessen zu lassen und die volle Souveränität der Schweiz zu bewahren, verlautete aus Entwicklungskreisen fundamentale Kritik an IWF und Weltbank. Deren Auflagen zur Strukturanpassung würden den Entwicklungsländern mehr schaden als nützen.

Ein ambitioniertes Ziel

Ohne Mitglied zu sein, hatte sich die Schweiz mehr als 30 Jahre lang finanziell an IWF und Weltbank beteiligt und die Regeln des IWF befolgt. Es galt die gleiche Devise wie bei der UNO: aus neutralitätspolitischen Gründen nicht beitreten, um politischen Positionsbezügen auszuweichen – aber technisch mitzuarbeiten und finanziell solidarisch zu sein, um die Isolation zu lockern. Das Ganze jedoch ohne Mitbestimmungsrecht. Dieser Souveränitätsverlust hat die Auns nie gestört, aber der Bundesrat wollte ihn nicht mehr hinnehmen. Er strebte mit dem Beitritt auch einen Sitz im Exekutivdirektorium von IWF und Weltbank an.

Das Ziel war ambitioniert. Es zu erreichen, hing vom Entgegenkommen der Mitgliedsländer ab. Der Zeitpunkt konnte jedoch nicht günstiger sein: Der Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums brachte eine Reihe von Ländern hervor, die Mitglieder von IWF und Weltbank werden wollten und potenziell für eine Schweizer Stimmrechtsgruppe gewonnen werden konnten. Zudem war im IWF eine Stimmrechtsreform hängig, welche im Herbst 1992 abgeschlossen werden sollte und Raum für Verhandlungen bot. Dass das Ziel erreicht werden konnte, war den zuständigen Diplomaten und dem Finanzminister Otto Stich zu verdanken, der es innenpolitisch hartnäckig verteidigte. Nützlich war auch, dass die Schweiz gleichzeitig an einem grösseren aussenpolitischen Brocken kaute, nämlich am Verhältnis zur Europäischen Union. Dieses zog fast alle politischen Leidenschaften auf sich – für die Bretton-Woods-Institutionen fielen nur Brosamen ab.

Hilfswerke mit Zusagen besänftigt

Entwicklungsorganisationen und SP-Exponenten machten ihre Zustimmung zu einem IWF- und Weltbank-Beitritt von Bedingungen abhängig. Erstens sollte sich die Schweiz im Exekutivdirektorium an den Zielen ihrer eigenen Entwicklungspolitik orientieren. Zweitens sollte sie auf die soziale und ökologische Verträglichkeit der Strukturanpassungsprogramme pochen und ein soziales Minimum verlangen, das der Schuldendienst nicht antasten dürfe. Weiter sollte sie sich für einen internationalen Insolvenzmechanismus und für eine Stimmrechtsreform einsetzen, welche den Entwicklungsländern mehr Gewicht verschafft, Rechtshilfe bei Kapitalflucht gewähren und volle Transparenz über ihr Wirken herstellen. Und zu guter Letzt: ihr Entwicklungsbudget erhöhen, damit der Beitritt nicht zulasten der bilateralen Entwicklungshilfe gehe.

Der Bundesrat ging in Gesetz und Botschaft von 1991 teilweise darauf ein, um der Opposition aus Entwicklungskreisen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Artikel 6 des Bundesgesetzes über die Mitwirkung der Schweiz im IWF und der Weltbank hält fest, dass die Schweiz in Fragen, welche die Entwicklungsländer betreffen, «die Grundsätze und Ziele der schweizerischen Entwicklungspolitik» berücksichtigen werde.[1] In der Botschaft versprach der Bundesrat, sich für eine sozial- und umweltverträgliche Ausgestaltung der Anpassungsprogramme einzusetzen. Zudem wolle er eine Erhöhung des Entwicklungsbudgets bis in die zweite Hälfte der Neunzigerjahre auf 0,4 Prozent beantragen. Schliesslich wollte sich der Bundesrat für entwicklungspolitisch relevante Fragen auch ausserparlamentarisch[2] beraten lassen.

Kritik von links und rechts

So gelang es, die linke Gegnerschaft auseinanderzudividieren. Die grossen Hilfswerke im Dachverband Alliance Sud zeigten sich teilweise befriedigt. Im Vorlauf zur parlamentarischen Behandlung der Vorlage gaben sie ihren Verzicht aufs Referendum bekannt, sofern die Verpflichtung auf die eigenen entwicklungspolitischen Ziele aufrechterhalten, Transparenz mit einer eigenen beratenden Kommission hergestellt und das Entwicklungsbudget erhöht werde. Das Parlament verabschiedete die Vorlage fast unverändert. Daraufhin lancierten die Deutschschweizer Sektion der Erklärung von Bern und die Aktion Finanzplatz Schweiz das Referendum, sammelten über 50’000 Unterschriften und waren deshalb nicht auf die Unterstützung der Auns angewiesen. Diese hatte das Referendum ebenfalls ergriffen, aber wenig Effort hineingesteckt, weil sie sich auf den Abstimmungskampf gegen den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) konzentrierte.

Im Mai 1992 stimmten fast 56 Prozent der Stimmenden dem Beitritt der Schweiz zu den Bretton-Woods-Institutionen zu. Alliance Sud hatte eine Ja-Parole empfohlen, die SP und der Gewerkschaftsbund erteilten Stimmfreigabe. Nein-Parolen kamen von den Referendumsführern, den Grünen und dem rechten Rand von SVP, Auto-Partei, Schweizer Demokraten und Gewerbeverband. Ein euphorisierter Bundesrat beschloss gleich am Montag nach der Abstimmung, der EU ein Beitrittsgesuch einzureichen. Die Ernüchterung folgte im Dezember: Das Stimmvolk lehnte den Beitritt zum EWR mit einem hauchdünnen Volksmehr, aber zwei Dritteln der Stände ab.

Entwicklungsländer suchen neue Wege

Die kleinen Konzessionen, welche die Opposition aus Entwicklungskreisen gewonnen hatte, verflüchtigten sich bald. Bestand haben bis heute nur das Gesetz und die Verpflichtung auf die entwicklungspolitischen Ziele der Schweiz. Diese zu interpretieren, bleibt aber der Regierung und ihren Vertretern in IWF und Weltbank überlassen. Die Erhöhung des Entwicklungsbudgets auf 0,4 Prozent wurde seinerzeit zwar in den Finanzplan aufgenommen, aber in den Sparpaketen der Neunzigerjahre wieder herausgestrichen. 2016 erreichte die Schweiz eine Quote von 0,39 Prozent, wenn man die Kostenblöcke – etwa für Asylsuchende – abzieht, die keine Entwicklungshilfe sind, aber als solche ausgegeben werden. Das heisst, erst der Entscheid des Parlaments 2010, die Entwicklungshilfe auf 0,5 Prozent anzuheben, liess das versprochene 0,4-Prozent-Ziel erreichen.

Aus Sicht der Entwicklungsorganisationen bleibt ein einziger, aber wesentlicher Vorteil des Beitrittsentscheids: Waren Forderungen an Weltbank und IWF bis dahin politisch bedeutungslos, da die Schweiz dort nichts zu sagen hatte, sind sie heute – wenn auch spärlich – Gegenstand innenpolitischer Auseinandersetzungen und können gegebenenfalls ihre Politik beeinflussen.

Andere der 1992 erhobenen Forderungen sind auch heute noch aktuell. Beispielsweise gibt es noch immer keinen internationalen Insolvenzmechanismus. Die Schweiz hat ein solches Anliegen unterstützt, als die amerikanische IWF-Vizedirektorin Anne Kruger es vergeblich voranzubringen versuchte. Seither bleibt die Schweiz passiv. Die Auflagen an die Schuldnerländer sind überarbeitet und verfeinert worden, und die Weltbank übte sogar etwas Selbstkritik an ihrer Strukturanpassungspolitik. Schliesslich sind auch die Stimmrechte minimal zugunsten der Entwicklungsländer verschoben worden, ohne die Mehrheit der Industrieländer anzutasten. Viele Entwicklungsländer zogen daraus den Schluss, lieber auf eigene Entwicklungsbanken und Währungsmechanismen zu setzen. Heute gibt es, nicht zuletzt gestützt auf die Finanzkraft Chinas, mehrere solcher Entwicklungsbanken. Kurz: Das Monopol des Bretton-Woods-Systems ist am Bröckeln.

  1. Siehe Bundesgesetz über die Mitwirkung der Schweiz an den Institutionen von Bretton Woods vom 4. Oktober 1991. (SR 979.1) []
  2. Die Hilfswerke wollten eine Beratende Kommission für IWF und Weltbank. Das Parlament verwarf die Forderung und verwies die entsprechenden Geschäfte an die Beratende Kommission für internationale Zusammenarbeit. []

Zitiervorschlag: Peter Niggli (2017). Standpunkt: Von den Versprechen ist nur wenig geblieben. Die Volkswirtschaft, 25. Juli.