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Ein Kümmerer für die Region

Mit der Regions- und Wirtschaftszentrum Oberwallis AG existiert eine neutrale Koordinationsstelle für die Entwicklung der Region Oberwallis. Gemeinsam mit Kanton, Gemeinden und Privaten werden so unter anderem neue, destinationsübergreifende Initiativen wie etwa das Projekt «Bike Valais/Wallis» entwickelt.
Das Projekt Bike Wallis/Valais bringt Hotellerie, Transportunternehmen und Materialverleih zusammen. (Bild: Keystone)

In den vergangenen 20 Jahren wurden auf nationaler Ebene mehrere Politikbereiche, wie die Tourismuspolitik, die Regionalpolitik oder die Raumentwicklungspolitik, umgestaltet. Damit ist man übergegangen von einer Ausgleichspolitik zu einer Anreizpolitik. Hat man früher beispielsweise Mehrzweckhallen unterstützt, so will man heute bewusst Wertschöpfungsketten auf- und ausbauen. Das bildet die Basis für eine nachhaltige und wirtschaftsorientierte Entwicklung von sogenannten Funktionalräumen. So werden Räume bezeichnet, die sich nicht durch politisch-administrative Grenzen, sondern vielmehr durch Wirtschaftsbeziehungen, Verkehrsverflechtungen und politische Interessen definieren.

Dieser Paradigmenwechsel nimmt kantonale, regionale und lokale Akteure vermehrt in die Verantwortung. Deshalb steigt gleichzeitig auch der Bedarf nach einer Koordination der raumwirksamen Sektoralpolitiken auf regionaler und lokaler Ebene. Was aber macht eine erfolgreiche Umsetzungspraxis in den Regionen aus?

Ein Blick in die Region Oberwallis zeigt, dass Nachhaltigkeit und kohärente Regionalentwicklung nicht nur neue politische Modewörter sind. Im Gegenteil: Sie werden in der Praxis als Grundprinzipien seit Jahren gelebt. Aus dem Reformprozess der Regionalpolitik ist dort vor acht Jahren die Regions- und Wirtschaftszentrum Oberwallis AG (RWO AG)[1] als Regionalentwicklungsstelle hervorgegangen. Durch die Umsetzung unterschiedlichster Projekte hat man so in den vergangenen Jahren Erfahrungswerte gesammelt. Diese zeigen, dass es für eine erfolgreiche Regionalentwicklung kein Musterrezept gibt. Dennoch können einige Schlüsselfaktoren für eine erfolgreiche Umsetzungspraxis abgeleitet werden.

Ein neutraler, unparteiischer Akteur


Für eine strategiegeleitete Entwicklung der Region und für die sektorübergreifende Koordination und Entwicklung von Projekten braucht es einen Akteur, der sich dieser Aufgabe annimmt und Mitverantwortung übernimmt. Ein solcher Kümmerer muss sektorübergreifend vernetzt und in der Region verankert sein. Regionalentwicklungsstellen beispielsweise können eine solche Funktion übernehmen. Für die Projektarbeit kann die Organisationsform dieser Institution eine entscheidende Rolle spielen, wie das Beispiel der RWO AG zeigt.

Als Aktiengesellschaft geniesst das Unternehmen eine hohe Glaubwürdigkeit bei Bund, Kanton, Gemeinden sowie Wirtschaftspartnern in der Region. Die Aufteilung des Aktionariats auf die Gemeinden, den Kanton und die Wirtschaftsunternehmen ermöglicht es, neben einer regionalen Verankerung auch die tägliche Arbeit zu entpolitisieren. Denn zu politischen Themen nimmt die RWO AG selber nicht Stellung. Diese Funktion übernimmt der Verein Region Oberwallis, in dem alle Gemeinden des Oberwallis vertreten sind und der ein Drittel der Aktien der RWO AG besitzt. Das ermöglicht eine neutrale, politik- und sektorunabhängige Arbeitsweise.

Zukunftsorientiert und integrativ arbeiten


Ein weiterer Faktor für eine erfolgreiche Regionalentwicklung ist eine strategische Denk- und Handlungsweise auf regionaler Ebene. Es ist ein strategisches Grundverständnis der RWO AG, dass sie durch ihre Tätigkeiten und Projekte der gesamten Region dienen will und nicht einer spezifischen Politik. Damit ist eine zukunftsorientierte, integrative, sektor- und politikübergreifende Arbeitsweise unabdingbar. Strategiegeleitetes Handeln bedeutet, nicht nur auf bestehende Herausforderungen zu reagieren, sondern im Hinblick auf künftige Chancen und Herausforderungen zu agieren. Durch eine aktive und vorausschauende strategische Arbeitsweise werden neue Entwicklungen erkannt und die Bedürfnisse der Akteure frühzeitig erfasst. Somit können neue Themen und Projektideen angestossen werden.

Ein Beispiel dafür ist das Oberwalliser Tourismus-Impulsprogramm Stratos[2]. 2012 ist es aus der Idee heraus entstanden, die Rolle der RWO AG im Tourismus zu klären. Es zeigte sich, dass es zu jenem Zeitpunkt keinen strategischen Antreiber in der Region gab, der sich der destinationsübergreifenden Tourismusentwicklung annahm. Im Rahmen von Stratos initiierten touristische Akteure in einem sogenannten Bottom-up-Verfahren mehr als 50 Projekte. Neben lokalen Initiativen wurden auch destinationsübergreifende, regionale Projekte oder Beherbergungsprojekte lanciert. Davon sind heute über die Hälfte umgesetzt. Aus Stratos ist ein Netzwerk mit fast allen Oberwalliser Tourismusdestinationen entstanden. Dieses Netzwerk wird ergänzt durch Vertretungen von grossen Personentransportunternehmen. Die Mitglieder treffen sich regelmässig, um gemeinsam destinationsübergreifende Projekte anzustossen und umzusetzen.

Eines dieser Projekte ist «Bike Valais/Wallis», welches die Entwicklung von destinationsübergreifenden Bike-Erlebnissen zum Ziel hat. Es ist im Auftrag des Stratos-Netzwerks und in Zusammenarbeit mit der kantonalen Vermarktungsorganisation Valais/Wallis Promotion, der RWO AG und einer privaten Firma entstanden. Inzwischen ist dieses Projekt auch auf kantonaler Ebene als strategisches Thema aufgenommen worden.[3]

Lösungen gemeinsam entwickeln


Die Entwicklung solcher Projekte ist nur durch einen geeigneten methodischen Ansatz und den Einbezug aller relevanten Akteure möglich. Pragmatismus und informelle Verfahren stellen dabei zentrale Erfolgsfaktoren dar. Das bedeutet nicht, dass die gesetzlichen oder politisch-administrativen Prozesse missachtet werden, sondern dass die Akteure Probleme gemeinsam ausdiskutieren. So kann sich niemand aus der Verantwortung ziehen und muss seinen Beitrag zur Lösungsfindung leisten. Die jeweiligen sektoriellen Interessen werden damit zugunsten der besten Lösung für die Region in den Hintergrund gestellt. Eine weitere Anforderung an die kohärente Entwicklung ist es damit auch, aus lähmenden Konkurrenzsituationen Kooperationen zu schaffen und dadurch Synergien zu gewinnen. Um dies zu erreichen, ist das Einhalten von professionellen Abläufen entlang von Governance-Strukturen essenziell. Das gilt sowohl unternehmensintern als auch in den Projekten. Dadurch erfolgen strategische Entscheide und operative Tätigkeiten an unterschiedlichen Stellen und unterstützen eine Entflechtung von Interessen.

Damit sich Projekte maximal entfalten, braucht es zudem ein methodisches Vorgehen, das eine dynamische und agile Arbeitsweise ermöglicht. Wenn man ergebnisoffen in ein Projekt startet und im Verlauf Lösungen in enger Zusammenarbeit mit der Trägerschaft entwickelt, erhöht das die Flexibilität. Zudem ist es hilfreich, Projekte in Zwischenziele zu gliedern und schrittweise Entscheidungspunkte anzustreben, an welchen das Projekt in eine neue Richtung gelenkt werden kann. Ein solches Vorgehen ist häufig komplexer als eine traditionelle Herangehensweise. Deshalb braucht es auch die entsprechenden Kompetenzen etwa aus den Bereichen Regionalentwicklung, Management, Raumplanung und Wissenstransfer. In vielen mittleren und kleinen Gemeinden, kleineren Unternehmen und in Organisationen fehlen diese häufig. Mit der RWO AG können diese Kompetenzen gebündelt und konzentriert aufgebaut werden.

Herausforderungen proaktiv anpacken


Schweizweit sind die Regionen von unterschiedlichen Herausforderungen und Entwicklungen geprägt. Deshalb unterscheiden sich auch der Handlungsbedarf und die Lösungswege in der regionalen Umsetzungspraxis. Gleichzeitig bieten aktuelle Entwicklungen wie etwa die Digitalisierung Chancen, um eine sektorübergreifende Denk- und Handlungsweise der Akteure zu fördern. Neue Möglichkeiten bei der Datenerhebung und -verarbeitung, bei der Nutzung geografischer Informationssysteme oder bei der Vernetzung touristischer Unternehmen und Leistungsträger für die Angebots- und Produktentwicklung sind nur einige Beispiele dafür.

Die Akteure vor Ort sind in der Verantwortung, Herausforderungen proaktiv und integrativ anzugehen, Chancen zu nutzen und neue Lösungswege zu entwickeln. Ein Schlüssel für eine nachhaltige und kohärente Umsetzungspraxis liegt unter anderem darin, sich als Organisation in der Region zu verankern und sich mit ihr weiterzuentwickeln. Als lernende Organisation in einer lernenden Region sind die strategischen Stossrichtungen und operativen Handlungsfelder laufend zu überprüfen und flexibel an neue Trends und die Bedürfnisse der regionalen Akteure anzupassen. Auf Ebene Bund und Kanton sind die zuständigen Stellen gefordert, die unterstützenden Rahmenbedingungen in Form von umsetzbaren, politikübergreifenden strategischen Leitlinien und politischen Instrumenten bereitzustellen.

  1. Weiterführende Informationen zur Regions- und Wirtschaftszentrum Oberwallis AG online auf rw-oberwallis.ch[]
  2. Mehr Informationen zu Stratos online auf Stratos-oberwallis.ch []
  3. Vgl. Kanton Wallis (2016). Strategie Velo & Bike Valais/Wallis. Sitten. []

Zitiervorschlag: Roger Michlig, Esther Schlumpf, (2017). Ein Kümmerer für die Region. Die Volkswirtschaft, 25. September.