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Freiwillige vor!

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Freiwilligenarbeit stiftet einen wichtigen Beitrag zum Wohlstand. Gemäss dem Bundesamt für Statistik engagieren sich 43 Prozent der Frauen und Männer in der Schweiz aus freien Stücken. Grob geschätzt, waren diese Leistungen (ohne Haushaltarbeiten) 2013 gut 40 Milliarden Franken wert. Unser Milizsystem ist ohne Freiwilligenarbeit undenkbar: Insbesondere auf Gemeindeebene werden wichtige politische Aufgaben in der Regel nicht von fest angestellten Magistraten, sondern von Bürgern ehrenamtlich wahrgenommen. Das Ausland bewundert die Schweiz denn auch für diese traditionsreiche Verankerung der Zivilgesellschaft in das politische System: die Schweiz, das Land der Freiwilligkeit.

Oft wird beklagt, der Wert der Freiwilligenarbeit werde gesellschaftlich unterschätzt, weil diese statistisch schwer zu fassen sei und nicht in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung fliesse. Aus ökonomischer Sicht ist diese Argumentation nicht besonders relevant. Denn wie der Begriff betont: Es handelt sich beim Engagement der Leute um freiwillige Arbeit. Kein Freiwilliger erwartet, dass seine Tätigkeit bezahlt wird und sie in Statistiken erscheint. Angesichts dieser Ausgangslage stellt sich jedoch die Frage, wie man aus wirtschaftspolitischer Sicht mit «Freiwilligkeit» umgehen soll.

Eine Antwort liefert das Konzept des kollektiven Handelns. Demnach begrüssen zwar die allermeisten Menschen ein bestimmtes gesellschaftliches Verhalten – wie den sorgsamen Umgang mit natürlichen Ressourcen oder die Gleichbehandlung von Frauen und Männern in der Karriereentwicklung. Da aber viele Trittbrettfahrer sich selber nicht an solche Prinzipien halten, muss der Staat mit gesetzlichen Vorgaben nachhelfen.

Verzicht auf Raschelsäcke


Eine besondere Form staatlicher Eingriffe ist in diesem Zusammenhang der Ansatz der Selbstverpflichtung. Dieses in der Umweltpolitik etablierte Prinzip sieht vor, dass sich Unternehmen und Verbände «freiwillig» dazu verpflichten, bestimmte Umweltziele – etwa die Verbannung von Raschelsäcken im Detailhandel über eine Branchenlösung – zu erfüllen. Die Umsetzung umweltpolitischer Vorgaben sollte dadurch für die Wirtschaft flexibler und kostengünstiger sein. Harte staatliche Vorgaben wie Verbote können so vermieden werden.

Allerdings funktioniert das Prinzip freiwilliger Vereinbarungen im Bereich der politischen Selbstverpflichtung nur, wenn die Summe der Engagements Einzelner als genügend bewertet wird. In solchen Fällen kommt man nicht um subjektive politische Beurteilungen des «genügend starken» kollektiven Engagements herum. Nachdem beispielsweise freiwillige Programme zur Förderung von Frauen in Kaderfunktionen nicht die politisch erwartete Wirkung hatten, beschloss der Bundesrat für grosse börsenkotierte Unternehmen Richtwerte zur Geschlechtervertretung im Verwaltungsrat und in der Geschäftsleitung. Verfehlen Unternehmen diese Vorgaben, müssen sie die Zielverfehlung begründen und entsprechende Massnahmen angeben. Damit bewegt sich die staatliche Intervention im Graubereich zwischen formellen Vorgaben von quantitativen Zielen und der «freiwilligen» Wahl von angemessenen Massnahmen zur Korrektur der Zielverfehlung.

Kurzfristig sind solche Lösungsansätze starren Geschlechterquoten sicherlich vorzuziehen. Aber gerade bei hohen Erwartungen ist zuweilen fraglich, ob das kollektive Versprechen der Wirtschaft wirklich eine regulative Erleichterung darstellt. Denn in der Regel werden politische Vorgaben in diesem Kontext – mindestens implizit – mit Sanktionen im Falle der Zielverfehlung verknüpft. Ansonsten setzten sich die Behörden dem Vorwurf aus, auf das Prinzip Hoffnung zu setzen.

Dann aber ist der Übergang zur erzwungenen Freiwilligkeit fliessend, und man wird an die unschöne Taktik des Aufrufes «Freiwillige vor!» erinnert: Wenn sich niemand meldet, bestimmt in der Schule oder in der Armee die Obrigkeit den Freiwilligen.

Zitiervorschlag: Scheidegger, Eric (2017). Freiwillige vor! Die Volkswirtschaft, 23. November.