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Ein Strukturwandel wie die Digitalisierung birgt Gefahren für Löhne, Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen. Damit alle Berufstätigen von den technologischen Neuerungen profitieren, braucht es einen besseren Arbeitnehmerschutz und zusätzliche Weiterbildungsmöglichkeiten.
Daniel Lampart, Sekretariatsleiter und Chefökonom, Schweizerischer Gewerkschaftsbund (SGB), Bern

Standpunkt

Die Digitalisierung ist schon lange im Gang. Bereits zu Beginn der Neunzigerjahre gab es in der Schweiz eine Million Bildschirmarbeitsplätze. Seither sind Computer und die Verarbeitung grosser Mengen von Daten in Branchen wie Banken, Versicherungen, Kommunikation und Logistik selbstverständlich.

Beim Wort «Digitalisierung» denken die meisten Menschen vor allem an den verstärkten Einsatz von Computern und Robotern in den Firmen. Und an die Vergabe von Jobs und Aufträgen über Internetplattformen («Uberisierung», «Crowdworking»). Tatsächlich sind aber die Verlagerung von Büroarbeitsplätzen ins Ausland, das Wachstum des Internethandels oder die Verschiebung von Geschäften ins Internet ebenso bedeutend. Ein Beispiel dafür ist die verstärkte Onlinewerbung. Auch drohen sich Arbeit und Freizeit zu vermischen, und die Arbeit wird dichter. Mehr Stress entsteht.

In der Wirtschaftsgeschichte gab es immer grössere technologische Veränderungen. Dieser Wandel verlief für die Mehrheit der Arbeitnehmenden positiv. Weil sie sich organisiert und für gute Löhne und Arbeitsbedingungen gekämpft haben. Weil gute Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten entstanden sind. Und weil viele Arbeitgeber ihre soziale Verantwortung wahrgenommen haben. Doch für die unmittelbar Betroffenen war der Wandel teilweise hart. In der Digitalisierungswelle in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre gab es traurige Schicksale von älteren Büroangestellten, die dauerhaft arbeitslos wurden. Dass die Arbeitslosigkeit ab 1997 insgesamt aber spürbar zurückging, war auf den Konjunkturaufschwung und das damit verbundene Stellenwachstum sowie auf gute Frühpensionierungslösungen für ältere Mitarbeitende zurückzuführen.

Gesamtarbeitsverträge und Weiterbildungsmöglichkeiten


Heute ist die Situation schwieriger. Die Beschäftigung stagniert weitgehend, und die Leistungen der zweiten Säule sind im Krebsgang. Die Führungsetagen der Firmen sind rücksichtsloser geworden. Auch aus Organisationen wie dem Gewerbeverband kommen Kampfparolen, die Arbeitszeiten zu erhöhen und so die Berufstätigen erstmals in der Wirtschaftsgeschichte nicht mehr an den Früchten der Produktivitätssteigerungen zu beteiligen. Das alles zeigt: Es braucht ein stärkeres wirtschaftspolitisches Engagement, um negative Entwicklungen der Digitalisierung zu verhindern.

Für die Gewerkschaften ist klar: Die Digitalisierung muss den Berufstätigen nützen. Sie fordern deshalb unter anderem:

  • Arbeitszeitverkürzungen und Lohnerhöhungen im Einklang mit der Produktivitätsentwicklung, Gesamtarbeitsverträge mit Mindestlöhnen sowie Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten in gefährdeten Branchen wie Detailhandel, Journalismus, Taxigewerbe sowie Versicherung und Banken;
  • Arbeitsplatzgarantien bei Stellenverlusten, aktive Unterstützung bei der Stellensuche, einen besseren Kündigungsschutz für langjährige ältere Arbeitnehmende und Frühpensionierungen zu guten Bedingungen;
  • eine Kontrolloffensive gegen digitale Schwarzarbeit und arbeitsrechtliche Missbräuche, Regelungen fürs Homeoffice, wo Gesetzeslücken im Arbeitnehmerschutz bestehen, z. B. in den Bereichen Gesundheit und Materialkosten sowie bei Haftungsfragen.


Um den Herausforderungen der Digitalisierung gewachsen zu sein, braucht es eine weitere Offensive bei der Aus- und Weiterbildung. Die Kantone und die Arbeitgeber sollen endlich ausreichend Angebote für Erwachsene schaffen (Validation, Nachholbildung usw.) und mitfinanzieren. Finanziert werden kann diese Bildungsoffensive mit ausreichend hohen Gewinnsteuern der Firmen.

Zitiervorschlag: Daniel Lampart (2017). Standpunkt: Digitalisierung muss Berufstätigen nützen. Die Volkswirtschaft, 21. Dezember.