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Arbeitskräfte auf den Wandel vorbereiten

Die Digitalisierung verlangt von den Arbeitskräften höhere Qualifikationen und mehr Flexibilität – gleichzeitig steigt die Einkommensungleichheit. Die Regierungen tun gut daran, den Arbeitsmarkt auf diese Herausforderungen vorzubereiten.
Arbeit in der virtuellen Realität: Industrial-Design-Studentin in Zürich. (Bild: Keystone)

Neue Technologien verändern unsere Gesellschaft. Entsprechend müssen sich die Arbeitskräfte an die Anforderungen anpassen, die mit den rasanten Fortschritten in der Computertechnologie verbunden sind. Dazu gehören beispielsweise die künstliche Intelligenz, die Robotertechnik, das Internet der Dinge sowie Onlineplattformen. All diese Veränderungen haben die Diskussion über eine drohende «technologisch bedingte Arbeitslosigkeit» entfacht: Vernichtet Spitzentechnologie Arbeitsplätze, ohne dass neue Stellen geschaffen werden?

Die Debatte ist nicht neu.[1] In der Vergangenheit haben technologische Veränderungen bislang stets neue Arbeitsformen und zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Zwar löste der Bau von Fabriken während der industriellen Revolution in England Unruhen aus, da dadurch die Arbeitsplätze vieler Weber und anderer Handwerker vernichtet wurden – doch gleichzeitig wurden neue Stellen für Fabrikarbeiter, Buchhalter und Mechaniker geschaffen. Solche Innovationsschübe haben die Arbeit verändert, und die Verbreitung von Robotern und künstlicher Intelligenz wird voraussichtlich den gleichen Effekt haben. Die Siri-Schnittstelle von Apple und die Gameshow-Dominanz der IBM-Software Watson zeugen vom Tempo der Fortschritte der künstlichen Intelligenz.

Mehr hoch qualifizierte Jobs


Jüngste technologische Fortschritte wirken sich bereits auf den Arbeitsmarkt aus: Stellen mit mittleren Qualifikationsanforderungen, die einen grossen Anteil von Routineaufgaben beinhalten, fallen zusehends weg. Hingegen steigt der Bedarf an hoch qualifizierten Jobs (siehe Abbildung 1). Die Folgen dieser Verlagerungen sind noch ungewiss – insbesondere, weil sie im Zusammenhang mit anderen Megatrends wie beispielsweise der zunehmenden Globalisierung und dem demografischen Wandel aufgrund einer alternden Erwerbsbevölkerung auftreten.

Besonders bedroht sind Routinearbeiten in der Produktion und im Büro.[2] Die klar definierten Aufgaben dieser Arbeitskräfte können problemlos von modernen Automaten übernommen werden, da sie weder komplexe Problemlösungskompetenzen noch soziale Fähigkeiten verlangen – wie dies beispielsweise bei Managern oder Pflegefachpersonen der Fall ist.

Abb. 1. Veränderung der Anteile von hoch, mittel und tief qualifizierten Arbeitsplätzen in der Schweiz, in Deutschland und der OECD (1995 bis 2015, in Prozentpunkten)




Quelle: (OECD 2017a) / Die Volkswirtschaft

Die bisherige Forschung hat versucht, die Auswirkungen neuer Technologien auf das Automatisierungsrisiko zu quantifizieren, um die am stärksten betroffenen Bereiche zu bestimmen. Eine Studie der Universität Oxford schätzt, dass in den USA in den nächsten 20 Jahren beinahe die Hälfte aller Arbeitsplätze automatisiert werden kann.[3] Diese Schätzungen sind alarmierend und deuten darauf hin, dass bald auch Tätigkeiten im Dienstleistungssektor von der Roboterisierung tangiert sein werden, nachdem diese von den negativen Auswirkungen der Automatisierung lange verschont geblieben sind.

Doch es sind nicht alle Arbeitsplätze gleichermassen betroffen. Entsprechend variiert das Risiko, die Stelle an einen Roboter zu verlieren, je nach Aufgaben und Kompetenzen. Im Rahmen neuerer Forschungsarbeiten der OECD, die auf der erwähnten Oxford-Studie beruhen, wurde untersucht, wie individuelle Unterschiede gegebenenfalls das Automatisierungsrisiko verringern.[4] Im Vergleich zur Oxford-Studie sind die Ergebnisse dieser neusten Untersuchung weniger dramatisch: Bei 14 Prozent der Arbeitsplätze in den OECD-Ländern besteht ein «hohes Automatisierungsrisiko». Obwohl diese Schätzungen tiefer als frühere Prognosen liegen, sagen sie ebenfalls grosse Herausforderungen voraus, da bei rund einem Drittel der Stellen ein «signifikantes Risiko» von Veränderungen besteht.

Das Risiko eines Jobverlusts durch Automatisierung hängt stark von der Ausbildung und von der technologischen Kompetenz ab. Am stärksten gefährdet sind Arbeitnehmende mit einer verhältnismässig geringen Qualifikation. Eine bessere Ausbildung ist zwar kein Garant für eine Arbeitsstelle, doch sie erhöht die Chance, einen Job zu finden.[5] Dabei spielt die Art der Ausbildung eine wesentliche Rolle. So sind Arbeitskräfte mit einem Abschluss in den sogenannten Mint-Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik weniger von einem Stellenverlust bedroht als beispielsweise Rechtsanwälte – denn auch in diesem prestigeträchtigen Beruf können die Vorarbeiten für Klagen, für die bislang Nachwuchskräfte zuständig waren, ebenso gut von maschinellen Lernalgorithmen durchgeführt werden.[6]

Technologiebedingte Arbeitslosigkeit nicht zwingend


Bei neuen Technologien können Spill-over-Effekte auftreten. Während in einer Abteilung der Bedarf an Arbeitnehmenden sinkt, benötigt eine andere Abteilung mehr Arbeitskräfte.[7] So kann eine technologiebedingte Produktivitätssteigerung – welche es ermöglicht, Waren und Dienstleistungen mit Arbeitskräften kostengünstiger herzustellen – den Anreiz verringern, auch die verbliebenen Stellen von anderen Arbeitern zu automatisieren.[8] Das Phänomen ist in der Ökonomie als Jevons‘ Paradoxon bekannt: Durch die technische Effizienz verringern sich die Produktionskosten, wodurch sich wiederum die Nachfrage erhöht. Allgemein führen solche indirekten Nachfrageeffekte zur Schaffung zusätzlicher Stellen mit hohen Qualifikationsanforderungen. Mit anderen Worten: Der zunehmende Fortschritt erhöht die Nachfrage nach qualifizierten Angestellten.

Bis das Potenzial einer neuen Technologie erkannt wird, können Jahre verstreichen. Die Akzeptanz einer technologischen Neuerung dauert manchmal noch länger. So sehen die Europäer beispielsweise die Zusammenarbeit von Robotern und Menschen positiv, oder sie sprechen sich zumindest nicht dagegen aus. Doch den meisten Europäern ist es nach wie vor unwohl beim Gedanken, dass ein Roboter selbstständig bestimmte Aufgaben ausführt – wie zum Beispiel einen medizinischen Eingriff (siehe Abbildung 2). Solange in der Bevölkerung solche Widerstände bestehen, wird es in einigen Bereichen schwierig sein, genügend Akzeptanz für den Einsatz von Robotern zu finden.

Abb. 2.  Befragung zu Robotern am Arbeitsplatz (EU-28, 2017)




Quelle: Eurobarometer (2017) / Die Volkswirtschaft

Arbeitsplattformen erhöhen Flexibilität


Die Innovationen verändern nicht nur die Zahl der Arbeitsplätze, sondern auch deren Struktur. Internetplattformen wie Uber, Lyft, Mechanical Turk und Task Rabbit, welche Aufträge («Gigs») vermitteln, geben dank einer effizienteren Abstimmung von Angebot und Nachfrage gewissen Arbeitskräften die Möglichkeit, entweder ihr Einkommen zu steigern oder flexibler zu arbeiten. Diese neuen Jobs der Plattformökonomie sind mittlerweile weitverbreitet. Gemäss einer US-Untersuchung hat die Zahl der «Gig Worker» von 2010 bis 2014 um 48 Prozent zugenommen. In den Bereichen Fahrdienstleistungen und Zimmervermietung erhöhte sich das Volumen im gleichen Zeitraum um 10 Prozent.[9]

Arbeitsplätze innerhalb der Plattformökonomie beruhen mehr auf atypischer Arbeit als traditionelle Stellen. Beispielsweise ermöglichen sie den Erwerbstätigen stückweises Arbeiten. Während Aufgaben früher zu einer Arbeitsstelle für einen Erwerbstätigen zusammengefasst wurden, können sie nun aufgeteilt und an mehrere Personen vergeben werden. Dies bedeutet mehr Flexibilität für Arbeitgebende und Arbeitnehmende, lässt aber auch Bedenken zur Arbeitsplatzqualität aufkommen. Vor allem ist nicht in allen Fällen klar, wie solche Erwerbstätige einzustufen sind: Zählen sie als Selbstständigerwerbende oder als Angestellte? Zudem ist teilweise unklar, wie der Schutz und die Rechte, die normalen abhängigen Beschäftigten eingeräumt werden, auf Plattform-Arbeitskräfte erweitert werden können.

Ungleichheit nimmt zu


Während der Anteil der Arbeit am Einkommen sinkt, steigt der Einfluss der Kapitaleigentümer. Damit verbunden ist das Risiko, dass die Einkommensungleichheit weiter zunimmt. Dies ist in vielen OECD-Ländern bereits der Fall.[10]

Zwar ist die zunehmende Nachfrage nach hoch qualifizierten Arbeitskräften für entsprechend ausgebildete Erwerbstätige positiv. Gleichzeitig hat das mangelnde Wachstum bei den Stellen mit mittleren Qualifikationsanforderungen zu einem härteren Wettbewerb um die Stellen für gering qualifizierte Arbeitskräfte geführt. Dies wiederum verringert den Lohnzuwachs an diesem Ende des Spektrums. Wenn im weiteren Verlauf kein markanter Kurswechsel vorgenommen wird, werden deshalb in erster Linie die Kapitaleigner – seien dies natürliche oder juristische Personen – von der technologischen Entwicklung profitieren.

Entscheidend ist, dass die künftigen Arbeitskräfte über die notwendigen Kompetenzen verfügen, einschliesslich der richtigen Ausbildung. Diesbezüglich ist die Ausgangslage in vielen Ländern derzeit alles andere als gut. Über die Hälfte der Erwachsenen in den OECD-Staaten verfügt in Bezug auf Informations- und Kommunikationstechnologien nicht über die grundlegenden Kompetenzen, die für elementare Aufgaben, wie beispielsweise die Informationssuche auf einer Website, erforderlich sind.[11] Weitere 14 Prozent verfügen über gar keine Computererfahrung.

Mit einer angemessenen Arbeitsmarktpolitik muss sichergestellt werden, dass Arbeitskräfte, die aufgrund der technologischen Entwicklung ihre Stelle verlieren, problemlos einen neuen Arbeitsplatz finden und nicht in die Armut abgleiten. Möglicherweise ist die heutige Arbeitsmarktpolitik grundsätzlich ausreichend und bedarf lediglich einiger geringfügiger Anpassungen. Vielleicht ist aber auch eine umfassende Überarbeitung erforderlich. Einzelne Länder haben jüngst nach neuen Lösungsansätzen gesucht. Beispielsweise haben Finnland sowie einige subnationale Gebietskörperschaften in Kanada und in den Niederlanden mit einer Art Grundeinkommen experimentiert. Allerdings gibt es noch offene Fragen zu den Kosten des Programms und zur Möglichkeit, die Unterstützungsleistungen den am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen zukommen zu lassen.[12] Frankreich, wiederum, hat ein «Erwerbstätigkeitskonto» eingeführt, in welchem Arbeitskräfte während ihrer beruflichen Laufbahn – unabhängig vom Arbeitgeber – Fortbildungsanrechte sammeln können.

Fairer Arbeitsmarkt


Auch für jene Staaten, die keine Experimente wünschen, sind wirtschaftspolitische Lösungen vorhanden. Regierungen können beispielsweise den Arbeitsmarkt ausgewogener gestalten, indem sie den sozialen Dialog fördern sowie die Rechte und den Schutz für alle Erwerbstätigen ausbauen. Um einen flexiblen Stellenmarkt zu gewährleisten, können die politischen Entscheidungsträger die Unterschiede bei den Entlassungskosten zwischen den verschiedenen Vertragsarten reduzieren und die Steuerbelastung von den Lohnsteuern zu den Ertrags- oder Konsumsteuern verlagern. Wenn diese politischen Massnahmen mit einer wirksamen Aktivierungspolitik, einer angemessenen Einkommensbeihilfe für Arbeitslose und einem Fokus auf das lebenslange Lernen kombiniert werden, tragen sie möglicherweise dazu bei, die Arbeit reibungslos den am besten geeigneten Bereichen zuzuweisen.

Diese politischen Massnahmen lassen sich nicht als Einheitslösung umsetzen. In jedem Land müssen die politischen Entscheidungsträger die Bereitschaft der Bürger beurteilen. Sie müssen sich fragen: Wo stehen wir? Wo liegt das Ziel? Die Antworten werden unterschiedlich ausfallen und dazu beitragen, einen Plan für die erforderliche Entwicklung zu erarbeiten. Letztlich gibt es keine unvermeidlichen Ergebnisse: Wir entscheiden selber, wie wir unsere künftige Arbeitswelt gestalten wollen.

  1. Autor (2015). []
  2. Goos et al. (2014). []
  3. Frey und Osborne (2013). []
  4. Arntz et al. (2016); OECD (2017d). []
  5. OECD (2017c). []
  6. Remus und Levy (2016). []
  7. Autor und Salmons (2017). []
  8. Acemoglu und Restrepo (2017). []
  9. Hathaway und Murno (2016). []
  10. Keeley (2015). []
  11. OECD (2013). []
  12. OECD (2017b). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Duncan MacDonald (2017). Arbeitskräfte auf den Wandel vorbereiten. Die Volkswirtschaft, 21. Dezember.