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Wissensintensive Branchen schaffen Stellen

Seit Mitte der Neunzigerjahre hat die Zahl der Beschäftigten in der Schweiz um ein Fünftel zugenommen. Im Zuge der Digitalisierung wurden zahlreiche Jobs in wissensintensiven Branchen geschaffen, während Routinetätigkeiten zurückgegangen sind.
Software-Spezialisten sind gefragte Arbeitskräfte. (Bild: Shutterstock)

Wie in den meisten Industriestaaten ist der Arbeitsmarkt auch in der Schweiz durch einen Strukturwandel hin zur Dienstleistungsgesellschaft geprägt. Angesichts der raschen Fortschritte im Zuge der Digitalisierung – beispielsweise bei der künstlichen Intelligenz, bei Big Data oder in der Robotik – wird intensiv diskutiert, ob in Zukunft ein erheblicher Teil der Arbeit durch Maschinen ausgeführt werden könnte und welche Auswirkungen dies auf den Arbeitsmarkt hätte.

Vor diesem Hintergrund haben wir im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) untersucht, wie der Strukturwandel im Schweizer Arbeitsmarkt zwischen 1996 und 2015 verlaufen ist.[1] Die Ergebnisse basieren auf Längsschnittanalysen diverser Beschäftigungsstatistiken, auf der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (Sake), auf einer Komponentenzerlegung zur Analyse der Einflussfaktoren sowie auf Literaturrecherchen und Unternehmensfallstudien.

Dienstleistungssektor wächst


Zwischen 1996 und 2015 ist die Beschäftigung in der Schweiz um 19 Prozent auf knapp 4 Millionen Vollzeitäquivalente gestiegen, wobei das Wachstum ausschliesslich auf den Dienstleistungssektor zurückzuführen ist. Während der Industriesektor die Zahl der Beschäftigten knapp halten konnte, verzeichnete der Primärsektor einen Rückgang von 30 Prozent.

Im Jahr 2015 stellte der Dienstleistungssektor fast drei Viertel aller Beschäftigten. Seit Mitte der Neunzigerjahre haben einerseits staatsnahe Branchen wie das Gesundheits- und Sozialwesen, das Bildungswesen und die öffentliche Verwaltung ihre Beschäftigung deutlich ausgeweitet. Andererseits legten auch die wissensintensiven Dienstleistungsbranchen stark zu (siehe Abbildung 1). Einige Branchen wie die IT-Dienstleistungen profitierten dabei direkt von der Digitalisierung.

Abb. 1: Beschäftigungsentwicklung nach Technologieorientierung und Wissensintensität (1996–2015)




Quelle: BFS: BESTA, BZ, STATENT; Berechnung: Rütter Soceco / Die Volkswirtschaft

Im Vergleich zur übrigen OECD sticht in der Schweiz die konstante Entwicklung des Industriesektors positiv hervor. Innerhalb dieses Sektors wuchs die Beschäftigung seit 1996 im Baugewerbe, während sie im verarbeitenden Gewerbe zurückging. Besonders ausgeprägt war der Rückgang in Lowtech-Branchen wie der Textil- und Bekleidungsindustrie oder der Holz-, Papier- und Druckindustrie. In Hightech-Branchen wie der Pharmaindustrie und der Sparte «Elektronik, Optik, Uhren» stieg die Zahl der Stellen hingegen.

Anforderungsniveau steigt


Der Strukturwandel zeigt sich auch bei den Berufen. So nahm der Beschäftigungsanteil von Berufen mit hohen Anforderungsniveaus seit Mitte der Neunzigerjahre deutlich zu, während er bei Berufen mit mittleren Anforderungen sank und bei Berufen mit geringen Anforderungen konstant blieb.[2] Mit den Anforderungen stieg auch die Qualifikation: Der Anteil der hoch qualifizierten Arbeitskräfte hat deutlich zugenommen, während er bei gering und mittel qualifizierten gesunken ist.

Diese Trends sind grundsätzlich auch in den einzelnen Branchen zu beobachten. Allerdings gibt es eine grosse Bandbreite zwischen Branchen mit geringen Veränderungen – wie beispielsweise dem Baugewerbe – und solchen mit erheblichen brancheninternen Verschiebungen wie dem Finanzsektor. Der starke Rückgang von Bürokräften kann direkt mit der Computerisierung in Verbindung gebracht werden. Auch beim Rückgang der handwerklichen und maschinennahen Berufe spielten wahrscheinlich der technische Wandel, insbesondere die Automatisierung, sowie in kleinerem Ausmass auch die Globalisierung eine Rolle.

Um den direkten Beitrag des technischen Wandels besser zu erfassen, haben wir die Berufe gemäss ihrer Routineintensität klassifiziert. Zu den Routinetätigkeiten zählen Aufgaben, die einem vorgegebenen Ablauf folgen und deshalb besser für Maschinen kodifizierbar sind.

Die Analyse zeigt: In Berufen mit einer hohen Routineintensität hat sich die Beschäftigung in den beiden letzten Jahrzehnten unterdurchschnittlich entwickelt. Ihr Anteil an der Gesamtbeschäftigung sank von 36 Prozent im Jahr 1996 auf 24 Prozent im Jahr 2015. Stark zugenommen hat hingegen der Anteil der Beschäftigten in hoch qualifizierten Berufen mit geringer Routineintensität, bei denen überwiegend analytische oder interaktive Tätigkeiten ausgeübt werden. Ihr Anteil stieg von 38 Prozent auf 50 Prozent. Bei eher gering qualifizierten Berufen mit geringer Routineintensität wie beispielsweise Gebäudeelektrikern und Kellnern, bei denen manuelle oder serviceorientierte Tätigkeiten charakteristisch sind, stagnierte der Beschäftigungsanteil bei 26 Prozent.

Niveau-, Struktur- und Brancheneffekte


Hinweise auf mögliche Ursachen dieser Entwicklungen gibt eine sogenannte Komponentenzerlegung. Dazu haben wir die Veränderung der Beschäftigung zwischen 1997 und 2014 zu den drei Faktorgruppen Niveaueffekte, branchenübergreifende Struktureffekte und brancheninterne Effekte zusammengefasst.

Die Niveaueffekte beinhalten das Wachstum der Bevölkerung und der Güternachfrage pro Kopf. Branchenübergreifende Struktureffekte umfassen die Veränderung der Zusammensetzung der in der Volkswirtschaft nachgefragten Güter, der Importanteile in den einzelnen Gütergruppen und der Wertschöpfungstiefe der Branchen. Zu den brancheninternen Effekten gehören schliesslich die Veränderung der Arbeitsproduktivität sowie die der Beschäftigungsanteile von Berufsgruppen mit unterschiedlichem Routineprofil innerhalb der Branchen.

Bei den Niveaueffekten zeigt sich, dass diese in allen untersuchten Berufsgruppen die Beschäftigung gesteigert haben, wobei das Nachfragewachstum pro Kopf wichtiger war als das Bevölkerungswachstum (siehe Abbildung 2). Die verschiedenen branchenübergreifenden Struktureffekte waren hingegen in allen Gruppen beschäftigungsmindernd. Dies gilt besonders stark für manuelle Routineberufe. Ausschlaggebend war dabei vor allem, dass sich die Güternachfrage zu Produkten verschoben hat, für die weniger manuelle Routinetätigkeiten benötigt werden. Die gestiegene Arbeitsproduktivität hat naturgemäss zu einem Beschäftigungsrückgang in allen Gruppen geführt – besonders ausgeprägt war dieser in Routineberufen und serviceorientierten Nichtroutineberufen. Bei den brancheninternen Effekten zeigten sich ausserdem deutliche Verlagerungen von routineintensiven Berufen zu interaktiven Berufen mit geringer Routineintensität.

Abb. 2: Beschäftigungsveränderung nach Einflussfaktoren und Tätigkeitsprofil (1997–2014)




Lesebeispiel: Die Beschäftigtenzahl in Berufen mit dem Tätigkeitsprofil «Nicht-Routine: analytisch» ist zwischen 1997 und 2014 um 193’000 gestiegen. Das Bevölkerungswachstum hat dazu einen Beitrag von 91’000 Beschäftigten geleistet. Die mit dem Wirtschaftswachstum gestiegene Güternachfrage pro Kopf hat zu einem Zuwachs um 139’000 Beschäftigte geführt. Wegen der gestiegenen Arbeitsproduktivität ist die Zahl der Beschäftigten in dieser Gruppe um 19’000 gesunken.

Quelle: BFS, Sake; Berechnung Rütter Soceco

Technischer Wandel als Haupttreiber


Insgesamt hat die Beschäftigung zwischen 1997 und 2014 deutlich zugenommen, und zwar auch wenn man das Bevölkerungswachstum ausklammert. Allerdings wäre die Beschäftigung bei den Routineberufen ohne den Bevölkerungsanstieg deutlich stärker zurückgegangen. Wichtige Treiber für die oben beschriebenen Entwicklungen waren der technische Wandel, insbesondere die Digitalisierung und die Automatisierung, sowie in geringerem Umfang die Globalisierung und die Veränderungen der Güternachfrage infolge des demografischen Wandels und veränderter Konsumpräferenzen. Der technische Wandel und die Globalisierung wirken dabei über verschiedene Einflusskanäle. So führt der technische Wandel zu einer Abnahme von routineintensiven Berufen, da solche Tätigkeiten von Maschinen übernommen werden. Gleichzeitig nehmen Nichtroutineberufe zu, da hier die Technologien ergänzend wirken.

Über die Steigerung der Arbeitsproduktivität und die Verlagerung von arbeitsintensiven Tätigkeiten ins Ausland wirken der technische Wandel und die Globalisierung einerseits zwar beschäftigungssenkend. Andererseits sorgen sie indirekt aber für beschäftigungssteigernde Wachstumsimpulse. Denn sowohl die Steigerung der Arbeitsproduktivität infolge des technischen Wandels als auch das Offshoring im Rahmen der Globalisierung führen zu einer besseren Wettbewerbsfähigkeit von Schweizer Unternehmen und zu steigenden Realeinkommen der privaten Haushalte. Dadurch wächst die Wirtschaft.

Insgesamt verlief der Strukturwandel mit einer Geschwindigkeit, die eine Anpassung durch Unternehmen und Arbeitskräfte möglich machte. Zudem erfolgte der Strukturwandel bei wachsender Bevölkerung und Wirtschaft, was die Bewältigung ebenfalls erleichterte, da der Rückgang von Branchen, Berufen und Qualifikationen im wachsenden Umfeld abgefedert wurde.

Zur erfolgreichen Bewältigung des Strukturwandels hat unter anderem das sehr gute Aus- und Weiterbildungssystem beigetragen, indem es die Qualifikationsstruktur der Arbeitskräfte verbesserte. Hilfreich waren zudem die Innovationskraft und die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Unternehmen sowie die guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Die Bewältigung des Strukturwandels wurde auch dadurch erleichtert, dass die berufliche Mobilität zwischen Branchen und zwischen Berufen relativ ausgeprägt ist. Allerdings bleibt der Fachkräftemangel, insbesondere in technischen und naturwissenschaftlichen Berufen, im Management und im Gesundheits- und Sozialwesen, eine anhaltende Herausforderung für Wirtschaft und Politik.

  1. Nathani et al. (2017). []
  2. Vgl. auch Bouchiba-Schaer und Weber (2017). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Carsten Nathani, Corina Rieser, Pino Hellmüller, (2017). Wissensintensive Branchen schaffen Stellen. Die Volkswirtschaft, 21. Dezember.