Suche

Abo

Die Fabrik der Zukunft

Die Konsumenten verlangen heute verstärkt nach personalisierten Produkten. Die technischen Möglichkeiten für eine solche individuelle Massenproduktion existieren bereits.

Die Fabrik der Zukunft

Technologischer Vorreiter: Die Fabrik des Lastwagenherstellers Scania in Schweden ist mit 283 Hightech-Robotern ausgerüstet. (Bild: Gustav Lind)

Prognosen zufolge wird es im Jahr 2020 weltweit schätzungsweise 34 Milliarden Geräte geben, die über das Internet der Dinge mit anderen Geräten «kommunizieren» können. Nur 10 Milliarden davon werden Computer im herkömmlichen Sinn sowie Smartphones, Smartwatches etc. sein. Der Rest sind Roboter, Förderbänder oder Elektrogeräte wie Waschmaschinen, Drucker etc. Viele dieser Geräte werden sich in Fabriken befinden.

Da diese Maschinen miteinander, mit ihren Bedienern und mit zentralen Systemen kommunizieren können, können sie optimal auf Fehler achten und diese besser beheben. Dadurch wird die Fabrik der Zukunft effizienter, zuverlässiger und flexibler und kann so den Ansprüchen der Kunden gerecht werden (siehe Kasten 1). Das frustrierende Argument, dass die Nachfrage nicht ausreiche, um dem Produktionswunsch eines Kunden zu entsprechen, dürfte dann weitgehend der Vergangenheit angehören.

Solche Fabriken sind teilweise bereits Realität. Wir nennen sie zwar «Fabriken der Zukunft», doch sie werden von ABB schon gebaut.

Individuelle Kundenwünsche erfüllen


Die Fabrik der Zukunft unterscheidet sich deutlich von der bisherigen Produktion. Als Richard Arkwright Ende des 18. Jahrhunderts seine Fabrik in England baute, ging es ihm vor allem darum, Skalenvorteile zu nutzen. Mittels Wasserkraft entwickelte er ein neuartiges Verfahren zum Spinnen von Baumwolle. Zuletzt zählte die Fabrik mehrere Spinnmaschinen, an denen 1000 Arbeiter in zwei 12-Stunden-Schichten rund um die Uhr tätig waren. Durch die Herstellung grosser Stückzahlen eines Produkts über einen langen Zeitraum sollten die Kosten gesenkt und die Margen erhöht werden. Denn die Investitionskosten waren fix und hoch, die variablen Kosten niedrig. Heute haben viele Branchen ein anderes Ziel: Nicht mehr grosse Mengen und wenig Varianten, sondern kleine Mengen, viele Varianten und wesentlich kürzere Zyklen werden angestrebt.

Denn heute wünschen sich die Verbraucher personalisierte Produkte und stets das Neueste, ganz gleich, ob es sich um Bekleidung, Elektrogeräte oder Nahrungsmittel handelt. Die Automatisierung muss daher flexibel genug sein, um dem neuen Kaufverhalten gerecht zu werden – mit einer grösseren Vielfalt an Produkten und Verpackungen und wesentlich kürzeren Lebenszyklen, die sich manchmal nur über wenige Monate erstrecken. Die neue Fabrik muss die kundenindividuelle Massenproduktion ermöglichen: Jedes Produkt wird dem Wunsch des Kunden entsprechend angepasst, aber mit Massenfertigungsverfahren hergestellt.

Arbeitskollege: Roboter


Dieser Wandel verlangt nach Anpassungen in der Fertigung. Aufgrund des wachsenden Produktmixes werden Mitarbeitende in Zukunft enger mit Robotern zusammenarbeiten müssen – sei es, um neues Material zu bringen, Programme zu ändern oder neue Prozesse zu prüfen. Heute müssen viele Industrieroboter ihre Arbeit aus Sicherheitsgründen hinter Schutzzäunen verrichten und ausgeschaltet werden, sobald ein Mensch sich nähert. Jedes Mal die Produktion zu stoppen, wenn ein Mensch einem bestimmten Prozess nahe kommt, ist heute jedoch nicht mehr zielführend.

Darüber hinaus sind viele der 1,7 Millionen weltweit betriebenen Industrieroboter nicht ans sogenannte Industrial Internet angebunden. Dieses verbindet physikalische Maschinen mit Sensoren und Software. Bisher sind nur rund fünf Prozent der Industrieroboter auf irgendeine Weise vernetzt. Dadurch gehen den Fabriken sehr hilfreiche Informationen verloren, welche die Leistung steigern und den menschlichen Bedienern die Entscheidungsfindung erleichtern könnten. Hier schlummern gewaltige Potenziale.

Dank der Verfügbarkeit und Konnektivität kostengünstiger Sensoren liegen heute viel mehr Informationen in digitaler Form vor. Diese Informationen können beispielsweise genutzt werden, um die Maschinen vorausschauend zu warten, auf ein verändertes Bestellverhalten zu reagieren oder Unfälle zu verhüten.

Alle diese Veränderungen beeinflussen letztendlich auch die Kostenstruktur. So erfordern die kleineren Stückzahlen und der grössere Produktmix mehr kostspielige Entwicklungszeit und mehr Unterbrechungen im Fertigungsbereich. Zudem erhöhen kürzere Produktzyklen die Kosten ungeplanter Stillstandszeiten, sodass auch kurze Ausfälle ins Gewicht fallen. Und wer die Produktion näher beim Kunden ansiedeln will, findet sich vielleicht in einer Region mit ausgeprägtem Fachkräftemangel wieder (siehe Kasten 2).

Die Instrumente sind vorhanden


Die Fabrik der Zukunft muss diese Probleme lösen – und das nötige Werkzeug ist schon vorhanden. So macht die virtuelle Inbetriebnahme es möglich, Tests und Fehlerbehebungen bereits vor der Installation eines neuen Produkts durchzuführen, was die Einführung beschleunigt. Cloudbasierte Systeme können die Betriebsdaten aller Maschinen eines Typs zusammenführen, sodass diese Maschinen voneinander und die Bediener von den Maschinen lernen können, welche Warnsignale auf eine mögliche zukünftige Störung hindeuten.

Unterbrechungen des Produktionsbetriebs können durch lernfähige Maschinen auf ein Minimum reduziert werden, beispielsweise durch sogenanntes Lead-Through Programming. Dabei wird der Roboter schrittweise durch den Prozess geführt, der unmittelbar von einer Software aufgezeichnet und gespeichert wird. Das Schreiben von Programmzeilen durch einen Experten entfällt dabei, und die Programmierung nimmt statt vieler Stunden nur noch einige Minuten in Anspruch.

In der Fabrik der Zukunft werden verschiedene Arten von Robotern tätig sein, die in unterschiedlichem Mass mit dem Menschen kollaborieren. Teilweise wird es sich um traditionelle Roboter handeln, deren Geschwindigkeit und Position von intelligenter Software so gesteuert wird, dass sich Menschen – ohne Unterbrechung der Produktion – in der Nähe dieser Roboter betätigen können. In anderen Fällen werden Menschen und Roboter Hand in Hand an derselben Aufgabe arbeiten, beispielsweise bei der Montage von elektronischen Kleingeräten mit vielen verschiedenen, vom Kunden wählbaren Optionen.

Wenn bei kollaborativen Robotern keine Schutzgitter mehr gebraucht werden, können Hersteller ihre Produktionsabläufe flexibel an Kundenanforderungen anpassen, ohne durch fest installierte Schutzvorrichtungen eingeschränkt zu sein. So kann ein kollaborativer Roboter beispielsweise in der Frühschicht USB-Sticks kleben und die fertigen Produkte am Nachmittag in eine Lasergravurstation legen.

All diese Roboter werden zu Wartungszwecken über das Industrial Internet an die zentralen Steuerungssysteme angeschlossen und darüber hinaus mit den unternehmensweiten Bestell-, Einkaufs- und Versandsystemen verbunden sein. Bei einem Grossauftrag wird dann automatisch sichergestellt, dass ausreichend Produktionsmaterial vorhanden ist und für die Auslieferung der Produkte genügend LKW bereitstehen. Bestenfalls weiss das System sogar, dass eine neue Werbekampagne die Nachfrage in der nächsten Woche steigern dürfte.

Der selbstlernende Roboter der Zukunft


Heute sind Roboter darauf beschränkt, exakt die Aufgaben zu erledigen, für die sie programmiert wurden. Sie können noch nicht wie Menschen auf Änderungen in ihrem Umfeld oder an ihren Aufgaben reagieren. Der nächste Schritt wird deshalb die Weiterentwicklung des maschinellen Lernens betreffen, eine Anwendung künstlicher Intelligenz, die weitgehend auf der Mustererkennung beruht. Das oberste Ziel ist es, einen bedienungsfreundlicheren Roboter zu entwickeln, der mit weniger menschlichen Eingriffen Besseres leistet.

Einen wichtigen Schritt auf diesem Weg stellt die Umstellung von Roboterprogrammierung auf das «Unterrichten» von Robotern durch das Lead-Through Programming. Das ist heute schon möglich. In Zukunft werden Roboter eine neue Aufgabe wie das Greifen unvertrauter Gegenstände von anderen Robotern lernen können. Möglicherweise können Roboter sich mithilfe des maschinellen Lernens eines Tages auch selbst optimieren. Wie wäre es, wenn alle Roboter, die weltweit dieselbe Aufgabe ausführen, bei Schichtende zusammenkommen und analysieren, was gut gelaufen ist und was sie am nächsten Tag besser machen könnten?

Es ist schwer zu sagen, was Richard Arkwright wohl gehalten hätte von kundenindividueller Massenproduktion, enger Zusammenarbeit von Mensch und Roboter oder von vernetzten Robotern, die lernen und nützliche Informationen austauschen können. Eins ist jedoch klar: Hersteller, die heute in diese Lösungen für mehr Flexibilität, Effizienz und Leistung investieren, werden die Zukunft massgeblich mitprägen.

Zitiervorschlag: Steven Wyatt (2017). Die Fabrik der Zukunft. Die Volkswirtschaft, 21. Dezember.

Kasten 1: Neuerungen entlang der gesamten Produktionskette

Neue Arbeitsweisen werden die gesamte Produktionskette betreffen:



Entwicklung: Von der ersten Planung an gilt das Konzept der integrierten Fabrik. Beispielsweise wird während der Entwicklung eines Produktes bereits auf die verwendeten Materialien und deren Fähigkeit zum einfachen Recyceln geachtet. Ebenso werden die Entscheidungen für Optionen, die der Kunde später wählen kann, ganz zu Beginn der Planung festgelegt. Spätere Änderungen sind nur mit grossem Aufwand zu realisieren.



Inbetriebnahme: Werkzeuge wie Virtual Reality machen es möglich, schon vor der Installation eines neuen Systems Fehler zu beheben und Mitarbeitende offline zu schulen.



Betrieb: Intuitive Dashboards – vergleichbar mit dem Armaturenbrett im Auto – werden bessere Entscheidungen ermöglichen, und das gesamte Fertigungssystem wird bessere Daten liefern.



Wartung: Geräte werden sich im Industrial Internet – im Zusammenspiel mit anderen Geräten – selbst überwachen und nur eine Wartung anfordern, wenn dies zur Vermeidung von Störungen wirklich notwendig ist.

Kasten 2: Zunehmender Arbeitermangel

Weltweit wird es immer schwieriger, Menschen zu finden, die sogenannte 4-D-Jobs (von englisch Dirty = schmutzig, Dull = uninteressant, Dangerous = gefährlich und Delicate = knifflig) verrichten wollen. Dasselbe gilt auch für qualifizierte Fabrikarbeiter. Der Trend, anstelle einer Lehre lieber ein Studium zu absolvieren, hat zu einem Mangel an qualifizierten Industriearbeitern geführt, selbst in einem Land wie der Schweiz, das für seine Berufsausbildung berühmt ist. Dieser Fachkräftemangel liefert ein gutes Argument für eine stärkere digitale Automatisierung.

Ein weiterer Grund ist die neue Generation der «Digital Natives», sie sind mit dem Internet aufgewachsen und wünschen sich geistig anregende Herausforderungen, keine Knochenarbeit. Da Roboter immer einfacher zu bedienen sind, brauchen die Fabrikarbeiter von morgen keine hohen akademischen Grade.

Sicher ist, dass sich auch die Art der Arbeit in Zukunft ändern wird: Ein Grossteil heutiger Schulanfänger wird Arbeiten verrichten, die es heute noch gar nicht gibt. Die Fabrik der Zukunft wird also zur Arbeit der Zukunft führen. Doch niemand kann heute schon sagen, wie diese aussehen wird.