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Unternehmen profitieren von Whistleblowern

Bei vielen Grossunternehmen in der Schweiz gehören Meldestellen für Whistleblower mittlerweile zum Standard. Das Instrument leistet einen effektiven Beitrag zur Missstandsbekämpfung, wie ein Faktencheck zeigt.
Schweizer Grossunternehmen verfügen mehrheitlich über eine Meldestelle für Whistleblower. Mitarbeiter des Schokladenherstellers Barry Callebaut mit Sitz in Zürich. (Bild: Barry Callebaut)

Hinweise von Mitarbeitenden und Kunden spielen eine zentrale Rolle bei der Prävention und Bekämpfung von Fehlverhalten in Unternehmen.[1] Weltweit richten immer mehr Firmen interne Meldestellen für Whistleblower ein. Damit wollen sie Missstände und wirtschaftskriminelle Handlungen wie Veruntreuung, Internetkriminalität, Verletzung geistigen Eigentums, Korruption, Geldwäscherei und wettbewerbswidrige Absprachen frühzeitig aufdecken. Nicht zuletzt soll so verhindert werden, dass Meldungen an die Öffentlichkeit gelangen und Imageschäden anrichten. Im Gegensatz zu Firmen in Ländern wie Frankreich oder den USA sind Unternehmen in der Schweiz nicht verpflichtet, ein internes Meldeverfahren einzurichten (siehe Kasten).

Im Rahmen eines von der Schweizerischen Agentur für Innovationsförderung Innosuisse (ehemals KTI) geförderten Projektes hat die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Chur in Zusammenarbeit mit dem Zürcher Anbieter von Whistleblower-Systemen Integrity Line eine Studie durchgeführt, an der sich 364 Unternehmen aus der deutsch- und französischsprachigen Schweiz beteiligt haben. Die Ergebnisse der repräsentativen Umfrage zeigen: 2016 war ein Drittel der Grossunternehmen (250 und mehr Mitarbeitende) von illegalem oder unethischem Verhalten betroffen.[2] Bei den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU; bis 249 Mitarbeitende) betrug der Anteil 5 Prozent.

Vier Aussagen im Faktencheck


Basierend auf den Umfrageresultaten, wurden die folgenden vier häufig vorgebrachten Aussagen bezüglich Meldestellen auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft:

Aussage 1: «Meldestellen sind bei Schweizer Unternehmen eine Seltenheit»


Diese Aussage stimmt zwar grundsätzlich: Insgesamt haben 11 Prozent der befragten Unternehmen eine interne und/oder eine externe Meldestelle implementiert. Allerdings gibt es deutliche Unterschiede zwischen grossen und kleinen Firmen: Während 70 Prozent der Grossunternehmen über eine Meldestelle verfügen, ist dies nur bei jedem zehnten KMU der Fall. Vertiefende Analysen deuten überdies darauf hin, dass international tätige und wachstumsorientierte Unternehmen überdurchschnittlich häufig über eine Meldestelle verfügen.[3]

Aussage 2: «Meldestellen werden mit Meldungen überflutet»


Die Studienresultate entkräften diese Befürchtung: 95 Prozent der Unternehmen, die über eine Meldestelle verfügen, haben im vergangenen Jahr keine Meldung erhalten (siehe Abbildung 1). Auch hier spielt die Zahl der Mitarbeitenden eine entscheidende Rolle: Knapp 70 Prozent der Grossunternehmen mit Meldestellen haben Meldungen erhalten (durchschnittlich 54 pro Betrieb). Bei den KMU sind lediglich bei 4 Prozent Meldungen eingegangen. Im Durchschnitt geht bei KMU-Meldestellen ungefähr alle drei Jahre eine Meldung ein.

Unternehmen müssten sich somit vielmehr fragen, was sie tun können, um mehr Meldungen zu erhalten. Sinnvoll ist es, die Meldestelle möglichst vielen Anspruchsgruppen zugänglich zu machen – also nicht nur den Mitarbeitenden, sondern auch Kunden, Aktionären und Eigentümern, Lieferanten, Konkurrenten und der breiten Öffentlichkeit. Diese Gruppen sollen dabei die Meldungen über verschiedene Kanäle einreichen können. Beispiele dafür sind der persönliche Besuch auf der Meldestelle, die Kontaktaufnahme über E-Mail, Telefon, Brief und Fax, Internetplattformen, Hotlines, soziale Medien und spezialisierte Smartphone-Apps.

Abb. 1: Meldungseingang nach Unternehmensgrösse




Anmerkung: Basis sind die Unternehmen mit Meldestelle (hochgerechnet: 59’186). Die Angaben beziehen sich auf das Jahr 2016.

Aussage 3: «Meldestellen sind ein wirksames Instrument, um Missstände aufzudecken»


Die Literatur preist Meldestellen als effektive Massnahme zur Prävention und Aufdeckung von Fehlverhalten in Unternehmen. Ein oft geäusserter Einwand aus der Praxis ist jedoch, die überwiegende Mehrheit der Meldungen bestehe aus Nichtigkeiten; es lohne sich daher nicht, in eine Meldestelle zu investieren.

Die Studienergebnisse zeigen, dass 51 Prozent der eingehenden Meldungen relevant und gehaltvoll sind. Mit anderen Worten: Über die Hälfte der Meldungen spricht einen Compliance-relevanten Missstand oder ein Fehlverhalten an (siehe Abbildung 2). Demgegenüber erweisen sich 46 Prozent der Meldungen als nicht relevant. Darunter fallen all diejenigen Hinweise, die zwar ohne missbräuchliche Absicht abgegeben werden, aber von ihrer Thematik bei der Meldestelle an der falschen Adresse sind. Beispiele dafür sind Beschwerden bezüglich des Führungsstils eines Vorgesetzten oder Hinweise auf technische Betriebsprobleme. Solche aus Compliance-Sicht nicht relevanten Meldungen erweisen sich für den Betrieb der Meldestelle in der Regel als unproblematisch und können mit begrenztem Aufwand an die zuständige Kontaktstelle (beispielsweise an die Personalabteilung oder den technischen Unterhalt) weitergeleitet werden.

Wie können Unternehmen die Zahl der relevanten Meldungen erhöhen? Die vertiefenden Analysen zeigen auch hier: Je niederschwelliger eine Meldestelle konzipiert ist – breiter Adressatenkreis, viele Meldekanäle –, desto höher ist der Anteil relevanter Meldungen. Darüber hinaus können Unternehmen den Anteil an relevanten Informationen steigern, indem sie offen und breit über die Meldestelle kommunizieren. Es empfiehlt sich, auch über die öffentliche Firmenwebsite auf die Meldestelle aufmerksam zu machen.

Abb. 2: Relevante und missbräuchliche Meldungen




Anmerkung: Basis: n=4485 Meldungen.

Aussage 4: «Meldestellen werden für gezieltes Anschwärzen missbraucht»


Der wohl am häufigsten geäusserte Vorbehalt gegenüber Meldestellen ist die Befürchtung, Whistleblower könnten das Instrument missbräuchlich verwenden – etwa für falsche oder verleumderische Meldungen, die einzelnen Mitarbeitenden oder dem Unternehmen gezielt schaden sollen. Die Ergebnisse der Befragung zeigen jedoch: Nur 3 Prozent der Meldungen können als missbräuchlich eingestuft werden. Somit fördert die Einrichtung einer Meldestelle keine «Kultur des Denunzierens».

Wie können Unternehmen die Zahl der missbräuchlichen Meldungen verringern? Die statistischen Auswertungen zeigen, dass die Meldestelle weniger häufig missbraucht wird, wenn Unternehmen deutlich kommunizieren, dass und auf welche Weise die Whistleblower vor Repressalien geschützt werden. Es ist zu vermuten, dass dieser Schutz vor Repressalien als Qualitätsmerkmal einer Meldestelle wirkt. Entgegen der weitverbreiteten Befürchtung führt die Zusicherung von Anonymität zu keinem Anstieg an missbräuchlichen Meldungen: Mehr als die Hälfte der Grossunternehmen bietet ihren Hinweisgebenden die Möglichkeit, ihre Meldungen anonym einzureichen; bei den KMU ist dies bei gut einem Drittel der Fall.

Firmen sind der Politik voraus


Während in der Schweiz weiterhin um ein Whistleblowing-Gesetz gerungen wird, haben die Unternehmen in den vergangenen Jahren bereits konkrete Schritte unternommen. Mit über der Hälfte relevanter Meldungen und nur einem geringen Anteil missbräuchlicher Meldungen erweisen sich Meldestellen für Unternehmen als ein effektives Instrument zur Aufdeckung und Prävention von Missständen. Darüber hinaus werden viele der gegen Meldestellen geäusserten Bedenken in der unternehmerischen Praxis nicht bestätigt.

Damit das Instrument seine Wirksamkeit noch besser entfalten kann, wäre es wünschenswert, dass die seit nunmehr 15 Jahren laufenden gesetzgeberischen Bemühungen zeitnah abgeschlossen würden. Dies würde sowohl für die Unternehmen als auch die potenziellen Whistleblower die Rechtssicherheit erhöhen. Wichtig ist hierbei, dass eine Lösung gefunden wird, die auch für KMU umsetzbar ist.

  1. ACFE (2016) und PWC (2017). []
  2. Blumer et al. (2017). []
  3. Als wachstumsorientiert werden Unternehmen definiert, die, gemessen an ihrer Umsatzentwicklung, in den letzten zwei Jahren gewachsen sind und auch für die kommenden zwölf Monate Wachstum erwarten. []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Helene Blumer, Christian Hauser, (2018). Unternehmen profitieren von Whistleblowern. Die Volkswirtschaft, 22. März.

Schutz bei Meldung von Missständen am Arbeitsplatz

In einigen Staaten sind gewisse Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet, interne Meldestellen anzubieten – so zum Beispiel in Frankreich durch das Anti-Korruptions-Gesetz Loi Sapin II oder in den USA durch den Sarbanes Oxley Act. Grossbritannien kennt zwar keine gesetzliche Pflicht zur Einführung einer Meldestelle in Unternehmen, nimmt jedoch beim Schutz von Hinweisgebenden eine Vorreiterrolle ein. Der Public Interest Disclosure Act aus dem Jahr 1998 schützt Whistleblower vor Diskriminierung und Kündigung und unterstützt durch eine Stufenregelung insbesondere internes Melden.

In der Schweiz besteht derzeit weder auf gesetzlicher noch auf selbstregulatorischer Basis eine explizite Pflicht zur Errichtung eines internen Meldeverfahrens. Mit der Teilrevision des Obligationenrechts (Schutz bei Meldung von Missständen am Arbeitsplatz, Art. 321a OR) zeichnet sich jedoch eine klare Tendenz in Richtung stärkerer Regulierung ab. Vorgesehen ist ein dreistufiges Kaskadenprinzip, wonach Arbeitnehmende verpflichtet sind, Unregelmässigkeiten am Arbeitsplatz zuerst intern zu melden. Nur wenn keine unabhängige Meldestelle und keine internen Richtlinien vorhanden sind, dürfen sie sich an die Behörde wenden. Eine Meldung an die Öffentlichkeit ist nur möglich, wenn die Behörde den Hinweisgeber nicht innerhalb von 14 Tagen über das weitere Vorgehen informiert (siehe Schweizer Parlament, 2013).