Gesichtserkennung, maschinelle Übersetzung, fahrerlose Fahrzeuge, musizierende Roboter, lernfähige und fühlende Androiden: Medienberichte zur künstlichen Intelligenz (KI) suggerieren oft, bei vielen Anwendungen stehe ein Durchbruch kurz bevor. Kein Wunder, wird es manchen Menschen angst und bange angesichts von Meldungen wie «Fortschritt in noch nie gekanntem Tempo» und «Globale Umwälzungen».
Es ist unbestritten: KI hat das Potenzial einer sogenannten Basisinnovation. Darunter versteht man bahnbrechende Entwicklungen, welche ganze Branchen und Volkswirtschaften durchdringen und die gesamtwirtschaftliche Produktivität wesentlich beeinflussen. Typische Beispiele sind die Dampfmaschine, die Elektrifizierung, Computer und Informations- und Telekommunikationstechnologien (ICT). Trotzdem dürften breitenwirksame Durchbrüche bei der künstlichen Intelligenz noch in weiter Zukunft liegen. Denn eine technische Möglichkeit zur Automatisierung von Arbeitsschritten bedeutet nicht, dass der Arbeitsprozess tatsächlich automatisiert wird. Schon immer setzten gesellschaftliche, betriebswirtschaftliche und rechtliche Überlegungen dem technisch Machbaren Grenzen.
Hinter vielversprechenden Umbrüchen steht zunächst knochenharte Grundlagenforschung. Dabei birgt das Prinzip von «Versuch und Irrtum» immer auch das Risiko des Scheiterns. Damit eine auf Grundlagenforschung fussende Technologie Verbreitung findet, ist ergänzend angewandte Forschung und damit die Entwicklung von kommerzialisierbaren Anwendungslösungen erforderlich. Diese Prozesse setzen unternehmerische Risikobereitschaft voraus und sind zeitaufwendig. Es gibt Experten, die beispielsweise davon ausgehen, dass bis zum flächendeckenden Durchbruch von selbstfahrenden Fahrzeugen noch Jahrzehnte verstreichen werden.
Dies kann nicht erstaunen. Die Adaptierung und der Einsatz von neuen Technologien setzen einen erheblichen Kapitaleinsatz in physische Infrastruktur wie Produktionsanlagen, Geräte und Laboratorien voraus. Zudem muss auch in Humankapital (Forschung, Engineering, Ausbildung) und in immaterielle Bereiche wie Organisationsentwicklung und Marketing investiert werden. Deshalb hängt die Entscheidung, ob ein Betrieb eine neue Technologie einführt, stets auch von deren Anschaffungs- und Unterhaltskosten im Vergleich zum Abschreibungsbedarf bestehender Anlagen ab. Ein Unternehmen wird sich nur für die neue Technologie entscheiden, wenn sich die Investition betriebswirtschaftlich rechnet. Dies ist von Firma zu Firma, von Branche zu Branche und von Land zu Land sehr unterschiedlich – je nach aktueller technologischer Ausstattung und regulativem Umfeld.
Ein weiterer Faktor, der die Breitenwirkung von neuen Technologien beeinflusst, sind gesellschaftliche Werte und rechtliche Hürden. Dabei geht es nicht nur um Sicherheits- und Haftungsfragen, sondern auch um Datenschutz, die Fachkräftesituation, soziale und ethische Normen sowie individuelle Präferenzen. So sind beispielsweise Pflegeroboter in japanischen Spitälern willkommen, während man bei uns darüber noch die Nase rümpft.
Bücher verschwinden nicht so schnell
Selbstverständlich können wir uns alle beim Blick in die Zukunft täuschen. Gerade die Kombination von ICT, Smartphones und Tablets hat in den letzten zehn Jahren gezeigt, dass Wirtschaftszweige wie die Musikindustrie, die Medien oder der Detailhandel gemessen an der Branchengeschichte in relativ kurzer Zeit stark unter Anpassungsdruck geraten sind. Allerdings verlieren selbst diese Erfolgsgeschichten je nach Betrachtungswinkel an Glanz: Der Anteil von E-Büchern liegt beispielsweise in Deutschland mit rund 6 Prozent immer noch auf bescheidenem Niveau. Im Schweizer Musikmarkt teilen sich das Digitalgeschäft (Downloads, Streaming) und die physischen Tonträger (CD, Vinyl) den Gesamtumsatz in etwa zu gleichen Hälften.
Alles in allem sollten die Zukunftsperspektiven der technischen Möglichkeiten mit einer sprichwörtlichen Gelassenheit beurteilt werden: Erstens kommt es anders und zweitens, als man denkt.