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Regionale Arbeitsvermittlungszentren steigern Wirkung

Die Wirkung der öffentlichen Arbeitsvermittlung hat sich zwischen 2003 und 2016 verbessert. Dies zeigt sich beispielsweise bei der Langzeitarbeitslosigkeit.
Die Massnahmen der Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) bringen insbesondere für Personen mit einer mittleren Arbeitslosigkeitsdauer eine Verbesserung. RAV-Schalter in Genf. (Bild: Keystone)

Die öffentliche Arbeitsvermittlung trägt mit ihren Tätigkeiten dazu bei, Stellensuchende rasch und dauerhaft wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern und dadurch die Arbeitslosigkeit in der Schweiz zu reduzieren. Diese Tätigkeiten umfassen unter anderem Beratungsdienstleistungen, die Vermittlung von offenen Stellen, den Einsatz von Qualifizierungs- und Beschäftigungsangeboten sowie Kontrolltätigkeiten. Seit Einführung der Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) im Jahr 1996 wurden die Instrumente und Prozesse stetig weiterentwickelt. Mehrere Studien aus dem Zeitraum 2000 bis 2008 kamen zum Ergebnis, dass die Vermittlungseffizienz in der Anfangsphase der RAV deutlich gesteigert wurde.[1] Zur Frage, wie sich die Gesamtwirkung der öffentlichen Arbeitsvermittlung in den letzten zehn Jahren entwickelt hat, gab es bislang jedoch keine Evidenz.

Um diese Informationslücke zu schliessen, hat das Basler Forschungs- und Beratungsunternehmen B,S,S. im Auftrag der Aufsichtskommission für den Ausgleichsfonds der Arbeitslosenversicherung untersucht, wie sich die Gesamtwirkung der öffentlichen Arbeitsvermittlung zwischen 2003 und 2016 entwickelt hat.[2] Im Zentrum der Analyse standen nicht einzelne Massnahmen der RAV, sondern es ging um die Gesamtwirkung, die durch alle Tätigkeiten der öffentlichen Arbeitsvermittlung erzielt wurde.

Wirkungsindikatoren bei Wiedereingliederung


Einerseits verwendet die Analyse die vier bestehenden Wirkungsindikatoren des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco): Taggeldbezugsdauer, Langzeitarbeitslosigkeit, Aussteuerungen und Wiederanmeldungen bei den RAV. Während die ersten drei Indikatoren messen, wie rasch die Wiedereingliederung der Stellensuchenden in den Arbeitsmarkt erfolgt, bilden die «Wiederanmeldungen beim RAV» die Nachhaltigkeit der Reintegration ab.

Andererseits kamen in der Analyse auch vier neue Indikatoren zur Anwendung: Sie beschreiben den Erwerbsverlauf nach Abmeldung beim RAV und wurden anhand von Daten zu den Stellensuchperioden sowie zu den monatlichen Erwerbseinkommen aus den AHV-Registern konstruiert. Die Indikatoren umfassen die Dauer der effektiven Beschäftigungslosigkeit, die Erwerbsstabilität (Anteil Monate mit Erwerb in den ersten zwei Jahren nach der RAV-Abmeldung), die Anzahl Arbeitgeber in den ersten zwei Jahren nach der RAV-Abmeldung sowie die Veränderung des Einkommens vor und nach der Arbeitslosigkeit.

Eine Schwierigkeit in der Analyse ergab sich zunächst dadurch, dass der Taggeldanspruch für verschiedene Gruppen von Stellensuchenden zwei Mal (2003 und 2011) durch Revisionen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (Avig) angepasst wurde. Diese Regelanpassungen erschweren die Wirkungsmessung im Zeitverlauf, sodass zwei Einschränkungen am Studiendesign notwendig waren: Erstens wurde nur der Zeitraum ab 2003 betrachtet, und zweitens beschränkt sich die Analyse auf die über 25-jährigen Stellensuchenden mit langen Beitragszeiten, weil deren Taggeldanspruch vor und nach 2011 unverändert blieb. Diese Gruppe entspricht zwar nur rund der Hälfte aller Stellensuchenden; es zeigt sich jedoch, dass sie bezüglich verschiedener Merkmale wie Geschlecht, Nationalität, Ausbildungsniveau und Wirtschaftsbranche gut mit der Grundgesamtheit aller Stellensuchenden vergleichbar ist.

Um die Wirkungsveränderung der öffentlichen Arbeitsvermittlung anhand der Indikatoren abschätzen zu können, müssen möglichst viele externe Umwelteinflüsse ausgeklammert werden. Dazu kam ein zweistufiges ökonometrisches Verfahren zur Anwendung (siehe Kasten).

Wirtschaftslage beeinflusst Indikatoren


Die deskriptive Analyse zeigt, dass die bestehenden vier Wirkungsindikatoren deutlich von konjunkturellen Schwankungen beeinflusst werden (siehe Abbildung). Im Zeitraum 2005 bis 2008 sanken sie aufgrund der guten Arbeitsmarktlage, während sie im Zuge der «Grossen Rezession» der Jahre 2009 und 2010 deutlich anstiegen.

Taggeldbezugsdauer, Langzeitarbeitslosigkeit, Aussteuerungen und Wiederanmeldungen (2003 bis 2016)




Anmerkung: Die Daten berücksichtigen Stellensuchperioden von Juli 2003 bis 2016.

Quelle: Avam/Asal, Seco; Berechnung Kaiser, Liechti und Morlok (2018) / Die Volkswirtschaft

Demgegenüber sind die vier neuen Wirkungsindikatoren (nicht dargestellt) teilweise etwas weniger konjunktursensitiv: Kurzfristige Bewegungen widerspiegeln hier primär Veränderungen der Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage. Eine Steigerung der Effektivität der öffentlichen Arbeitsvermittlung schlägt sich hingegen nur langfristig in den Wirkungsindikatoren nieder. Vergleicht man zum Beispiel die Durchschnitte der ersten und letzten drei Jahre im Untersuchungszeitraum 2003 bis 2016, zeigt sich, dass die Taggeldbezugsdauer und die Langzeitarbeitslosigkeit im Niveau eher gesunken sind. Demgegenüber liegen die Quoten der Aussteuerungen und der Wiederanmeldungen ähnlich hoch oder nur leicht höher.

Die ökonometrische Wirkungsmessung zeigt: Die Weiterentwicklung der öffentlichen Arbeitsvermittlung trug dazu bei, dass die mittlere Taggeldbezugsdauer über den Zeitraum 2003 bis 2016 um rund 8 Tage zurückging (siehe Tabelle). Dies entspricht einer relativen Reduktion von rund 4,5 Prozent. Gleichermassen führte die Wirkungssteigerung dazu, dass die Quote der Langzeitarbeitslosigkeit um rund 3,3 Prozentpunkte abnahm. Bezüglich der Aussteuerungen und der Wiederanmeldungen liegen die geschätzten Effekte hingegen nahe bei null – die Aussteuerungen haben sogar leicht zugenommen.

Die Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass die Wirkung der Arbeitsvermittlung vor allem bei Personen mit Arbeitslosigkeitsdauer im mittleren Bereich (ca. 12 Monate) und damit mittleren Arbeitsmarktchancen gesteigert werden konnte. Bei Personen mit tiefen Arbeitsmarktchancen, die typischerweise bis zur Aussteuerung arbeitslos bleiben, hat sich die Wirkung über die Zeit hingegen nicht erhöht. Wenn man die Effekte gemäss dem Ansatz des Seco gewichtet, liegt die Steigerung der Gesamtwirkung über den betrachteten Zeitraum bei 4 Prozent.[3]

Wirkung der öffentlichen Arbeitsvermittlung im Untersuchungszeitraum (absolut und Veränderung in %)














Bestehende Wirkungsindikatoren

Taggeldbezugsdauer (Anzahl Tage) –7,9 –4,5%
Langzeitarbeitslosigkeit (%) –3,3 –10,9%
Aussteuerungen (%) +0,5 +2,6%
Wiederanmeldungen (%) –0,1 –0,3%
Gesamtwirkung der obigen Indikatoren (gewichtet)  – –3,9%

Neue Wirkungsindikatoren

Beschäftigungslosigkeit (Monate) –0.2 –2,6%
Erwerbsstabilität (%) +0,2 +0,3%
Anzahl Arbeitgeber –0,1 –6,3%
Veränderung Einkommen (%) +2,7  –


Anmerkung: Die Effekte der bestehenden Wirkungsindikatoren beziehen sich auf den Zeitraum 2003 bis 2016 und jene der neuen Wirkungsindikatoren auf den Zeitraum 2003 bis 2013. Der relative Effekt für die Veränderung des Einkommens wird nicht ausgewiesen, weil der Wirkungsindikator selber eine Veränderungsrate darstellt.

Quelle: Avam/Asal, Seco; individuelle Konten der AHV; Berechnungen Kaiser, Liechti und Morlok (2018)


Die Ergebnisse zu den neuen Wirkungsindikatoren deuten ebenfalls darauf hin, dass die öffentliche Arbeitsvermittlung im Zeitverlauf effektiver wurde. Beispielsweise ging die Beschäftigungslosigkeit im Zeitverlauf um 0,2 Monate zurück. Bei der Erwerbsstabilität liegt der Effekt nahe bei null. Hingegen zeigt sich recht deutlich, dass die Anzahl unterschiedlicher Arbeitgeber gesenkt und der Einkommensverlust, der nach der Arbeitslosigkeit entsteht, über die Zeit reduziert werden konnte.

Zusammengenommen deuten diese Ergebnisse in die Richtung einer verbesserten Qualität der Arbeitsvermittlung – etwa durch bessere Qualifizierungsmassnahmen, Beratung und Vermittlung. Insbesondere müssen die Stellensuchenden weniger oft die Stelle wechseln bzw. finden eine passendere Stelle mit besserer Entlohnung.

Die dargestellten Ergebnisse sind statistisch «robust». Beispielsweise wurden mehrere Methoden miteinander verglichen, und die Auswahl der Erklärungsfaktoren wurde variiert. Die Schwierigkeit bleibt jedoch bestehen, dass gewisse unbeobachtete Trends in der Analyse nicht berücksichtigt werden konnten. Hierzu gehören beispielsweise Veränderungen des Suchverhaltens aufgrund von Online-Plattformen oder Veränderungen im Rekrutierungsverhalten seitens der Arbeitgeber.

Effekte sind moderat, aber ökonomisch relevant


Abschliessend lässt sich festhalten, dass die Anpassungen an den Prozessen und Instrumenten der öffentlichen Arbeitsvermittlung in ihrer Gesamtheit zu einer Verbesserung der Wiedereingliederung der Stellensuchenden in den Arbeitsmarkt beigetragen haben. Vor allem Stellensuchende mit «mittleren Arbeitsmarktchancen» haben von den Entwicklungen profitiert; bei dieser Gruppe ist der Einfluss der RAV am stärksten.

Auf den ersten Blick scheint das Ausmass der Wirkungssteigerung eher moderat. Es ist aber zu beachten, dass auch geringe Veränderungen beachtliche wirtschaftliche und soziale Folgen mit sich tragen und die Arbeitslosenversicherung finanziell entlasten. Weiter sollte es nicht überraschen, dass die Fortschritte deutlich kleiner ausfallen als zu Anfangszeiten der RAV in den Neunzigerjahren: Die grössten Lerneffekte entstehen typischerweise zu Beginn und reduzieren sich mit einer zunehmenden Etablierung der Prozesse.

  1. Siehe z. B. Sheldon, G. (2008): Entwicklung der Performance der öffentlichen Stellenvermittlung der Schweiz im Zeitraum 1998–2007, Studie im Auftrag der Aufsichtskommission des Ausgleichsfonds der Arbeitslosenversicherung. []
  2. Kaiser, Boris, David Liechti und Michael Morlok (2018): Entwicklung der Wirkung der öffentlichen Arbeitsvermittlung in der Schweiz im Zeitraum 2003–2016, Studie im Auftrag der Aufsichtskommission für den Ausgleichsfonds der Arbeitslosenversicherung. Die Studie wurde von den Professoren Rafael Lalive, Patrick Arni und Gerard van den Berg wissenschaftlich begleitet. []
  3. Seco-Gewichtung: Taggeldbezugsdauer: 50%; Langzeitarbeitslosigkeit: 20%; Aussteuerungen: 20%; Wiederanmeldungen: 10%. []

Zitiervorschlag: Boris Kaiser, Michael Morlok, (2018). Regionale Arbeitsvermittlungszentren steigern Wirkung. Die Volkswirtschaft, 12. April.

Zweistufiges ökonometrisches Verfahren

Unsere Analyse basiert auf einem kontrafaktischen Untersuchungsrahmen, so wie er auch in der Evaluationsforschung zur Schätzung von «Treatment-Effekten» verwendet wird. In einem ersten Schritt haben wir die Wirkungsindikatoren für jede «MS-Region» (gemäss Bundesamt für Statistik) unter dem Szenario berechnet, dass die Struktur der Stellensuchenden bezüglich sozioökonomischer Merkmale (Alter, Ausbildung, Branche usw.) über die Zeit konstant bleibt. Hierfür verwendeten wir einerseits einen Regressionsansatz und andererseits eine sogenannte Propensity-Score-Gewichtung. So konnten wir Veränderungen in der Struktur der Stellensuchenden – beispielsweise einen steigenden Anteil Stellensuchender mit Tertiärausbildung oder Stellensuchender mit Herkunft im EU/Efta-Raum – herausrechnen. In einem zweiten Schritt berücksichtigten wir Einflüsse der Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage auf regionaler Ebene. Dazu wurden Daten zu Neuanmeldungen bei den RAV, Beschäftigungs- und Bevölkerungsdynamik, Grenzgängern, Bauinvestitionen, Personalverleih und Exporten mit einbezogen. Auf Basis der MS-Regionen spezifizierten wir ein gepooltes Paneldatenmodell, das die Zusammenhänge zwischen den Wirkungsindikatoren und den erklärenden Variablen zur Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage beschreibt. Mit diesem Modell schätzten wir einen kontrafaktischen Verlauf der Wirkungsindikatoren, der unterstellt, dass die Wirkung der öffentlichen Arbeitsvermittlung seit Beginn des Zeitraums konstant blieb. Aus der Differenz zwischen dem tatsächlichen und dem kontrafaktischen Verlauf identifizierten wir schliesslich die Wirkungsveränderung der öffentlichen Arbeitsvermittlung.