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New Public Bureaucracy?

Die Einführung von New Public Management (NPM) vor knapp 30 Jahren schien wie eine Offenbarung. Politologen und Ökonomen sagten eine deutlich höhere Effizienz der staatlichen Aufgabenerfüllung voraus: In der «alten» Welt der Verwaltungsführung hatten Beamte selten ein Interesse, ihre Arbeit möglichst bürgernahe und im Einklang mit den politischen Versprechen auszurichten. Die Politik ihrerseits erachtete das Konzept als willkommene Alternative zur unbequemen Debatte über die Privatisierung öffentlicher Aufgaben. Jedenfalls schien es logisch, betriebswirtschaftliche Führungsgrundlagen und wettbewerbliche Elemente in die Verwaltungstätigkeit des Staates einzuführen.

Wiederholt melden sich heute Stimmen, welche im NPM eher eine NPB – eine «New Public Bureaucracy» – sehen. So kritisiert das Medizinalpersonal in öffentlichen Spitälern seit Längerem die zeitlich hohe Beanspruchung durch das Erfassen und Verarbeiten von Daten und Kennzahlen. Die Bewertung von Leistungen setzt eben voraus, dass der Leistungsumfang gemessen werden kann – quantitativ und qualitativ. Wo keine solchen Datengrundlagen bestehen, müssen sie geschaffen und gepflegt werden. Eine effiziente Verwaltungsführung ist nicht ohne Zusatzaufwand zu haben. Dieser Zielkonflikt gehört zum Wesen des NPM.

Nun könnte man einwenden, dass auch private Unternehmen nicht ohne interne Leistungsmessung und ohne Benchmarking auskommen; schliesslich wollen sie besser sein als die Konkurrenz. Und ja, auch Unternehmen sind der schleichenden Bürokratisierung ausgesetzt: Gerade auch bei grösseren Firmen suchen Verantwortliche – dem menschlichen Naturell folgend – nach einer Ausweitung ihrer Tätigkeit und ihres Einflussgebietes. Der entscheidende Unterschied zur Verwaltung ist aber, dass private Firmen der disziplinierenden Kontrolle der Güter- und Kapitalmärkte unterstehen: Wer über längere Zeit seine Dienstleistungen nicht zur Kundenzufriedenheit erbringt oder das Potenzial zur Produktivitätssteigerung nicht ausschöpft, verliert an Konkurrenzfähigkeit und an Glaubwürdigkeit bei den Kapitalgebern.

In extremis scheidet ein schwach geführtes Unternehmen aus dem Markt aus. Öffentliche Organisationen müssen dieses disziplinierende Konkursrisiko nicht fürchten. Deshalb ist in staatlichen Wirtschaftsbereichen das Bürokratisierungsrisiko grundsätzlich grösser. Und aus diesem Grund sind mit Augenmass entwickelte NPM-Ansätze insbesondere in Bereichen der hoheitlichen, nicht privatisierbaren Zentralverwaltung unentbehrlich.

Zielkonflikt zwischen Fünferli und Weggli


Spannungsfelder ergeben sich auch bei Staatsunternehmen, welche in Wettbewerbsmärkten tätig sind. Dazu gehören nicht nur Spitäler, sondern auch Transport-, Logistik-, Telekommunikations- oder Energieunternehmen. Einerseits müssen sie eine Grundversorgung («Service public») gewährleisten. Andererseits wird von ihnen erwartet, dass sie sich – trotz fehlendem Konkursrisiko – wie private Wettbewerber verhalten: leistungsorientiert, innovativ und kompetitiv.

In solchen Konstellationen liegen andersartige Formen von Zielkonflikten vor. Staatsnahe Unternehmen unterliegen im Vergleich zur Privatwirtschaft oft stärkeren Rechenschaftspflichten; und zwar nicht nur gegenüber Organen wie dem Verwaltungsrat oder der Revisionsstelle, sondern auch gegenüber zuständigen Ämtern, Regierungen und Parlamenten. Deshalb können staatliche Eigner die Expansion zum Beispiel in ausländische Märkte (oder andere Kantone) einschränken, auch wenn es die betriebswirtschaftliche Logik eigentlich gebieten würde. Dies wiederum verleitet die Unternehmen, sich stärker auf die nationalen respektive regionalen Teilmärkte auszurichten, was das inhärente Risiko von Wettbewerbsverzerrungen zulasten von privaten Unternehmen verschärft. Und wenn es einmal bei auf Leistungsfähigkeit getrimmten öffentlich-rechtlichen Unternehmen zu Fehlleistungen kommt, ertönt alsbald der Ruf nach noch schärferer politischer Kontrolle. Dies ist der Fluch des Fünferli und Weggli von Staatsunternehmen in Wettbewerbsmärkten.

Zitiervorschlag: Eric Scheidegger (2018). New Public Bureaucracy. Die Volkswirtschaft, 24. April.