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Mehr Service public im Medienmarkt erwünscht

Ein Plädoyer für einen innovativeren medialen Service public der Zukunft: ohne SRG-Monopol und mit mehr inhaltlichem Wettbewerb.
Soll Ringier die SRF-Sendung «Glanz & Gloria» produzieren? Moderatorin Annina Frey im Studio. (Bild: Keystone)

Die Schlacht ist geschlagen, der Sieger steht fest: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk darf in der Schweiz weitersenden. Die deutliche Ablehnung der Initiative «No Billag» sollte aber nicht als Aufforderung zum «Weiter so!» verstanden werden.[1] Abgestimmt wurde nur über die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der konzessionierten privaten Sender. Nicht äussern konnten wir uns über die Grenzen der öffentlich sichergestellten medialen Grundversorgung oder darüber, ob eine solche im digitalen Zeitalter noch sinnvoll ist. Und gerade bei Letzterem müsste eine zukunftsgerichtete Diskussion über den Service public eigentlich ansetzen.

Auslaufmodell Tageszeitung


Im Kern geht es dabei um die Frage, wie man die in einer Demokratie unerlässliche Informiertheit der Gesellschaft in Zukunft noch sicherstellen kann. Und dazu braucht es in der Schweiz zukünftig mutmasslich nicht weniger, sondern mehr medialen Service public.

Warum? Erstens wird es im Markt der Publikumsmedien zu weiteren Konzentrationen kommen, zulasten von publizistisch eigenständigen Redaktionen. Kostenpflichtige Tageszeitungen werden zunehmend an Leserschaft und an Auflage verlieren; als Printprodukte sind sie ein Auslaufmodell. Alternativ werden zwar vermehrt digitale Angebote genutzt, doch deren Refinanzierung bleibt trotz der leicht steigenden Zahlungsbereitschaft ungenügend. Zumal auch bei den meisten Online-Werbeformen die Wertschöpfung hinter den Erwartungen bleibt.

Zu dieser Strukturveränderung gesellt sich eine zweite Entwicklung, die befördert wird durch die Digitalisierung. Die Grenzen zwischen einer Publizistik, die der Öffentlichkeit verpflichtet ist, und der interessengeleiteten Kommunikation verwischen immer mehr. Das muss für den Konsumenten zwar nicht zwingend schlecht sein. Für die Sicherstellung von politischer und gesellschaftlicher Teilhabe der Bevölkerung ist eine solche Entwicklung jedoch problematisch. Denn bestmöglich unabhängige, primär der Sache und der Sachlichkeit verpflichtete und nach einschlägigen journalistischen und medienethischen Prinzipien hergestellte Information ist der Sauerstoff von Diskursen, von Partizipation, von Wissen, von Meinungsbildung und Entscheidung. Fehlen solche sachlichen Informationen oder sind sie nur noch für wenige Konsumenten und für wenige Themenfelder verfügbar, ist die Demokratie gefährdet.

Die dritte Tendenz ist, dass sich insbesondere bei Informations- und Unterhaltungsangeboten die Unterscheidbarkeit von journalistischen Darstellungsformen weiter auflöst. Text, Ton, Bewegtbild, Grafik, Datenvisualisierung, Augmented oder Virtual Reality bilden künftig ein integriertes Medienerlebnis. Dieses wird nicht zwingend aus einer Hand, sondern als Patchwork aus mehreren verschiedenen Quellen gleichzeitig und nicht mehr nur von Menschen, sondern auch von Algorithmen zusammengestellt.

Bedrohung für den Journalismus


Einschneidend werden die Veränderungen auch im Werbemarkt sein. Die Adressierung des Einzelnen über digitale Endgeräte dürfte zum Standard werden – ob auf dem Smartphone, der Smartwatch oder dem Tablet; ob im Auto, im Tram oder auf digitalen Plakatsäulen: Auf der Grundlage unserer Nutzungsprofile werden wir in erster Linie noch das sehen, was uns individuell oder als Zielgruppe interessieren könnte. Entscheidend wird dabei nicht mehr nur sein, was wir als Medienkonsumenten nutzen, sondern auch, wo und wie.

Solche und weitere Entwicklungen verändern den Journalismus fundamental. In seiner redaktionellen Organisation ist er bedrängt, weil er gemessen an seiner eigenen Wertschöpfung inzwischen viel zu teuer produziert. Über die letzten gut 200 Jahre war das kein Problem, weil die ungenügende Zahlungsbereitschaft der Endkonsumenten kompensiert werden konnte durch die Querfinanzierung des Werbemarktes. Überspitzt formuliert: Unsere Aufmerksamkeit für das Inhaltliche wurde erkauft durch die Duldung von Inseraten und Werbeschaltungen. Diese Ära ist zu Ende – und sie wird nicht wiederkehren.

Ein sehr kleiner Markt


Zwei weitere Elemente machen diese Entwicklung für die Schweiz besonders schwerwiegend: erstens die Eigenheit des hiesigen Medienmarktes. Er ist im internationalen Vergleich sehr klein, durch vier Landessprachen sowie die föderalistische Struktur stark fragmentiert und umgeben von mächtigen ausländischen Konkurrenten. Allein der Grossraum München zählt etwa gleich viele Einwohner wie die ganze Deutschschweiz.

Zweitens nimmt Inhalt im Gütermarkt eine Sonderstellung ein. Zwar kann seine Nutzung im digitalen Zeitalter besser denn je eingeschränkt werden, was für die Wertschöpfung essenziell ist. Dennoch bleibt eine Öffentlich-Gut-Problematik bestehen, weil die kostenlose Weitergabe der Information kaum zu unterbinden ist und sich der Kern der Information faktisch nicht schützen lässt. Für die Konsumenten handelt es sich zudem um ein Vertrauensgut. Qualität, Relevanz und Nutzwert sind beim Kauf nicht abschätzbar. Beide Charakteristiken stärken die Zahlungsbereitschaft für Inhalte nicht.

Also dürfte der hiesige Medienmarkt weiter ausdünnen. Nur wenige Medienhäuser werden sich künftig noch eine wertegeleitete, inhaltlich strukturierte und spezialisierte Publizistik leisten. Denn in kühler betriebswirtschaftlicher Logik darf eine solche nicht strukturell defizitär sein und muss sich aus eigener Kraft finanzieren. Deshalb werden die Kosten durch Aufwandsminderung oder durch Skalierung weiter getrimmt, was die Breite, die Vielfalt und die Qualität des Gebotenen nicht fördert. Bei Nischenprodukten ist es denkbar, dass durch Crowdfunding, Mäzenatentum, Stiftungen oder andere Formen der Quersubventionierung hochwertigere Angebote überleben. Im Massenmarkt hingegen dürfte das nur noch in Einzelfällen möglich sein.

Keine Industriepolitik


Heute besteht im Medienbereich eine Dualität: hier der durch Zwangsgebühren finanzierte nationale Rundfunk, dort im harschen Wettbewerb stehende Medienanbieter mit stark am Text ausgerichteten Inhalten und lokal begrenzten Rundfunkangeboten. Diese Situation nimmt keine Rücksicht auf die Nutzer, die sich längst schon an globalen Intermediären und Programmanbietern wie Google, Facebook, Youtube, Spotify, Netflix und Co. orientieren und weder eine Marktaufteilung nach geografischen Kriterien oder Vertriebsmedium (Fernsehen, Radio, Print) noch eine exklusive Bündelung durch einzelne Anbieter wünschen.

Eine zukunftsgerichtete Service-public-Diskussion müsste sich daher lösen von der schrittweisen Weiterentwicklung des Status quo, dessen Grundlage aus der Mitte des 20. Jahrhunderts stammt. Sie müsste die teilweise grossen Widersprüche aufzeigen, die sich zwischen dem ordnungspolitisch und dem gesellschaftlich Wünschenswerten auftun. Der Medienmarkt Schweiz darf nicht den gleichen Weg wie die Landwirtschaft oder das Gesundheitswesen gehen – streng reguliert, hoch subventioniert, vom Wettbewerb abgeschottet und für den Konsumenten teuer. Gleichzeitig ist aber vor den unbestrittenen Veränderungen im Medienmarkt auch die starre Zweiteilung – hier Staat, dort Markt – nicht mehr zielführend. Denn sie adressiert weder die ökonomischen noch die technologischen Herausforderungen der Zukunft.

Das von der öffentlichen Hand konzessionierte und finanzierte Leistungsangebot muss klar definiert werden, sodass es von marktwirtschaftlichen Alternativen deutlich unterschieden werden kann; nicht nur hinsichtlich seiner Qualität und Relevanz, sondern auch in Bezug auf die Zielsetzung, die Nutzerorientierung und die gesamtgesellschaftlich gewollte Wirkung. Die Erbringung von medialem Service public ist anbieter- und technologieneutral zu definieren – es sind also weder Verbote für die Bespielung spezifischer Kanäle wie etwa Online auszusprechen, noch ist die Leistungserbringung an einen einzigen omnipotenten Anbieter wie die SRG zu vergeben.

Schreckgespenst direkte Medienförderung


Kritiker dürften spätestens jetzt einwerfen, der Autor rede der direkten Medienförderung das Wort. In der Tat: Die direkte Medienförderung existiert schon, und sie wird aus den oben angeführten Gründen zunehmen müssen, wenn uns Vielfalt und Qualität im Medienmarkt Schweiz auch weiterhin wichtig sind. Wie man diese Förderung ausgestaltet, ist zugegebenermassen herausfordernd. Dazu gehören nämlich die bedingungslose Sicherstellung von Staatsferne, die Art der Finanzierung, deren Höhe, das konkrete Leistungsmandat, die Regelung des Opt-ins von Leistungserbringern oder der ordnungspolitisch möglichst korrekte Umgang mit Wettbewerbern, die ihr Glück weiterhin im freien Markt suchen wollen.

Ein erster Schritt könnte es sein, der SRG tatsächlich eine Plafonierung der Gebühren zu verordnen. Wenn die Gebühren ab 2019 auf jährlich 365 Franken sinken, ist bei einer durchschnittlichen Haushaltsgrösse von vier Personen mit 25 Rappen pro Kopf und Tag wertiger Journalismus auch weiterhin zum Dumpingpreis erhältlich. Bleibt es der SRG erlaubt, Werbung zu senden, könnte man sie dazu verpflichten, im Rahmen publizistischer Standards Dritte an diesen Werbeeinnahmen teilhaben zu lassen bzw. die Vermarktung in einer eigenen Rechtsform partnerschaftlich mit anderen Medienhäusern zu organisieren. Es wäre auch denkbar, mindestens einen Kanal – etwa SRF Info – als Übungsfeld für ein inhaltliches Vollprogramm zu definieren, an dem sich die SRG und private Anbieter gemeinschaftlich beteiligen. Das bedeutet, dass in einer eigenen Rechtsform und unter spezifischen Leistungsmandaten neben der SRG auch andere Anbieter Formate mit Service-public-Charakter produzieren könnten. Die so geschaffenen Sendungen liessen sich zudem auch auf anderen medialen Plattformen weiterverwerten.

Denn warum sollten Hochschulen nicht Bildungsinhalte bereitstellen dürfen, wenn sie sich einschlägiger journalistischer Kriterien unterwerfen? Warum nicht das Netzwerk aus kreativen jungen Journalistinnen ein Wirtschaftsformat für Jugendliche? Warum sollte die NZZ nicht ihre Auslandkompetenz einbringen, warum nicht Ringier «Glanz und Gloria» produzieren? Wenn solche Inhalte zur Informiertheit der Bevölkerung beitragen, die verschiedenen Anbieter die an Fördermittel gekoppelten Leistungsvereinbarungen einhalten und sich das Gebotene nicht oder nicht ausreichend durch den Markt finanzieren lässt, dann liesse sich ebenso ein Mindestmass an inhaltlicher Vielfalt und Qualität sicherstellen.

Die Kosten sind nicht das Problem


Wichtig ist, dass es nicht darum gehen kann, Industriepolitik zu betreiben und eine möglicherweise sterbende Branche am Leben zu erhalten. Sehr wohl aber muss es uns interessieren, ob wir als Nation, als Gesellschaft, als Bürger und als Individuen künftig noch ausreichend mit journalistischen Inhalten versorgt werden, die uns die freiwillige Teilhabe am Gemeinwesen und an den demokratischen Prozessen ermöglichen.

Die Kosten dafür sind das eine. Dieses Problem ist, Hand aufs Herz, lösbar. Schwieriger ist es im derzeitigen politischen Klima und angesichts der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten, in einer sorgsamen Güterabwägung zwischen unerwünschter Marktintervention und gemeinschaftlicher Interessenwahrung den medialen Service public als ein Gesamtsystem zu begreifen und nicht mehr nur auf einen Finanzierungsschlüssel oder auf die Zähmung der SRG zu reduzieren. Das neue Mediengesetz, das diesen Sommer in die Vernehmlassung kommt und das sich auf der Basis der Verfassung ohnehin nur auf die elektronischen Medien konzentrieren kann, wird diesem Anspruch mutmasslich nicht gerecht. Es wäre aber wünschenswert, dass es eine etwas agilere, innovativere und mutigere Medienpolitik für dieses Land auch nicht auf Jahre hinaus verhindert.

  1. Der Autor äussert in diesem Artikel ausschliesslich seine persönliche Meinung. []

Zitiervorschlag: Markus Spillmann (2018). Mehr Service public im Medienmarkt erwünscht. Die Volkswirtschaft, 16. April.