Die anfängliche Euphorie ist verflogen. Ist Facebook als Informationsinfrastruktur nicht geeignet? (Bild: Keystone)
Die Geschichte wiederholt sich. Die breite Verfügbarkeit des Wissens nach der Erfindung des Buchdrucks beendete die düstere Epoche des Glaubens und läutete die Neuzeit, die Aufklärung und den auf Angebot und Nachfrage fussenden Kapitalismus ein. Es gibt Gründe zur Annahme, dass die zweite Informationsrevolution, die wir derzeit durch die Digitalisierung erleben, ähnlich epochale Auswirkungen zeitigen wird.
Wie sehr scheinbar ewige Regeln bereits ausser Kraft sind, merken wir alle in unserem Alltag. Die Zeiten, in denen Wissen Macht bedeutete und ein Informationsvorsprung ein klarer Geschäftsvorteil war, gehen dem Ende zu. Eine Preissuchmaschine findet heute für alle das gleiche billigste Angebot, und für die Mehrheit der Bevölkerung gilt inzwischen der scherzhafte Schülerspruch: «Wissen ist das Gleiche wie Googeln, einfach in krass!»
Vor Gutenberg kostete ein Buch so viel wie ein grosses Stadthaus. Heute kostet eine Zeitung so viel wie ein Kaffee, und selbst das ist den meisten Leuten zu teuer. «Informationen sind heute eine Ware, die man nicht mehr besitzen kann, weil sie sich sofort verflüchtigen», bringt es der amerikanische Journalist Jeff Jarvis auf den Punkt.
Eigene Relevanz-Definitionen
Wenn ich etwas wissen will, finde ich heute die Information. Oder noch besser: Die Information findet mich und mein Interesse gleich selbst. Aber welche Inhalte lasse ich zu mir kommen? Welche sind glaubwürdig? Was ist wichtig?
Das ist das Dilemma, in dem unsere Mediengesellschaft aktuell steckt. Der regelrechte Inhaltsbeschuss sorgt für Unübersichtlichkeit und führt zum Autoritätsverlust. Klassischen Medienmarken wird zunehmend der direkte kommunikative Nahkampf in den sozialen Medien entgegengesetzt.
Niemand liest das Internet von vorne bis hinten durch. Angesichts der Informationsschwemme hat jeder damit angefangen, die Relevanz der Inhalte selber zu definieren. Dabei entscheiden etwa der Wohnort oder die eigenen Interessen darüber, ob eine Information individuell relevant ist oder nicht. Es gibt aber auch eine Datenrelevanz: Sind die Informationen vom Urheber, oder ist es lediglich die dritte Zusammenfassung oder Übersetzung? Zudem ist entscheidend, ob eine Information glaubwürdig ist. Hier spielen etwa die Marke und die Transparenz eines Medienprodukts eine Rolle. Und schliesslich sind die Themen, über welche die eigenen Freunde diskutieren, für viele wichtiger als der nächste Hurrikan in Florida, über den der «Tagesschau»-Sprecher gerade berichtet.
Die für mich relevanten Inhalte kommen via Linkempfehlungen von Freunden zu mir, aber auch durch Algorithmen und zunehmend smarter werdende Helferlein wie Alexa von Amazon und Google Home. Diese digitalen Assistenten müssen einem nicht sympathisch sein, aber sie machen deutlich, wie absurd uns der Gedanke, für Informationen zu bezahlen, bald vorkommen wird.
«Alexa, wenn du mir noch einmal einen langweiligen Artikel empfiehlst, für den ich extra zahlen soll, werfe ich dich aus dem Fenster» – diesen Satz könnten wir uns vermutlich bald selber sagen hören. Informationen gibt es in Hülle und Fülle. Das kostbare Gut ist meine Aufmerksamkeit. Die Informationen werden zunehmend auf mein Profil geschneidert. Das macht sie für mich relevanter und äusserst wertvoll, wenn ich diese Daten verknüpfen kann. Das zeigt sich nicht nur in den Medien, sondern auch in anderen Bereichen: Amazon, der Betreiber von Alexa, ist gerade daran, in den Versicherungsmarkt einzusteigen. Denn Alexa weiss genau, wie oft ich wirklich jogge und wie oft nicht.
Facebook als Informationsplattform ungeeignet
Diese allumfassende Datenverknüpfung birgt enormen Konfliktstoff. Der Widerstand der Politik regt sich entsprechend in verschiedenen Ländern. Versuche, wie etwa das Netzwerkdurchsetzungsgesetz[1] in Deutschland, sind plump und wenig tauglich. Es zeigt aber, dass erkannt worden ist, dass sich Facebook und Co. auf keine Art und Weise als neutrale Informationsinfrastruktur eignen. Endlich.
Facebook ordnet die Landesbewohner nach den Zielgruppenbedürfnissen ihrer Werbekunden. Aus gesellschaftlicher Sicht sind die Folgen umfassend: Facebook behandelt die Vielschichtigkeit der Gesellschaft etwa so wie der Künstler Ursus Wehrli die zu ordnenden Objekte in seinem Buch «Kunst aufräumen». Wehrlis Resultate sind höchst absurd und amüsant. Ob auch die nach Zielgruppen aufgeräumte Gesellschaft lustig wird, wird sich zeigen. Wir erleben es derzeit in dem grossen Social-Media-Experiment, an dem wir teilnehmen. Der Ausgang ist ungewiss.
Die Plattformen sind als Infrastruktur inzwischen so wichtig, dass der deutsche Ökonom Nick Srnicek in seinem Buch «Platform Capitalism» bereits anregt, über Verstaatlichung nachzudenken. Nur ist das angesichts der globalen Verbreitung nicht mehr so einfach wie damals, als private Eisenbahnen oder Elektrizitätswerke so essenziell für eine Gesellschaft wurden, dass sie von den Nationalstaaten in den Besitz der Allgemeinheit übergeführt wurden. Aber immerhin: Bezüglich der derzeit alles beherrschenden Plattformen mit ihrer The-Winner-Takes-It-All-Ökonomie gibt es ökonomische Hoffnung. Und diese Hoffnung ist dezentral.
Dezentrales Mediensystem
Blockchain und neue dezentrale Verteilsysteme wie etwa Ethereum werden vor der Medienwirtschaft nicht mehr lange haltmachen. Diese neuen Technologien werden eine dezentral geregelte Teilhabe an der Wertschöpfung und wesentlich feiner austarierte Erwerbsmodelle zulassen. Was das heisst, sieht man zurzeit etwa an dem Medien-Start-up Refind, das der Basler Unternehmer Dominik Grollimund hochzieht.
Auf der Medienplattform Refind wird letztlich auch der Nutzer für seine Zeit belohnt. Die Inhalte aus aller Welt gibt es gratis, aber wer Freunde einlädt oder Artikel teilt, bekommt 20 bis 30 virtuelle Coins. Diese haben bisher allerdings noch nichts mit einer Kryptowährung zu tun. Es handelt sich lediglich um sogenannte Tokens, von denen es gleich eine Milliarde gibt. Das Beispiel von Refind zeigt, wie ein dezentrales, viel ausdifferenzierteres Wertschöpfungssystem funktionieren könnte: Wer einen Artikel geschrieben hat, bekommt Geld. Aber nicht nur er, sondern auch die Kuratoren, die den Inhalt geteilt und so vertrieben haben.
Wir haben längst gelernt: «Zentral» hat keine Chance gegen «dezentral». Das war schon beim Grossen Brockhaus gegen Wikipedia so, und auch die jetzt scheinbar allmächtigen Plattformen haben auf lange Sicht den dezentralen Wirtschaftsmechanismen wenig entgegenzusetzen. Artikel und Interesse finden dank künstlicher Intelligenz und lernenden Systemen immer öfter auch ohne Zwischenhändler zueinander. Facebooks Firmenpolitik, die keine Links nach aussen zulässt, wird bald so innovativ wirken wie die Paywalls der Verlagshäuser. Aber wer soll die Inhalte erstellen, wenn sich Journalismus nicht mehr lohnt?
Wettbewerb der Inhalte neu organisieren
An das klassische Zeitungsgeschäft mit den Informationen glaubt niemand mehr wirklich. Aber den Journalismus brauchen wir trotzdem. Derzeit sehen wir, wie sich die Informationserstellung in einen Spendenmarkt verwandelt. Milliardär Christoph Blocher stattet die «Weltwoche» und die «Basler Zeitung» mit Geld aus, und die Verleger des neuen Schweizer Onlinemagazins «Republik» stehen im Kollektiv für ihre Einzelspende Schlange. Das Motiv ist letztlich in beiden Fällen das Gleiche: die Überzeugung und die Identifikation mit dem Produkt.
Aber nur auf Spenden baut man keine vernünftige Medienlandschaft. Um zu verstehen, wie Journalismus in der Schweiz unabhängig und im Wettbewerb betrieben werden kann, lohnt sich ein Vergleich mit der Transportbranche. Kein Schweizer Transportunternehmer würde Geld verdienen, wenn nur eine einzige private Autobahn zur Verfügung stünde und deren Besitzer – ähnlich wie Facebook heute – laufend und ohne Ankündigung Preise, Spurbreite und Verkehrsregeln änderte.
Für die Kernaufgabe, den Transport, brauchte es eine gemeinsame Infrastruktur und ein paar Regeln, an die man sich hält. Trotz dieser gemeinsamen Basis würde niemand behaupten, im Transportgewerbe herrsche kein oder zu wenig Wettbewerb. Allerdings würde es auch keinem Lastwagenfahrer in den Sinn kommen, selber eine Strasse zu bauen, damit er die anderen beherrschen kann. Die Kosten für die gemeinsame Infrastruktur tragen alle gemeinsam. Dafür können sie dem Kern ihres Unternehmens nachgehen: dem Erbringen von Transportleistungen zum Nutzen aller, unabhängig und in scharfem Wettbewerb untereinander.
Der Journalismus nach dem Ende der Verleger-Ära steht aktuell genau vor diesem Schritt. Es braucht eines oder besser mehrere technische und inhaltliche Infrastruktur-Angebote. Nur so können neue, unabhängige Medienmarken und eine vielfältige Medienlandschaft entstehen. Auf einer solchen digitalen Allmende werden die allgemeinen Kosten jedes Einzelnen drastisch gesenkt. Dadurch stünden – etwa für den Vertrieb bzw. den Weg der Inhalte zum Interesse – endlich adäquate Mittel zur Verfügung. Aber auch bereits erstellte und finanzierte SRG-Inhalte sollten, ebenso wie das Grundrauschen einer vermutlich bald öffentlich subventionierten Nachrichtenagentur, allen zur Verfügung stehen.
Auf dieser kostengünstigen Basis wird es beispielsweise wieder möglich sein, lokale oder regionale Medienmarken aufzubauen. Auch die im neuen Mediengesetz sich abzeichnende direkte Medienförderung für Onlinejournalismus wird wesentlich effizienter. Denn dadurch fliesst das Geld direkt in den Inhalt und das Markenprofil und nicht mehr in den Aufbau eines Kanals.
Die Forderung nach einer gemeinsamen Infrastruktur ist bereits in den Vorschlag der Eidgenössischen Medienkommission geflossen. Die Verleger und ihre Lobbyisten wollen alles Mögliche, aber sicher keine zusätzlichen Wettbewerber. Aber dem logischen Gedanken einer gemeinsamen Infrastruktur haben sie so wenig entgegenzusetzen wie Facebook und andere Plattformen der dezentralen Blockchain-Ökonomie.
- Gemäss dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz müssen rechtswidrige Inhalte von den Betreibern sozialer Netzwerke innerhalb von 24 Stunden gelöscht werden. []
Zitiervorschlag: Voigt, Hansi (2018). Ein digitaler Marktplatz für mehr inhaltlichen Wettbewerb. Die Volkswirtschaft, 24. April.