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Die Berufsbildung fit für die Zukunft machen

Lebenslanges Lernen gewinnt in der Arbeitswelt an Bedeutung. Das Leitbild «Berufsbildung 2030» von Bund, Kantonen und Organisationen der Arbeitswelt geht auf diese Entwicklung ein.
Angesichts des demografischen Wandels müssen Bildungsangebote vermehrt auf Erwachsene zugeschnitten sein. (Bild: Keystone)

Die Schweizer Berufsbildung gilt international als Erfolgsmodell: Zwei Drittel aller Jugendlichen entscheiden sich hierzulande für eine berufliche Grundbildung, um sich auf ihren Eintritt in den Arbeitsmarkt vorzubereiten. Der berufsbildende Weg bietet Karriereperspektiven und verschiedene Möglichkeiten zur Höherqualifizierung (siehe Abbildung).

Um in Zukunft gleichermassen attraktiv zu bleiben, muss die Berufsbildung Trends im Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft aufnehmen und möglichst optimale Rahmenbedingungen bieten. Dabei muss sie sowohl auf die aktuellen Bedürfnisse der Wirtschaft wie auch auf die Bedürfnisse ihrer Absolventen ausgerichtet sein.

Vor diesem Hintergrund haben die Verbundpartner der Berufsbildung – Bund, Kantone und Organisationen der Arbeitswelt – das Leitbild «Berufsbildung 2030» erarbeitet.[1] Es schafft die Basis für das gemeinsame und zielorientierte Handeln der Verbundpartner.

Das Berufsbildungssystem in der Schweiz




Anmerkung: Die Berufsbildung ist auf der Sekundarstufe II und der Tertiärstufe angesiedelt. Sie umfasst die berufliche Grundbildung, die Berufsmaturität, die höhere Berufsbildung und die berufsorientierte Weiterbildung. Die Berufsbildung baut auf klar definierten Bildungsangeboten und nationalen Qualifikationsverfahren auf und ist von einer hohen Durchlässigkeit geprägt.

Vier Stossrichtungen


Bei der Umsetzung des Leitbilds stehen vier zeitlich priorisierte Stossrichtungen im Zentrum. Die erste betrifft das lebenslange Lernen: Angesichts des raschen technologischen Wandels wird eine kontinuierliche Weiterqualifizierung unabdingbar. Da die Digitalisierung Berufsinhalte verändert, müssen sich auch erfahrene Fachkräfte gegebenenfalls zusätzlich dafür qualifizieren. Hinzu kommt, dass Berufskarrieren tendenziell nicht mehr linear verlaufen. Die berufliche Mobilität und damit die Zahl von Quereinsteigenden nimmt zu.

Die Berufsbildung soll Perspektiven bieten, sich beruflich lebenslang zu entwickeln und in die Gesellschaft zu integrieren. Deshalb gilt es, die Berufsbildungsangebote auf ihre Kompatibilität mit dem Konzept des lebenslangen Lernens zu analysieren. Um den Prozess des lebenslangen Lernens zu fördern, braucht es zudem Modelle zur Anrechnung von formal, nonformal wie auch informell erworbenen Kompetenzen an formale Berufsbildungsangebote. Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die in einem Kurs ohne staatlich anerkannten Abschluss erworben wurden, sollen bei der Absolvierung eines formalen Berufsbildungsabschlusses angemessen berücksichtigt werden können.

Ein zweiter Schwerpunkt bei der Umsetzung des Leitbilds «Berufsbildung 2030» ist die Flexibilisierung der Bildungsangebote – ausgerichtet auf ein sich änderndes Zielpublikum. So führen die zunehmende berufliche Mobilität, die Auswirkungen der Migration wie auch der demografische Wandel in der Bevölkerung dazu, dass sich Berufsbildungsabsolventen hinsichtlich ihres Alters und ihrer Vorkenntnisse stärker unterscheiden. Die Schweizer Bevölkerung altert tendenziell – es scheiden mehr ältere Arbeitskräfte aus dem Erwerbsleben aus, als junge einsteigen. Hinzu kommt: Späte Berufswechsel wie auch die Zuwanderung von Erwachsenen ohne Abschluss auf der Sekundarstufe II mehren sich. Folglich gewinnt die Berufsbildung für eine optimale Ausschöpfung des Fachkräftepotenzials von erwachsenen Personen an Bedeutung. Berufsbildungsangebote müssen somit nicht mehr nur auf Bedürfnisse von Jugendlichen, sondern zunehmend auch auf jene von Erwachsenen zugeschnitten sein.

Gleichzeitig sind neue Inhalte zeitnah und einfach in Berufsbildungsangebote zu integrieren, um arbeitsmarktgerecht zu bleiben. Dazu gehören sowohl die Integration transversaler Kompetenzen – beispielsweise im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie, Fremdsprachen oder Career Management Skills – als auch die Integration neuer branchen- und berufsspezifischer Kenntnisse.

Es gilt somit, möglichst anpassungsfähige Strukturen sowohl für die Nachfrage- wie auch für die Angebotsseite der Berufsbildung zu schaffen. Dabei sollen Synergien zwischen Berufen und Branchen wie auch die Chancen, welche die Digitalisierung bietet, erkannt und genutzt werden.

Die dritte Stossrichtung zielt auf die Stärkung der Information und Beratung über die gesamte Bildungs- und Arbeitslaufbahn: Entscheidend für den Erfolg des Berufsbildungssystems ist, dass Jugendliche und Erwachsene die Chancen und Möglichkeiten der Berufsbildung erkennen und sich im System orientieren können. Der Zugang zu Information, Beratung und Begleitung muss sowohl für Absolventen wie auch für Unternehmen gesichert sein. Neue Trends in der Wirtschaft und der Gesellschaft stellen auch neue Ansprüche an die Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung. Aspekte wie die Förderung von geschlechtsuntypischen Berufswahlen, der rechtzeitige Einbezug von Eltern, der digitale Zugang zu Beratungsangeboten für Erwachsene und Jugendliche gewinnen an Bedeutung. Bestehende Angebote wie beispielsweise die vor Ort verfügbaren kantonalen Berufs-, Studien- und Laufbahnberatungsstellen und bereits digitalisierte Instrumente wie das Portal Berufsberatung.ch müssen dahin gehend geprüft und allenfalls weiterentwickelt werden.

Schliesslich soll als vierte Stossrichtung die Verbundpartnerschaft zwischen Bund, Kantonen und Organisationen der Arbeitswelt gestärkt werden. Mit dem Inkrafttreten des neuen Berufsbildungsgesetzes im Jahr 2004 wurde die Verbundpartnerschaft institutionalisiert. Gemeinsam setzen sich die drei Partner für eine qualitativ hochstehende Berufsbildung ein: Der Bund übernimmt die strategische Steuerung und Entwicklung, die Organisationen der Arbeitswelt definieren die Bildungsinhalte und stellen Ausbildungsplätze bereit, und die Kantone sind verantwortlich für den Vollzug des Berufsbildungsgesetzes.

Die Zusammenarbeit hat sich in verschiedenen verbundpartnerschaftlich zusammengesetzten Organen auf unterschiedlichen Ebenen etabliert. Dazu gehört beispielsweise das jährliche nationale Spitzentreffen der Berufsbildung, welches Wirtschafts- und Bildungsminister Johann Schneider-Ammann leitet. Weitere Beispiele sind die Eidgenössische Kommission für Berufsbildung (EBBK) und die berufsspezifischen Kommissionen Berufsentwicklung und Qualität.

Nun gilt es, die Verteilung der Aufgaben, der Kompetenzen und der Verantwortung unter den einzelnen Verbundpartnern zu überdenken und gegebenenfalls zu optimieren. Dazu gehört beispielsweise die Überprüfung der bestehenden verbundpartnerschaftlichen Organe im Hinblick auf innovative Formen der Zusammenarbeit wie auch auf die Vereinfachung von Prozessen unter Nutzung neuer Technologien.

Umsetzung beginnt


Die vier Stossrichtungen geben Leitplanken zur Entwicklung der Berufsbildung in den nächsten Jahren vor. Erste Handlungsfelder sind identifiziert, und der Prozess «Berufsbildung 2030» geht nun in die Umsetzungsphase. Entscheidend ist hierbei, einen guten Weg zwischen Innovation und Tradition zu finden. An Prämissen wie der Dualität zwischen Praxis und Theorie, der Arbeitsmarktorientierung der Bildungsangebote, dem Berufskonzept und der gleichzeitig möglichst ausgeprägten Durchlässigkeit des Systems wird festgehalten.

Und doch sollen neue Wege beschritten und Lösungen erarbeitet werden, die auf die veränderten Rahmenbedingungen eingehen. Solche Ideen entstehen im konstruktiven Austausch der Verbundpartner auf allen Ebenen der Berufsbildung. Wie der Erarbeitungsprozess soll auch die Umsetzungsphase des Leitbilds Berufsbildung 2030 möglichst partizipativ gestaltet werden. Während es an den Akteuren auf Steuerungsebene liegt, optimale Rahmenbedingungen zu schaffen, ist insbesondere die Entwicklung und Unterstützung neuer Ideen aus der Praxis unabdingbar für eine zielorientierte Weiterentwicklung der Schweizer Berufsbildung.

  1. Siehe www.sbfi.admin.ch/bb2030[]

Zitiervorschlag: Stefanie Bosshard (2018). Die Berufsbildung fit für die Zukunft machen. Die Volkswirtschaft, 25. Juni.