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Neue Technologien für die Bildung in der Schweiz

Die ETH Lausanne treibt die digitale Bildung voran. Im «Edtech»-Sektor ihres Innovationsparks finden sich bereits 70 Start-ups.
Ein zielgerichtetes Computerprogramm verbessert den Lernerfolg in der Schule. (Bild: Keystone)

Bildung ist ein zentraler Bestandteil der Schweizer Wirtschaft, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor. Der Markt für Technologien im Bildungsbereich – Educational Technologies (Edtech) – beinhaltet in erster Linie digitale Lerntools und Services. Auffallend ist das breite Spektrum an Produkten und Leistungen. Beispiele sind eine App, mit der Lehrpersonen administrative Aufgaben schneller erledigen, eine Lernsoftware für Kinder mit Dyslexie, ein Roboter zum Erwerb von Programmierkenntnissen, eine App für Eltern, die Nachhilfestunden für ihre Kinder organisieren wollen, ein Kit, das Jugendlichen die Sonnenenergie erklärt, eine Plattform für Onlinekurse in einer Firma oder ein Tool zur Rekrutierung von Hochschulstudierenden.

Da es unzählige Edtech-Anbieter gibt und kein Produktkatalog besteht, ist es für Bildungsverantwortliche schwierig, sich einen Überblick zu verschaffen. Bevor sie ein Tool beschaffen können, müssen sie mehrere Anbieter konsultieren.

Der Markt ist in zahllose Start-ups zersplittert, von denen die meisten zwischen zwei und zehn Mitarbeitenden beschäftigen. Diese Kleinunternehmen wenden sich zudem oft an heterogene Zielgruppen: Entscheidungsträger im Bildungssystem – Lehrkräfte, insbesondere Schulleitungen und kantonale Verantwortliche –, Eltern, Personalverantwortliche und Lernende. Ein Lernender ist beispielsweise jemand, der sich für einen «Massive Open Online Course» (Mooc) anmeldet. Als Mooc werden Lehreinheiten in der Erwachsenenbildung bezeichnet, die online auch Nichtstudenten zur Verfügung stehen.

Langsames Wachstum


Edtech-Start-ups wachsen relativ langsam – vor allem wenn sie auf die öffentliche Bildung ausgerichtet sind.[1] Teilweise liegt dies daran, dass Schulleitungen ein Budget in der Regel mehr als ein Jahr im Voraus beantragen müssen. Die meisten Jungunternehmen expandieren zudem organisch, das heisst eher durch neue Kunden als durch Investoren. Wobei: Grosskunden sind manchmal durchaus bereit, auch die Rolle eines Investors zu übernehmen.

Die meisten Start-ups benötigen keine astronomischen Summen. Bei einem Investorentreffen reichten kürzlich die Wünsche von 200’000 bis 2 Millionen Franken, hauptsächlich zur Kundenakquisition und zur Erweiterung der bereitgestellten Inhalte. Interessant ist auch, dass ein Teil der Jungunternehmen nicht gewinnorientiert arbeitet: Sie träumen nicht davon, in drei Jahren von einer grossen Schwester aufgekauft zu werden, sondern wollen sich weiterentwickeln, Arbeitsplätze schaffen und vor allem einen positiven Beitrag zur Bildung leisten. Ein solcher Fall ist Mobsya, ein Spin-off der ETH Lausanne (EPFL), das bereits mehr als 35’000 Roboter an Familien und Schulen verkauft hat.

Innovation am Swiss Edtech Collider


Die ETH Lausanne hat sich in Europa einen Ruf als Zentrum für digitale Bildung geschaffen. Für die von ihr bereitgestellten 80 Mooc-Onlinekurse haben sich weltweit bisher über 2 Millionen Personen eingeschrieben. Mit dem Online-Weiterbildungsangebot «Extension School» engagiert sie sich an vorderster Front in der Vermittlung des Computational Thinking mit oder ohne Roboter. Ausserdem forschen mehrere EPFL-Labors zu Bildungstechnologien, insbesondere zur dualen Berufsbildung.

Auf diesem fruchtbaren Boden gedeihen seit vergangenem Jahr 70 Schweizer Start-ups im Umfeld des Inkubators «Swiss Edtech Collider» am Innovationspark der ETH Lausanne. Sie profitieren von einem Ökosystem, das Studierende zu Höchstleistungen motiviert und in dem Gastdozenten aus der Hochschul- und der Unternehmenswelt regelmässig Konferenzen abhalten. Der Technologietransfer zwischen den EPFL-Labors und den Jungunternehmen findet dabei in beide Richtungen statt.

Lerntool für Schreiner


Ein Beispiel für ein in unserem Labor entwickeltes Edtech-Werkzeug ist das Augmented-Reality-Lerntool, welches der Ausbildung von Logistik- und Schreinereilernenden dient. Um die Wirkung des Tools zu messen, vergleichen wir die Lernfortschritte von zwei Klassen, von denen die eine das Tool und die andere die herkömmliche Methode verwendet hat. Ausschlaggebend ist dabei der Wissensstand nach einer Lektion: Wenn die Lernfortschritte in der Gruppe, die mit dem Tool arbeitet, deutlich höher sind als in der Gruppe mit der traditionellen Lernmethode, hat sich der Einsatz des Augmented-Reality-Tools gelohnt.

Allerdings muss man aufpassen mit Verallgemeinerungen. So kann man nicht sagen, dass alle Augmented-Reality-Tools grundsätzlich von Nutzen sind. Wir haben beispielsweise gezeigt, dass unsere Mooc die Erfolgschancen von Studierenden am Ende unseres sehr selektiven Propädeutikjahres steigern. Dies bedeutet aber nicht, dass alle Mooc effizient sind, sondern gilt nur für die analysierten Tools.

Dass die Ergebnisse mit Zurückhaltung verallgemeinert werden sollten, dürfte keine Überraschung sein – schliesslich würde auch niemand behaupten, dass Bücher Lerninhalte effizient vermitteln, sondern wir alle wissen, dass die Wirkung von der Qualität eines bestimmten Buches abhängt. Trotzdem kommt es häufig vor, dass Medienschaffende allgemeine Fragen über die Effizienz von Mooc oder Robotern stellen.

Viele politische Entscheidungen beruhen ebenfalls auf Verallgemeinerungen und dem festen Glauben, dass eine bestimmte Technologie an sich ein bestimmtes Ergebnis gewährleistet. Aus diesem Grund liefern die EPFL-Labors keine «schlüsselfertigen» Lernlösungen, sondern setzen auf einen regelmässigen Austausch zwischen Forschungslabor und Start-up, um den Transfer von Forschungsergebnissen zu maximieren.

  1. Eine Ausnahme ist die Coorp Academy, ein vom Innovationspark der ETH Lausanne gefördertes Start-up. []

Zitiervorschlag: Pierre Dillenbourg (2018). Neue Technologien für die Bildung in der Schweiz. Die Volkswirtschaft, 25. Juni.