Homeoffice vor der Bergkulisse
Standortunabhängige, digitale Arbeitsformen helfen ländliche Gebiete wiederzubeleben. Blick auf den Kirchturm von Comologno im Onsernonetal. (Bild: Keystone)
Die Digitalisierung ist aktuell in aller Munde: Reisebuchungen im Internet, automatisierte Herstellungsprozesse in der Industrie oder mobiles Arbeiten – ganz unterschiedliche Alltagsbereiche, Branchen und Tätigkeiten sind davon tangiert. Die Chancen und Risiken, die mit dieser Transformation einhergehen, unterscheiden sich je nach Region aber erheblich.
Bei der Beschäftigung und der ständigen Wohnbevölkerung zeigt sich für die letzten Jahre: Städte und Agglomerationen haben sich im Vergleich zur Gesamtschweiz überdurchschnittlich entwickelt. Sie verfügen über wichtige Standortvorteile in Bezug auf hoch qualifizierte Arbeitskräfte, bei der Nähe zu Bildungs- und Forschungsinstitutionen, bei Innovationen und teils auch bei der Lebensqualität. Es ist wenig wahrscheinlich, dass dies die Digitalisierung grundlegend ändern wird. Was bedeutet das für die übrigen Regionen?
Mit der Neuen Regionalpolitik (NRP), einem Förderinstrument des Bundes, werden Berggebiete, ländliche Regionen und Grenzregionen wirtschaftlich gestärkt (siehe Kasten 1). Doch wie wirkt sich die Digitalisierung auf diese Zielregionen aus? Welche Aspekte der Digitalisierung sind für die Zielgebiete und Akteure der NRP besonders relevant? Und wie kann die NRP die Regionen beim digitalen Strukturwandel unterstützen?
Angesichts der Herausforderungen durch die Digitalisierung hat das Ressort Regional- und Raumordnungspolitik des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) beim Forschungsunternehmen Infras eine Studie in Auftrag gegeben. In dieser Studie[1] wurden die Auswirkungen der Digitalisierung auf die vier für die NRP relevanten Raumtypen (Agglomerationen und übrige städtische Gemeinden, periurbaner ländlicher Raum, alpine Tourismuszentren, peripherer ländlicher Raum) untersucht und Empfehlungen formuliert.
Fünf Herausforderungen
Insgesamt kann sich die Digitalisierung ganz unterschiedlich auswirken: Einerseits können Automatisierungen zu einem Verlust von Arbeitsplätzen führen, andererseits können ausländische Feriengäste über Plattformen zusätzliche Übernachtungen buchen, oder mobilere und standortunabhängige Arbeitsformen können einen Wohnort beleben. Wie sich diese Wirkungen manifestieren, hängt von den Voraussetzungen in den einzelnen Regionen ab. Für die Zielregionen der NRP sieht die Studie grundsätzlich fünf zentrale Herausforderungen (siehe Abbildung):
- Neue Vertriebskanäle: Die digitalen Marktplätze der Plattformökonomie wie etwa Booking.com sind für Anbieter und Nutzer von überall auf der Welt erreichbar. Das bringt den Konsumenten mehr Wahlmöglichkeiten und den Unternehmen eine grössere Anzahl potenzieller Kunden. Die Transaktionen über Plattformen generieren zudem grosse Mengen an Daten, die wiederum wirtschaftlich verwendbar sind.
- Verstärkte Vernetzung: Die stärkere Vernetzung von Produktionseinheiten, verschiedenen Stufen der Wertschöpfung und Konsum- oder Investitionsgütern durch das Internet der Dinge kann die Effizienz steigern und führt zu neuen Geschäftsmodellen. Immer wichtiger wird auch die raumübergreifende Vernetzung zwischen Unternehmen sowie mit Forschungseinrichtungen und Behörden.
- Weiterführende Automatisierungen: Sie können in der Industrie, in der Landwirtschaft und in Dienstleistungsbranchen Produktivitätsfortschritte erzielen. Automatisierungen in Unternehmen sind allerdings oft kapitalintensiv.
- Veränderungen des Arbeitsmarktes: Neue Arbeitsformen wie «Coworking Spaces» und flexible Rekrutierungsmöglichkeiten über Plattformen wie Gigme.ch verändern die Nachfrage- und Angebotsstrukturen auf dem Arbeitsmarkt. Arbeitsprozesse werden in Zukunft noch intensiver auf Wissen basieren.
- Enträumlichung: Die Digitalisierung senkt die Transaktionskosten und kann dazu führen, dass Räume und Distanzen anders wahrgenommen werden. Der physische Standort eines Unternehmens wird weniger wichtig, der Raum wird vermehrt durch Netzwerke geprägt. Das erleichtert dezentrale Arbeitsformen wie Homeoffice.
Herausforderungen der Digitalisierung für die NRP-Zielregionen
Chancen und Risiken für den ländlichen Raum
Chancen bieten sich den Zielregionen der NRP durch die neuen Vertriebskanäle und zusätzlichen Vernetzungsmöglichkeiten. Dank der leichteren Vernetzung mit Unternehmen und Hochschulen können vor allem Akteure in den peripheren Gebieten einfacher die für sie notwendigen Kompetenzen erlernen. Indem in der Region verfügbare Daten digitalisiert und zugänglich gemacht werden, ergeben sich zusätzliche Potenziale für neue Geschäftsmodelle und neue Wertschöpfungsquellen.
In den peripheren Gebieten manifestieren sich gleichzeitig auch die grössten Risiken. Gemeint ist die Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften: Denn die Unternehmen müssen selber über digitales Know-how verfügen. Dazu müssen gut und hoch qualifizierte Personen in der Region verfügbar sein, und die Regionen müssen als Standort attraktiv genug sein, um im Wettbewerb um Fachkräfte und innovative Unternehmen mithalten zu können. Besonders deutlich zeigen sich die Chancen und Risiken in den alpinen Tourismuszentren. Mit den neuen Vertriebskanälen im Internet – beispielsweise die Buchungsplattformen der einzelnen Tourismusdestinationen – rücken die Anbieter näher an die Feriengäste und erzielen eine grössere Reichweite. Allerdings steigt damit auch der Konkurrenzdruck.
Die digitalisierten und ortsunabhängigen Angebote fordern die NRP zudem auf einer weiteren Ebene heraus: Buchungen über internationale Tourismusplattformen wie etwa Airbnb vermindern die lokale Wertschöpfung. Generell wird es immer schwieriger, die Unternehmenswertschöpfung einer Region zuzuordnen.
Schwerpunktthema Digitalisierung
Die NRP bringt gute Voraussetzungen mit, um die Regionen künftig bei der Bewältigung des digitalen Strukturwandels zu unterstützen. Das zeigt das Beispiel von «Mia Engiadina» (siehe Kasten 2), wo die NRP bereits heute ein Projekt mit engerem Bezug zur Digitalisierung fördert.[2] Die NRP ist aber auch konzeptionell herausgefordert. Ihr Fokus auf die Wettbewerbsfähigkeit und die Innovationsdynamik der Regionen gewinnt mit der Digitalisierung weiter an Bedeutung. Das gilt insbesondere für die regionalen Innovationssysteme, welche kleine und mittlere Unternehmen bei der Optimierung ihrer Innovationsprozesse in grösseren, überkantonalen Wirtschaftsräumen unterstützen. Beispiele dafür sind Agire in der Südschweiz und «Zentralschweiz innovativ» in der Innerschweiz. Gleichzeitig wirft der digitale Wandel die Frage auf, ob die strikte Fokussierung der NRP auf Projekte mit Wertschöpfung und Exportleistungen aus einer Region hinaus noch zeitgemäss ist, wenn sich die Wertschöpfung mit der Digitalisierung immer weniger lokalisieren lässt und wenn Arbeiten und Wohnen wie beim Homeoffice verschmelzen. Die Studie kommt deshalb zum Schluss, dass Bund, Kantone und Regionen folgende acht Empfehlungen beachten sollten:
- Digitalisierung als Schwerpunktthema aufnehmen: Um die Digitalisierung noch sichtbarer zu machen, sollte sie explizit Eingang finden in die Strategie «Standortförderung des Bundes» und das NRP-Mehrjahresprogramm; entweder als prioritär zu förderndes Querschnittsthema oder explizit als neuer Förderschwerpunkt.
- Exportorientierte Wertschöpfungssysteme breiter andenken: Die NRP soll die aktuell im Fokus stehenden Wertschöpfungssysteme Industrie und Tourismus künftig breiter andenken und auslegen. Neben direkten Wertschöpfungseffekten von Unternehmen vor Ort sollten auch die indirekten Effekte berücksichtigt werden, beispielsweise durch lokales Arbeiten für nicht standortgebundene Unternehmen und Projekte.
- Kooperationen intensivieren: Die NRP soll Projekte noch höher gewichten, die mehrere Regionen oder Kantone einschliessen und insbesondere Kooperationen zwischen Städten und ländlichen Regionen fördern.
- Zielgruppen sensibilisieren: Die Instrumente und Gefässe der NRP sollten vermehrt genutzt werden, um die Akteure in den NRP-Zielregionen für Herausforderungen und Lösungsansätze bei der digitalen Transformation zu sensibilisieren.
- Digitalisierungspotenziale in der Verwaltung nutzen: Die NRP sollte Digitalisierungsprojekte an der Schnittstelle zwischen öffentlichen und privaten Akteuren verstärkt anstossen und fördern.
- Bessere Erschliessung mit Hochbreitbandnetzen prüfen: Das Seco soll Instrumente und Massnahmen prüfen, die zu einer besseren und schnelleren Erschliessung der NRP-Zielregionen mit Hochbreitbandnetzen führen. Zudem soll es Bedarf, Kosten und Zweckmässigkeit beurteilen.
- Regionale Datenplattformen fördern: Der Aufbau und die Nutzung der lokalen und regionalen Daten und Datenplattformen sollen verstärkt unterstützt werden.
- Angebot an gut qualifizierten Arbeitskräften verbessern: Die NRP soll Projekte für eine verbesserte Aus- und Weiterbildung und einen verbesserten Zugang zu gut qualifizierten Arbeitskräften, insbesondere im Kontext der Digitalisierung, unterstützen.
Das Ressort Regional- und Raumordnungspolitik des Seco lässt die Erkenntnisse sowie Empfehlungen der Studie in seine Arbeiten einfliessen. Es wird das Thema Digitalisierung in der Botschaft zur Standortförderung berücksichtigen. Im Rahmen der NRP soll zum Beispiel ein Fokus auf die Förderung von Digitalisierungsprojekten gelegt und die Regionen und Unternehmen stärker für die Herausforderungen und Lösungsansätze der digitalen Transformation sensibilisiert werden.
- Infras (2018). Digitalisierung und Neue Regionalpolitik, Studie im Auftrag des Seco. Zandonella, R., von Stokar, T., Angst, V., Peter M., Petry, C., in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Reinhard Riedl (Berner Fachhochschule), Zürich, 15. März 2018. Vollständige Studie verfügbar auf Seco.admin.ch. []
- Weitere Projekte finden sich in der Studie (vgl. Infras 2018) und auf www.regiosuisse.ch. []
Zitiervorschlag: Zandonella, Remo; Angst, Vanessa; von Stokar, Thomas (2018). Homeoffice vor der Bergkulisse. Die Volkswirtschaft, 25. Juni.
Die Neue Regionalpolitik (NRP) ist Teil der Standortförderung des Bundes und seit 2008 in Kraft. Sie ist ein Förderinstrument des Bundes zur wirtschaftlichen Stärkung der Berggebiete, der weiteren ländlichen Räume und der Grenzregionen. Die NRP soll in diesen Räumen die Wettbewerbsfähigkeit und die Wertschöpfung erhöhen und so Arbeitsplätze schaffen und erhalten. Dadurch soll eine dezentrale Besiedlung unterstützt und regionale Disparitäten abgebaut werden. Der Bund setzt die NRP mit den Kantonen partnerschaftlich um. Der Hauptpfeiler des Instruments ist die Projektförderung, aktuell mit den Schwerpunkten Industrie und Tourismus. Auf Basis von kantonalen Umsetzungsprogrammen werden geeignete Projekte und Initiativen durch den Bund und mindestens zu gleichen Teilen durch die Kantone finanziell unterstützt. Ein weiterer Pfeiler der NRP ist die Netzwerkstelle Regionalentwicklung Regiosuisse. Diese vernetzt mit ihrer Wissensplattform die Akteure der NRP und bietet Weiterbildungen an. Für die Periode 2016–2023 stellt der Bund jährlich rund 40 Millionen Franken bereit. Hinzu kommen rund 50 Millionen Franken pro Jahr, die in Form von Darlehen vergeben werden können.
Die Neue Regionalpolitik (NRP) ermöglicht bereits heute Projekte rund um die Digitalisierung. Ein Beispiel ist das im Jahr 2015 lancierte Projekt «Mia Engiadina». Das Projekt will den Umstand nutzen, dass künftig 85 Prozent der Gebäude im Engadin an ein Glasfasernetz angeschlossen werden sollen. Die Konzeptionsphase des Projektes wurde mit NRP-Geldern unterstützt. Im August 2016 eröffnete in Scuol der erste «Mountain Hub». Solche leistungsfähigen «Hubs» sollen im ganzen Engadin entstehen und Möglichkeiten für «Coworking» und den Austausch mit anderen Akteuren schaffen. Mit diesem Leuchtturmprojekt sollen die Akteure in der Region für die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung sensibilisiert werden. Ebenso sollen die «Mountain Hubs» als vernetzte Rückzugsorte dienen, welche Gäste und Unternehmen inspirieren. Angestrebt werden damit unter anderem Kooperationen mit IT-Unternehmen, um etwa neue Arbeitsmodelle zu entwickeln, die der Region frische Impulse vermitteln.