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Was Temporärarbeit über die Wirtschaftslage aussagt

Vor allem Unternehmen, die konjunkturellen Einflüssen ausgesetzt sind, nutzen Temporärarbeit. Die Daten der Personaldienstleister zum Arbeitsvolumen können deshalb auch als Frühindikator für die allgemeine Konjunkturlage dienen.
Nimmt die Anzahl der Arbeitsstunden in der Temporärbranche zu, ist das ein Indiz für eine gute Konjunkturlage. Reinigungspersonal arbeitet an einem Hochhaus. (Bild: Keystone)

Politik, Medien und Wirtschaft – sie alle sind an der Entwicklung von Konjunktur- und Arbeitsmarktdaten interessiert. Zeitnahe Indikatoren für den Wirtschaftsverlauf geben Aufschluss über die Einnahmesituation der öffentlichen Hand, ermöglichen Unternehmen die strategische Planung und geben Hinweise auf die Arbeitsmarktchancen von Stellensuchenden. Seit 2017 gibt es einen neuen Indikator: den Swiss Staffingindex. Diesen hat der Branchenverband der Personaldienstleister Swissstaffing 2017 lanciert. Er dient seither als zuverlässiger Gradmesser für den Geschäftsgang in der Temporärbranche.

Reiche Datengrundlage von Personaldienstleistern


Der Swiss Staffingindex misst die Entwicklung der Einsatzstunden, welche die Temporärarbeitenden hierzulande monatlich leisten. Berücksichtigt werden alle tatsächlich gearbeiteten Stunden, inklusive Überstunden und abzüglich Absenzen. Die Daten stammen von Personaldienstleistern, die Temporärarbeitende vermitteln. Der Index vereint jährlich mehr als 70 Millionen Einsatzstunden von etwa 200 Personaldienstleistern – darunter Branchengrössen wie Adecco, Interiman, Kelly, Manpower und Randstad. Das entspricht einer Marktabdeckung von 40 Prozent. Dank der qualitativ hochwertigen Datenbasis und der breiten Abstützung im Markt kann der Swiss Staffingindex die Branchenentwicklung repräsentativ nachzeichnen.

Gute Rohdaten alleine reichen aber für ein aussagekräftiges Branchenbarometer nicht aus. Deshalb ist die Auswahl der richtigen Masseinheit zentral. Indikatoren wie Umsatz oder Lohnsumme müssten für Faktoren wie Inflation, Lohnsteigerungen oder Änderungen der Bruttomarge korrigiert werden – sei es durch Annahmen oder mittels statistischer Methoden. Das ist beim Swiss Staffingindex nicht der Fall. Denn als Masseinheit werden die tatsächlich gearbeiteten Einsatzstunden verwendet. Diese Grösse ist von solchen Faktoren praktisch unbeeinflusst und macht deshalb Korrekturen beinahe überflüssig (siehe Kasten). Zudem ermöglicht sie Vergleiche über mehrere Jahre. Die Wahl des Indikators Einsatzstunden bringt allerdings einen Nachteil mit sich. Die zunehmende Qualifizierung bei den Temporärarbeitenden und das damit steigende Lohnniveau finden im Swiss Staffingindex keine Berücksichtigung. In anderen Worten: Die Arbeitsstunde einer ungelernten Arbeiterin wiegt gleich viel wie die Arbeitsstunde eines Biotechnikers oder einer Informatikerin.

Seismograf für wirtschaftliche Entwicklung


Dank seiner Konstruktion ist der Swiss Staffingindex ein robuster Indikator für den Geschäftsgang in der Temporärbranche. Aus volkswirtschaftlicher Sicht geht seine Bedeutung jedoch über die eines reinen Branchenbarometers hinaus. Denn Temporärarbeit wird häufig von Unternehmen genutzt, deren Geschäft konjunkturellen Einflüssen unterliegt. Bei guter Auftragslage oder allgemeiner wirtschaftlicher Unsicherheit werden mehr Temporärarbeitende eingestellt, bei schlechter Auftragslage weniger. Damit ist die Branche ein feiner Seismograf für die wirtschaftliche Entwicklung und der Swiss Staffingindex eine wertvolle Ergänzung zu Frühindikatoren wie dem Geschäftslageindikator der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF). Bei Letzterem werden über 4500 Unternehmen um eine Einschätzung ihrer aktuellen Geschäftslage gebeten. Beide Indikatoren bewegen sich grundsätzlich parallel. An einigen Bruchpunkten der wirtschaftlichen Entwicklung reagiert der Swiss Staffingindex sogar früher – so etwa im Verlauf des Jahres 2014 (siehe Abbildung 1).

Abb. 1: Der Swiss Staffingindex und der KOF-Geschäftslageindikator im Vergleich  (2013–2018)




Quelle: Swissstaffing / KOF / Die Volkswirtschaft

Vergleicht man die Entwicklung des Swiss Staffingindex mit der des Bruttoinlandprodukts (BIP), zeigt sich, dass zwischen den beiden ein linearer Zusammenhang besteht (siehe Abbildung 2). Ausreisser sind damit zu erklären, dass die Branche bei Brüchen im Konjunkturverlauf frühzeitig reagierte oder eine allgemeine Verunsicherung in der Wirtschaft das Branchenwachstum belastete. Es fällt auf, dass der Swiss Staffingindex die wirtschaftliche Entwicklung überzeichnet und sensibler auf konjunkturelle Änderungen reagiert als das BIP. So schwanken die Wachstumsraten des Swiss Staffingindex zwischen –4,2 und +15,3 Prozent. Grund für diese Schwankungen ist, dass die Personaldienstleister in Bereichen des Arbeitsmarkts aktiv sind, in denen schnell Stellen aufgebaut werden oder Transitionsprozesse im Gang sind. Allgemeine Arbeitsmarkttrends sind daher stärker spürbar. Für einen Konjunkturindikator ist diese Eigenschaft wünschenswert, da sich neue Entwicklungstendenzen im Wirtschaftsgeschehen überproportional niederschlagen.

Abb. 2: Zusammenhang zwischen BIP-Wachstum und Swiss Staffingindex (2013–2018)




Quelle: Swissstaffing / SNB / Die Volkswirtschaft

Die hohen Wachstumsraten der Branche werfen natürlich die Frage auf, ob nicht ein generelles Branchenwachstum den konjunkturellen Verlauf überlagert. Immerhin haben sich die geleisteten Arbeitsstunden in der Temporärbranche seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt. Der Grund: Die Kombination aus Flexibilität und sozialer Absicherung in der Temporärarbeit trifft den Zeitgeist und erfüllt die Bedürfnisse einer immer grösseren Gruppe von Arbeitnehmenden und Unternehmen. Der Branche ist es gelungen, diese gesellschaftlichen Strömungen aufzunehmen und Temporärarbeit auch für Fachkräfte attraktiv zu machen. Gleichzeitig macht es der technische Fortschritt möglich, über Online-Plattformen wie Adia, Ploy und Coople selbst Kleineinsätze mit Temporärarbeit zu erledigen. Diese Entwicklung widerspiegelt sich zwar im Swiss Staffingindex, sie ist bei der Betrachtung jährlicher Wachstumsraten aber von untergeordneter Bedeutung. Denn die Konjunktur beeinflusst in diesem Zeitraum den Geschäftsgang der Temporärunternehmen stärker als das allgemeine Branchenwachstum.

Starke Schwankungen der Arbeitszeiten


Mit Blick auf die starken Schwankungen stellt sich bei einem wirtschaftlichen Abschwung auch die Frage nach der Arbeitsplatzsicherheit. Dabei ist es wichtig, zu verstehen, dass die Temporärbranche ebenso dynamisch ist wie der restliche Arbeitsmarkt. In allen Wirtschaftslagen finden in grosser Zahl erfolgreiche Wechsel in neue Feststellen statt. Die Temporärbranche fungiert dabei als Brücke im Arbeitsmarkt und erleichtert bei einem Arbeitsplatzverlust den schnellen Wiedereinstieg. Damit übernehmen die privaten Personaldienstleister eine ähnliche Rolle wie die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV). In wirtschaftlich schwierigen Zeiten sind die Vermittlung und die Integration von Arbeitskräften herausfordernder als in Phasen des Booms. Das kann weder den Personaldienstleistern noch den RAV zum Vorwurf gemacht werden. Beide bieten den Stellensuchenden in allen Marktphasen wertvolle Hilfe.

Zurzeit kann man allerdings optimistisch in die Zukunft schauen, wie die guten Prognosen der grossen Konjunkturforschungsinstitute nahelegen. Das bestätigt auch der Swiss Staffingindex: Im ersten Quartal dieses Jahres zeigte er eine Zunahme von 15,3 Prozent an.

Zitiervorschlag: Marius Osterfeld (2018). Was Temporärarbeit über die Wirtschaftslage aussagt. Die Volkswirtschaft, 19. Juli.

Kantonale Feiertage korrigieren

Die Einsatzstunden, die monatlich in den Swiss Staffingindex eingehen, werden einer sogenannten Werktagsbereinigung unterzogen. Dies ist notwendig, da ein zusätzlicher Werktag im Monat die monatlichen Arbeitsstunden um rund 5 Prozent erhöht und bei einem Feiertag um 5 Prozent senkt. Aufgrund der komplexen Feiertagsstruktur in der Schweiz ist eine solche Korrektur nicht trivial. Im Fall des Swiss Staffingindex liefern die Softwareprovider die Einsatzstunden aufgeschlüsselt nach dem Vermittlungskanton. Bevor diese Daten für die gesamte Schweiz aggregiert werden, wird auf kantonaler Ebene eine Werktagsbereinigung vorgenommen.