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EU-Handelspolitik trifft Schweizer Exporteure

Die EU setzt stark auf Freihandelsabkommen mit Drittstaaten. Die Schweiz muss aufpassen, nicht abgehängt zu werden.

EU-Handelspolitik trifft Schweizer Exporteure

Die Verhandlungen zwischen den Efta-Staaten und dem Mercosur sind ins Stocken geraten. Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (Mitte) bei einem Treffen in Davos. (Bild: Keystone)

Welche Handelspolitik verfolgt die Europäische Union? Diese Frage ist aus Sicht der Schweizer Exportwirtschaft wichtig, denn die wichtigsten Konkurrenten stammen häufig aus der EU. Die hiesige Exportindustrie ist deshalb darauf angewiesen, dass die Zugangsbedingungen zu Drittmärkten zumindest denjenigen ihrer direkten Konkurrenten entsprechen.

Die EU ist handelspolitisch ein Riese. Während sie aufgrund mangelnder Kompetenzen und des Unwillens der Mitgliedsstaaten Schwierigkeiten hat, eine einheitliche Aussenpolitik zu gestalten, fällt seit 2009 die Handelspolitik in die alleinige Zuständigkeit der EU. Mit einem Anteil von 16,6 Prozent an den weltweiten Ein- und Ausfuhren ist die EU vor China und den Vereinigten Staaten die grösste Handelsmacht der Welt. Dies trifft nicht nur auf den Handel mit Gütern zu: Auch im Dienstleistungshandel lässt die EU die USA und insbesondere China hinter sich.

Der Aussenhandel ist für die EU wirtschaftlich von grosser Bedeutung. Die Union erzielt etwa ein Drittel ihrer Wertschöpfung im Handel mit Drittstaaten. Dabei hat sich das Aussenhandelsvolumen zwischen 1999 und 2010 verdoppelt. Aber auch für viele Drittländer spielt der Handel mit der EU eine grosse Rolle. Für 59 Drittstaaten ist die EU der wichtigste Handelspartner. Darunter befindet sich auch die Schweiz, wo 71 Prozent der Importe aus der EU stammen und 53 Prozent der Exporte in die EU gehen. Im Vergleich zur EU spielt China nur für 37 Länder und die Vereinigten Staaten lediglich für 34 Länder im Aussenhandel die erste Geige.

Es gibt mehrere Gründe für die Bedeutung der EU im internationalen Handel. Zum einen bildet die EU mit 500 Millionen Einwohnern den grössten Binnenmarkt der Welt. Mit einem Anteil von 17 Prozent am Welt-Bruttoinlandprodukt bei lediglich 7 Prozent der Weltbevölkerung ist die EU noch immer eine der reichsten Regionen der Welt. Ausserdem ist die EU ein relativ offener Markt. Auf nahezu drei Viertel der Importe in die EU müssen keine Zölle entrichtet werden. Wo Zölle fällig werden, beträgt der durchschnittliche Zollsatz 3,6 Prozent (2013); bei den Industriegütern sind es 2,3 Prozent.

Weltweite Marktöffnung als Ziel


Aufgrund der grossen Bedeutung des Aussenhandels für die europäische Wirtschaft setzt sich die EU schon seit ihrer Gründung für die Öffnung der Märkte ein. Grundsätzlich bevorzugt die EU multilaterale Abkommen, weil hier der Zollabbau weltweit gilt. Spätestens mit dem faktischen Scheitern der Doha-Runde ist die Zeit der multilateralen Freihandelsabkommen aber vorläufig vorbei. Auch der plurilaterale Ansatz, der in den Neunzigerjahren beim «Information Technology Agreement» oder beim Pharma-Abkommen der WTO zum Zuge kam, hat derzeit einen schweren Stand. Dasselbe gilt für megaregionale Abkommen: Beispielsweise wurden im Jahr 2009 Verhandlungen über ein Abkommen zwischen der EU und den Asean-Staaten zugunsten bilateraler Abkommen mit den einzelnen südostasiatischen Ländern suspendiert. Erfolgversprechender sind derzeit die Verhandlungen der EU mit dem südamerikanischen Binnenmarkt Mercosur. Hier scheint dieses Jahr ein Abschluss in Reichweite zu sein.

Schon bevor der vierte Anlauf zu einer Einigung in der Doha-Runde 2008 an der Agrarpolitik scheiterte, hatte die EU wieder verstärkt auf bilaterale Freihandelsabkommen gesetzt. Mittlerweile hat sie ein dichtes Netz von bilateralen Freihandelsabkommen erstellt.[1] Dabei strebt die EU umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen an, wie das vergangenes Jahr in Kraft getretene Ceta-Abkommen («Comprehensive Economic and Trade Agreement») mit Kanada zeigt.

EU übernimmt Führungsrolle


Die EU ist sich ihres Gewichts im Bereich des Handels sehr wohl bewusst und hat mittlerweile begonnen, die internationale Handelspolitik aktiv nach ihren Interessen zu gestalten. Alle neuen EU-Handelsabkommen enthalten ein Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung, über welches die EU die in Europa geltenden sozialen und ökologischen Standards international durchsetzen will. So behandelt das Cotonou-Abkommen von 2002 auch Fragen der Menschenrechte und der Staatsführung.[2] Ein weiteres Beispiel ist die neue Investitionsgerichtsbarkeit, mit welcher die EU das ihrer Meinung nach wenig transparente Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren ersetzen will. Ein solches Gericht hat die EU bereits beim Ceta-Abkommen, aber auch im Freihandelsabkommen mit Vietnam durchgesetzt. Mittlerweile hat die EU auch einen Vorschlag zur Einrichtung eines multilateralen Investitionsgerichtshofs vorgelegt.

Damit übernimmt die EU im internationalen Handel vermehrt die Führungsrolle, welche die Vereinigten Staaten in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts innehatten, jedoch schon vor dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump aufgaben. Letztlich geht es beim aktuellen Handelskonflikt der USA mit der EU auch darum, wer auf dem internationalen Parkett der Handelspolitik in Zukunft die Nase vorne hat. Dabei teilt die Schweiz das Interesse der EU am Fortbestehen eines offenen internationalen Handels. Allerdings würde ein länger dauernder Handelskrieg zwischen den wichtigsten Schweizer Handelspartnern die hiesige Wirtschaft, die auf internationalen Wertschöpfungsketten aufbaut, besonders treffen.

Die Gefahr von innen


Die grösste Gefahr für die EU, die internationale Handelspolitik in ihrem Sinne zu gestalten, geht ausgerechnet von den Mitgliedsstaaten und der eigenen Bevölkerung aus: Obwohl der europäische Kontinent wie kein anderer vom internationalen Handel profitiert, wird in breiten Bevölkerungskreisen die Globalisierung und damit der globale Handel als Gefahr für den eigenen Wohlstand und die soziale Sicherheit gesehen.

Die Anti-Globalisierungs-Bewegung hat seit Beginn des neuen Jahrtausends in Europa breite Bevölkerungskreise erfasst und war letztlich mit ein Grund für das Scheitern des transatlantischen Investitions- und Handelsabkommens mit den Vereinigten Staaten (TTIP). Beinahe hätten die Proteste auch zum Aus für das Ceta-Abkommen mit Kanada geführt, obwohl bislang noch nie ein internationales Handelsabkommen so stark durch die EU geprägt worden ist wie dieses.

Die EU-Kommission versucht der wachsenden Skepsis in der Bevölkerung mit mehr Transparenz zu begegnen, indem sie Vorschläge für neue Verhandlungsmandate und Berichte über die Verhandlungsrunden und die Ergebnisse der laufenden Verhandlungen veröffentlicht. Zugleich erhalten die Mitgliedsstaaten mehr Mitsprache: Der Europäische Gerichtshof hat in einem Rechtsgutachten zum Freihandelsabkommen der EU mit Singapur den Mitgliedsstaaten ein Mitbestimmungsrecht zugesprochen, weil die Abkommen der neuen Generation auch in ihre Kompetenzhoheit eingreifen.[3]

Problematisch wird die Ausweitung der Mitsprache aufgrund der nationalen Kompetenzverteilung auf regionale Parlamente. Den Präzedenzfall setzte im Herbst 2016 Belgien, das den Regionalparlamenten ein Mitspracherecht für die Zustimmung zum Ceta-Abkommen einräumte. Die von Sozialisten und globalisierungsfeindlichen Kommunisten dominierte wallonische Regierung blockierte daraufhin die Zustimmung Belgiens, und die nationale Regierung musste sich die Zustimmung mit innenpolitischen Zugeständnissen erkaufen. Die daraus resultierende monatelange Verzögerung des Abschlusses hat die internationale Stellung der EU als verlässlicher Handelspartner kompromittiert.

Partner und Konkurrent der Schweiz


Die Schweiz ist für die EU ebenfalls ein wichtiger Handelspartner – der Kleinstaat rangiert hinter den USA und China an dritter Stelle. Die Basis der engen Handelsbeziehungen bildet das Freihandelsabkommen von 1972. Dieses Tarifabkommen wurde später mit bilateralen Abkommen ergänzt und vertieft. Erwähnenswert ist insbesondere das Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (MRA), welches zwischen der Schweiz und der EU einen Binnenmarkt in mittlerweile zwanzig Produktbereichen geschaffen hat und wertmässig mehr als ein Viertel aller Warenexporte in die EU und mehr als ein Drittel aller Warenimporte aus der EU abdeckt. Wesentlich zum Abbau von Handelshemmnissen haben auch das Abkommen über Zollerleichterungen und Zollsicherheit sowie das Abkommen über die Personenfreizügigkeit beigetragen. Letzteres führte zu einer teilweisen Liberalisierung von grenzüberschreitenden persönlichen Dienstleistungen.

Wie die EU verfügt auch die Schweiz über ein weltumspannendes Netz von Freihandelsabkommen.[4] Diese Abkommen wurden meist im Rahmen der Europäischen Freihandelsassoziation (Efta) ausgehandelt. Die Schweiz legte den Fokus jeweils darauf, mit denjenigen Staaten vergleichbare Freihandelsabkommen zu schliessen, mit denen auch die EU in Verhandlungen stand. In der Vergangenheit war die Schweiz mit dieser Strategie erfolgreich und erhielt, weil sie die eigenen Industriebereiche weniger vor ausländischer Konkurrenz schützen wollte, früher als die EU einen privilegierten Zugang zu den Märkten Südkorea, Japan und China.

In letzter Zeit jedoch geraten die Efta-Staaten Island, Liechtenstein, Norwegen und Schweiz gegenüber der EU immer stärker ins Hintertreffen, da sie ihren Markt für Landwirtschaftsprodukte aus Drittstaaten weniger stark öffnen als die EU. Dies wäre jedoch nötig, weil die verbleibenden potenziellen Freihandelspartner starke offensive Interessen im Agrarsektor haben. Das jüngste Beispiel ist der Mercosur, wo die EU vor einem Abschluss steht und die parallel verlaufenden Verhandlungen mit den Efta-Staaten wegen ihrer protektionistischen Landwirtschaftspolitik ins Stocken geraten sind. Bei einem erfolgreichen Abschluss durch die EU wären Schweizer Firmen gegenüber ihren Konkurrenten aus der EU in so wichtigen Absatzmärkten wie Argentinien oder Brasilien benachteiligt. Die Folge wäre eine Verlagerung der Produktion von Gütern für den südamerikanischen Markt aus der Schweiz in die EU.

Freihandelsabkommen modernisieren


Damit der Aussenhandel weiterhin zum Wohlstand der Schweiz beitragen kann, müssen die bestehenden Freihandelsabkommen konsequent modernisiert werden. Namentlich ist es wichtig, die Dienstleistungen mit einzuschliessen und nicht tarifäre Handelshemmnisse zu beseitigen. Verhandlungen über neue Freihandelsabkommen sollten mit denjenigen Ländern priorisiert werden, mit denen die höchsten Handelsgewinne zu erwarten sind und in denen Schweizer Unternehmen aufgrund parallel laufender Verhandlungen der EU Gefahr laufen, diskriminiert zu werden.[5]

Eine Grundvoraussetzung ist dabei die Öffnung des Landwirtschaftssektors: Nur so wird die Schweiz für Drittländer zu einem interessanten Freihandelspartner. Auch gegenüber der EU ist das Handelspotenzial noch nicht ausgeschöpft. Insbesondere im Dienstleistungs- und Agrarhandel sind nachhaltige Verbesserungsmöglichkeiten vorhanden. Wäre die Schweiz längerfristig nicht mehr in der Lage, im internationalen Handel ähnlich günstige Bedingungen auszuhandeln wie die EU, würde die Exportwirtschaft ernsthaft gefährdet.

  1. Zurzeit sind 35 Freihandelsabkommen in Kraft. 11 Abkommen sind noch nicht ratifiziert und 5 noch nicht unterzeichnet. Mit 7 Staaten oder Staatengemeinschaften steht die EU in Verhandlungen (inkl. TTIP). []
  2. Partnerschaftsabkommen 2000/483/EG mit Staaten in Afrika, im karibischen Raum und im Pazifischen Ozean. []
  3. Gutachten des EUGH vom 16. Mai 2017 (C-2/15). []
  4. 32 Abkommen sind in Kraft, mit 9 Ländern oder Ländergemeinschaften steht die Efta in Verhandlungen (Zahlen: Seco, Juni 2018). []
  5. Vgl. Economiesuisse (2018): Aussenwirtschaftsstrategie der Schweiz, Forderungen der Wirtschaft, Positionspapier, 18. Januar 2018, S. 14ff. []

Zitiervorschlag: François Baur (2018). EU-Handelspolitik trifft Schweizer Exporteure. Die Volkswirtschaft, 19. Juli.