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Gemeinsam gegen Armut

Mit einem Nationalen Programm haben Bund, Kantone, Gemeinden und Nichtregierungsorganisationen seit 2014 zusammengespannt, um die Kooperation im Kampf gegen die Armut zu verstärken. Nun will der Bundesrat sein Engagement bis 2024 verlängern.
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Die frühe Förderung von Kindern erhöht deren Bildungschancen. Kinder spielen in einer transkulturellen Mutter-Kinder-Gruppe in Zürich. (Bild: Keystone)

Armut hat vielfältige Ursachen, und Armutsprävention ist deshalb eine Querschnittsaufgabe, die verschiedene Politikfelder und staatliche Ebenen betrifft. Aus diesem Verständnis heraus beauftragte der Bundesrat[1] das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) damit, das Nationale Programm zur Prävention und Bekämpfung von Armut umzusetzen. Ziel des Programms war es, fundierte wissenschaftliche Grundlagen sowie Praxishilfen für die Ausgestaltung von Massnahmen der Armutsprävention zu entwickeln, neue Ansätze zu erproben und Beispiele guter Praxis zu verbreiten. Zudem sollten der Austausch und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen verantwortlichen Akteuren der Armutsprävention verstärkt werden. Damit hat das Programm eine Wissens-, eine Impuls- und eine Vernetzungsfunktion übernommen und adressierte sich vorrangig an die Fachpersonen und Entscheidungsträger von Kantonen, Städten und Gemeinden.

Output mit hoher Reichweite


In enger Partnerschaft mit den betroffenen Bundesstellen, der Sozialdirektoren- und der Erziehungsdirektorenkonferenz, dem Schweizerischen Städte- und dem Schweizerischen Gemeindeverband sowie Caritas Schweiz setzte das BSV das Programm zwischen 2014 und 2018 um. Bereits in die Vorarbeiten waren die relevanten Akteure einbezogen. Dazu gehören die Kantone, Städte, Gemeinden, Organisationen der Zivilgesellschaft (z. B. Betroffenenorganisationen), Sozialpartner (z. B. Travailsuisse, Schweizerischer Arbeitgeberverband) sowie verschiedene Bundesstellen. In den letzten fünf Jahren begleiteten zudem rund 100 Fachpersonen aus den Bereichen Soziales, Bildung, Arbeit, Integration und Gesundheit die Umsetzungsarbeiten.

Seit 2014 wurden insgesamt 16 wissenschaftliche Studien und 7 Praxisinstrumente erarbeitet und publiziert. Mit finanzieller Unterstützung durch das Programm konnten 27 Pilot- und Evaluationsprojekte zur Stärkung von Bildungschancen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen realisiert werden. Wissensaustausch und Vernetzung wurden im Rahmen von nationalen Fachtagungen, Workshops oder regionalen Seminaren sowie zwei nationalen Konferenzen gegen Armut[2] gefördert. Darüber hinaus wurden rund 30 regionale oder nationale Tagungen von Dritten finanziell unterstützt und inhaltlich begleitet. Mittels der Website Gegenarmut.ch wurde regelmässig über die Ergebnisse des Programms berichtet.[3] Insgesamt konnte damit ein hoher Output mit hoher Reichweite erzielt werden. Eine externe wissenschaftliche Evaluation stellte dem Programm unter dem Strich ein gutes Zeugnis aus, identifiziert aber auch einen gewissen Verbesserungsbedarf (siehe Kasten).

Bildungschancen stärken


Ein Bildungsabschluss und berufliche Qualifikationen sind zentrale Faktoren, um Armut zu verhindern oder um Wege aus der Armut zu finden. Deshalb fokussierte das Nationale Programm gegen Armut speziell auf die Förderung von Bildungschancen ab der frühen Kindheit sowie auf die soziale und die berufliche Integration.

Wie wichtig die Förderung von Bildungschancen ab dem Kleinkindalter, bei den Übergängen ins Bildungssystem, während der Schulzeit und der Berufsbildung sowie im Erwachsenenalter ist, zeigen die Ergebnisse deutlich. Insbesondere für benachteiligte Familien, armutsgefährdete Personen und Menschen mit tiefer beruflicher Qualifizierung sind gezielte Unterstützungsmassnahmen notwendig. Die aktuelle Situation in der Schweiz und das Wirkungspotenzial von Angeboten wurden in verschiedenen Publikationen des Programms thematisiert.

So zeigt sich etwa, dass in der frühen Kindheit neben universellen Angeboten auch gezielte Unterstützungsmassnahmen für Kinder, wie etwa Sprachförderung, bereitgestellt werden sollten. Auch den Familien der Kinder sollten gezielte Hilfestellungen wie z. B. niederschwellige Elternbildungsangebote bereitgestellt werden. Ob solche Massnahmen etwas bewirken, hängt allerdings von der Verfügbarkeit und der Qualität ab. Zentrale Akteure bei der Bereitstellung dieser Angebote sind die Städte und die Gemeinden.[4]

Untersucht wurde zudem, wie die Sozialhilfeabhängigkeit von Jugendlichen reduziert werden kann. Laut der Studie bestehen für gefährdete Jugendliche in der Phase der Berufsbildung zwar zahlreiche Unterstützungsangebote, die Herausforderung besteht jedoch darin, Gefährdungen möglichst früh zu erkennen und Jugendliche angemessen zu unterstützen. Ebenfalls zentral ist die Koordination zwischen den involvierten Unterstützungssystemen im Rahmen der Interinstitutionellen Zusammenarbeit (IIZ). Triagestellen, welche die Jugendlichen den Angeboten zuweisen und sie kontinuierlich begleiten, haben sich als erfolgversprechend erwiesen. Wichtig dabei ist, dass auch die Eltern oder andere Bezugspersonen in die Unterstützungsprozesse eingebunden sind.[5]

Wie die Erfahrungen zeigen, ist die Umsetzung von Massnahmen zur Förderung der Grundkompetenzen und beruflichen Qualifikation von armutsbetroffenen Erwachsenen in der Regel sehr anspruchsvoll. So müssen etwa je nach Qualifikationsniveau und Lebenssituation die richtigen Bildungsmassnahmen ergriffen werden. Zudem müssen Lösungen gefunden werden sowohl für die Betreuung der Kinder während der Ausbildungszeit als auch für die Sicherung des Haushaltseinkommens. Dabei sind auch die Betriebe wichtige Partner. Eine vom Programm mitfinanzierte Studie nennt die dafür notwendigen Rahmenbedingungen und zeigt, wo Betriebe in den drei Branchen Gastronomie, Gesundheit und Baugewerbe als Chancengeber fungierten. Gemäss dem Programm müssen die verschiedenen Massnahmen aufeinander abgestimmt werden und in eine Gesamtstrategie der kontinuierlichen Förderung von Bildungschancen ab der frühen Kindheit bis ins Erwachsenenalter eingebettet werden.

Soziale und berufliche Integration


Integration in den Arbeitsmarkt ist für Menschen im Erwerbsalter eine zentrale Voraussetzung für die eigenständige Existenzsicherung, für eine selbstständige Lebensführung und damit auch für die soziale Teilhabe. Vom Arbeitsmarkt ausgeschlossene Menschen sind deshalb auf integrierende Massnahmen angewiesen. Dabei spielen die Invaliden-, die Arbeitslosenversicherung und die Sozialhilfe eine wichtige Rolle. Wichtige Partner dieser Sozialwerke sind die mehr als 400 Unternehmen der sozialen und beruflichen Integration (USBI) in der Schweiz. Sie bieten befristete Arbeitseinsätze kombiniert mit Beratungs-, Aus- und Weiterbildungsangeboten.

Im Rahmen des Nationalen Programms gegen Armut wurden die Erfolgsfaktoren von USBI untersucht. Die USBI müssen sich gleichzeitig am Markt behaupten und eine soziale Zielsetzung verfolgen, sie müssen auf Entwicklungen und veränderte Rahmenbedingungen rasch reagieren und ihren Klienten gleichzeitig ein geschütztes, förderndes Umfeld bieten. Da sich daraus auch besondere Herausforderungen für die Steuerung der Zusammenarbeit ergeben, wurde ein Leitfaden für die Vollzugsstellen von Sozialhilfe, Arbeitslosen- und Invalidenversicherung erarbeitet, um sie dabei zu unterstützen, Leistungsvereinbarungen mit USBI zielgerichtet auszugestalten.

Bundesrat verlängert sein Engagement


Der Bundesrat ist der Ansicht, dass sich die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Bund, Kantonen, Städten, Gemeinden und Organisationen der Zivilgesellschaft bewährt hat, und hat in seinem abschliessenden Bericht über die Ergebnisse des Nationalen Programms gegen Armut eine positive Bilanz gezogen. Er erachtet es als notwendig, sich in reduzierter Form weiterhin in der Armutsprävention zu engagieren und die Kantone, Städte und Gemeinden bis 2024 bei der Umsetzung der erarbeiteten Empfehlungen zu unterstützen. Zu diesem Zweck sollen etablierte Austauschmöglichkeiten weitergeführt und weitere wissenschaftliche Grundlagen und Praxishilfen in Themen mit besonders dringlichem Handlungsbedarf erarbeitet werden. Mit Verweis auf bestehende statistische Grundlagen verzichtet er aber auf die Einführung eines Armutsmonitorings sowie auf die Fortführung der Förderung von Praxisprojekten.

  1. Beschluss des Bundesrates vom 15. Mai 2013 zum Konzept des «Nationalen Programms zur Prävention und Bekämpfung von Armut». []
  2. Am 22. November 2016 in Biel sowie am 7. September 2018 in Bern. []
  3. Alle Publikationen des Programms wie Forschungspublikationen, Praxisinstrumente usw. sind online verfügbar auf Gegenarmut.ch. []
  4. Zwei Praxishilfen des Programms zur Wirkung verschiedener Angebote der frühen Förderung (Leitfaden) und zur Ausgestaltung von Strategien auf kommunaler Ebene (Orientierungshilfe) thematisieren diese Aspekte. Mehr Infos auf Gegenarmut.ch. []
  5. Der Aspekt der Elternzusammenarbeit wird in einem Leitfaden thematisiert. Mehr Infos auf Gegenarmut.ch. []

Literaturverzeichnis

  • Bundesrat (2018). Ergebnisse des Nationalen Programms zur Prävention und Bekämpfung von Armut 2014–2018. Bericht des Bundesrates vom 18. April 2018.
  • Bundesamt für Sozialversicherungen (2018). Evaluation Nationales Programm zur Prävention und Bekämpfung von Armut. In: Beiträge zur Sozialen Sicherheit, Forschungsbericht Nr. 4/18. Bundesamt für Sozialversicherungen. Bern.

Bibliographie

  • Bundesrat (2018). Ergebnisse des Nationalen Programms zur Prävention und Bekämpfung von Armut 2014–2018. Bericht des Bundesrates vom 18. April 2018.
  • Bundesamt für Sozialversicherungen (2018). Evaluation Nationales Programm zur Prävention und Bekämpfung von Armut. In: Beiträge zur Sozialen Sicherheit, Forschungsbericht Nr. 4/18. Bundesamt für Sozialversicherungen. Bern.

Zitiervorschlag: Felder, Gabriela; Vollmer, Thomas (2018). Gemeinsam gegen Armut. Die Volkswirtschaft, 24. September.

Programm stiftet positiven Nutzen

Im Rahmen einer externen wissenschaftlichen Evaluation hat das Forschungsbüro Ecoplan das Programm bewertet. Die Evaluation kommt zum Schluss, dass die Ziele des Programms insgesamt erreicht wurden: Die fachliche Debatte wurde intensiviert, das Wissen der zentralen Akteure erweitert, die Zusammenarbeit verbessert und neue Ansätze gegen Armut erprobt. Die Evaluation verweist darauf, wie wichtig es sei, die Wirtschaft sowie von Armut betroffene Menschen bei der Konzeption und der Umsetzung von Massnahmen der Armutsprävention stärker einzubeziehen – insbesondere im Bereich der Berufsbildung sowie der beruflichen Integration. Hier besteht Verbesserungsbedarf.