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Neue Klimaszenarien für die Schweiz

Die neusten Klimaszenarien für die Schweiz bilden eine Entscheidungsgrundlage für Wirtschaft und Politik. Dabei gilt es die Veränderung auch als Chance zu betrachten.
Wir müssen uns auf trockene Sommer einstellen. Lac des Brenets im Neuenburger Jura Mitte September. (Bild: Keystone)

Klimawandel findet statt. Eine Reihe von Indikatoren zeigt: Die Jahresdurchschnittstemperatur der Schweiz ist seit 1864 um rund 2°C angestiegen. Damit ist der Anstieg in der Schweiz gut doppelt so gross wie derjenige der mittleren globalen Temperatur. Seit rund 30 Jahren war kein Jahr in der Schweiz mehr kühler als der Durchschnittswert der Jahre 1961 bis 1990 (siehe Abbildung 1). Eine Folge der Erwärmung sind häufigere und intensivere Hitzeperioden, wie wir sie im Sommer 2018 erlebt haben. Gleichzeitig hat sowohl die Stärke wie auch die Häufigkeit von Starkregen in den letzten 100 Jahren deutlich zugenommen.

Ein weiterer Indikator sind die Alpengletscher. Deren Volumen ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts um rund 60 Prozent zurückgegangen. Ebenso nimmt die Anzahl Schneefalltage ab: Unterhalb von 800 Metern über Meer schneit es heute nur noch etwa halb so viel wie in den Siebzigerjahren.

Sommertemperaturen in der Schweiz (1864–2018): Abweichungen vom Durchschnitt der Jahre 1961–1990




Anmerkung: Durchschnittstemperaturen der Monate Juni, Juli, August. Informationen zum zukünftigen Verlauf sind ab 13. November unter www.nccs.ch abrufbar.

Der Klimawandel ist primär vom Menschen verursacht. Ein Grossteil der seit Mitte des 19. Jahrhunderts beobachteten Erwärmung ist auf den menschengemachten Ausstoss von Treibhausgasen zurückzuführen. Die weitere Entwicklung der Klimaänderung hängt vom künftigen globalen Treibhausgasausstoss ab, welcher wiederum direkt mit den Klimaschutzbemühungen verbunden ist. Für ein Szenario ohne globalen Klimaschutz sagen die Klimaszenarien aus dem Jahr 2011 gegenüber der Referenzperiode 1981–2010 einen Temperaturanstieg bis Ende Jahrhundert von etwa 2,5 bis 5 Grad Celsius voraus.

Klar ist: Die Schweiz muss sich auf eine Fortsetzung der Klimaänderung einstellen. Denn selbst bei starken globalen Klimaschutzanstrengungen muss die Schweiz mit einer weiteren Erwärmung um 2 Grad Celsius rechnen. Um die damit verbundenen Herausforderungen in Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft optimal anzugehen, sind bereits heute Massnahmen gefragt. Strategien zur Anpassung an den Klimawandel müssen in verschiedensten Sektoren – wie beispielsweise Landwirtschaft, Gesundheit, Raumplanung oder Tourismus – erarbeitet werden.

Der Bundesrat will die Chancen nutzen, die sich aufgrund des Klimawandels ergeben. Dies ist ein erster zentraler Punkt seiner «Strategie zur Anpassung an den Klimawandel» aus dem Jahr 2012. Zweitens geht es darum, die Risiken zu minimieren und insbesondere die Bevölkerung, Sachwerte und natürliche Lebensgrundlagen zu schützen. Drittens will der Bundesrat die Anpassungsfähigkeit von Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt steigern. Die Anpassung an den Klimawandel betrifft alle Sektoren und Staatsebenen – vom Kleinbetrieb bis zum international tätigen Konzern sowie vom Bund bis zu den Gemeinden.

Präzisere Klimaszenarien


Die Basis für mögliche Anpassungsstrategien der Schweiz bilden regionale und lokale Klimaszenarien. Seit 2014 hat das Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie (Meteo Schweiz) das Mandat des Bundesrats, nationale Klimaszenarien in regelmässigen Abständen zu erstellen und auf die Bedürfnisse der Nutzer auszurichten.

Die aktuellsten Schweizer Klimaszenarien (CH2018) werden am 13. November 2018 veröffentlicht. Sie bilden einen Themenschwerpunkt des National Centre for Climate Services (NCCS; siehe Kasten). Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist so abgestimmt, dass die Erkenntnisse in den zweiten Aktionsplan zur «Strategie Anpassung an den Klimawandel in der Schweiz» einfliessen. Die Modelle weisen gegenüber den bisherigen Szenarien aus dem Jahr 2011 einen höheren räumlichen Detaillierungsgrad auf und berücksichtigen die Erkenntnisse aus dem fünften Sachstandsbericht des UNO-Weltklimarats von 2013.

Der vergangene Hitzesommer 2018 offenbart ein recht typisches Bild der erwarteten Zukunft. Die Klimaszenarien zeigen, dass zusammen mit der weiteren Temperaturzunahme die Verdunstung steigt. Auch ohne Niederschlagsänderung ist in den nächsten Jahrzehnten entsprechend häufiger mit Sommertrockenheit zu rechnen. Dies wird ab 2050 durch die gleichzeitige Abnahme der Sommerregenmenge weiter akzentuiert. Im Sommer 2018 wurden beispielsweise an der Messstation Locarno-Monti 18 Tropennächte registriert. In solchen Nächten sinkt die Temperatur nicht unter 20 Grad Celsius. Normal für diese Station sind 8 bis 9 Tropennächte pro Jahr. Die Anzahl Tropennächte für 2018 entspricht somit in etwa dem, was wir aufgrund der Klimamodelle für die Zukunft um 2035 ohne Klimaschutzmassnahmen erwarten. Um die Mitte des 21. Jahrhunderts dürften in Locarno während mehr als eines Drittels des Sommers Tropennächte vorherrschen – was sich auf das Wohlbefinden und die Produktivität auswirkt.

Auch die Winter sind vom Klimawandel betroffen. Die Nullgradgrenze hat sich seit den 1960er-Jahren in der Schweiz um etwa 300 bis 400 Meter nach oben verschoben. Damit fällt vermehrt Niederschlag als Regen statt Schnee – mit entsprechenden Konsequenzen für die Wintersportorte. Diese Tendenz wird sich in Zukunft weiter fortsetzen, wobei das Ausmass vom künftigen Verlauf der globalen Treibhausgasemissionen abhängt. Ohne Gegenmassnahmen zum Klimaschutz wird Ende des Jahrhunderts an tief gelegenen Orten des Mittellandes wie beispielsweise dem st.-gallischen Buchs oder in Genf, wenn überhaupt, nur noch eine Handvoll Tage Schneefall registriert werden.

Die jüngsten Klimaszenarien liefern eine Fülle an Daten und Informationen zum zukünftigen Klima. Diese wurden benutzergerecht aufbereitet und stehen ab Mitte November auf der Website Nccs.ch frei zugänglich zur Verfügung. Dort finden sich unter anderem Grafiken in Form eines Web-Atlas sowie Zusatzinformationen wie Datensätze. Zudem lassen sich die Resultate nach Wetterereignissen oder nach Grossregionen ordnen.

Szenarien als Analysegrundlage


Die Klimaszenarien stellen den Ausgangspunkt einer ganzen Wertschöpfungskette dar. Sie helfen Behörden, Politik und Wirtschaft, klimakompatible Entscheidungen zu treffen und damit die gesellschaftliche und wirtschaftliche Resilienz zu stärken. Bereits in Arbeit sind eine Reihe von Folgeprojekten wie beispielsweise zur Wasserverfügbarkeit, zum Gletscherschwund oder zu den Folgen für die Land- und Forstwirtschaft und den Schutz vor Hochwassern. Ebenso bilden die Klimaszenarien eine Grundlage im Pilotprogramm «Anpassung an den Klimawandel» des Bundesamtes für Umwelt (Bafu).

Eine Klimadienstleistung geht von naturwissenschaftlichen Daten und Aussagen über das vergangene, das heutige und das zukünftige Klima aus, bezieht jedoch die Kopplung mit sozioökonomischen Informationen mit ein. Nur so können auch Aussagen zu den Folgen für Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft getroffen werden. Erst dank der sozioökonomischen Verknüpfung wird Klimainformation in Entscheidungsprozessen im Klimaschutz und der Klimaanpassung direkt nutzbar. Nur mithilfe von Klimadienstleistungen können Behörden, Politik und Wirtschaft gezielt Massnahmen entwickeln und umsetzen. So tragen Klimadienstleistungen zur nötigen gesellschaftlichen Transformation im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung direkt bei. Das gesamte Spektrum von Klimadienstleistungen reicht von Klimaszenarien über sektorspezifische Vulnerabilitäten bis hin zur Bewusstseinsbildung, dem Aufzeigen von Handlungsoptionen und dem Aufbau von Kapazitäten. Zentrale Fragen von Entscheidungsträgern lauten deshalb:

  • Was ist der mögliche Einfluss von Wetter und Klima auf unsere Volkswirtschaft und ihre Akteure heute und in den kommenden Dekaden?
  • Wie können wir mit den damit verbundenen Chancen und Risiken vorausschauend umgehen, welche Massnahmen bieten sich an?
  • Welche Investitionen sind nötig – und: Überwiegt der Nutzen im Vergleich zu den Kosten?


Zur Beantwortung dieser Fragen ist ein intensiver Dialog zwischen den Anbietern und Nutzern von Klimadienstleistungen nötig. Neben den Entscheidungsträgern aus der kommunalen bis nationalen Politik und Verwaltung und Akteuren aus der Wirtschaft schliesst dies insbesondere auch Zwischennutzer wie beispielsweise Berufs- und Interessenverbände mit ein. Diese bereiten die Informationen zur Klimazukunft – in enger Zusammenarbeit mit den Produzenten und Kommunikationsexperten – sektor- und branchenspezifisch auf und vermitteln sie. Relevante Stakeholder wurden bereits von Anfang an bei der Entwicklung der Klimaszenarien konsultiert.

Dieser Dialog muss in den kommenden Jahren intensiviert werden. Mit der Etablierung des National Centre for Climate Services bestehen die nötigen institutionellen Strukturen. Ab nächstem Jahr startet ein breit angelegter Prozess mit Stakeholdern aus Wirtschaft, Verbänden, Bund, Kantonen und Gemeinden, um die Bedürfnisse an Klimadienstleistungen genauer zu eruieren. Darauf aufbauend, wird das NCCS die nutzerspezifische Entwicklung von Klimadienstleistungen für eine resiliente Schweiz vorantreiben – wozu es auf die aktive Mitwirkung aller Akteure angewiesen ist.

Zitiervorschlag: David Bresch, Andreas Fischer, Angela Michiko Hama, (2018). Neue Klimaszenarien für die Schweiz. Die Volkswirtschaft, 24. Oktober.

Das National Centre for Climate Services (NCCS)

Das National Centre for Climate Services (NCCS) ist das Netzwerk des Bundes für Klimadienstleistungen. Als nationale Wissensdrehscheibe unterstützt es klimakompatible Entscheidungsfindungen, welche zum Ziel haben, die Risiken zu minimieren, die Chancen zu maximieren und die Kosten zu optimieren. Das NCCS koordiniert die gemeinsame Entwicklung und Bereitstellung von Klimadienstleistungen und fördert den Dialog zwischen den beteiligten Akteuren. Mit der Lancierung des NCCS Ende 2015 folgte der Bund den Empfehlungen der World Meteorological Organization (WMO). Das NCCS ist im Sinne eines virtuellen Zentrums organisiert und besteht derzeit aus acht Verwaltungseinheiten des Bundes: Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie (Meteo Schweiz), Bundesamt für Umwelt (Bafu), Bundesamt für Bevölkerungsschutz (Babs), Bundesamt für Landwirtschaft (BLW), Bundesamt für Gesundheit (BAG), Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) sowie ETH Zürich und Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Weitere Partner sind Agroscope, das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (Fibl), das Forum for Global and Climate Change (Proclim) und die Universität Bern. Die Geschäftsstelle ist bei Meteo Schweiz angesiedelt. Hauptzielgruppen des NCCS sind die nationale bis kommunale Verwaltung und Politik, die Wirtschaft und forschungsorientierte Anwender sowie internationale Akteure im Bereich der Klimadienstleistungen.