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Die EU macht Ernst mit Nachhaltigkeit im Finanzwesen: Mit einem Aktionsplan will sie die Pariser Klimaziele umsetzen. Die Schweiz droht ins Abseits zu geraten.
Christian Hofer, Dr. iur., Leiter Corporate Responsibility und Nachhaltigkeit, Raiffeisen Schweiz, St. Gallen

Standpunkt

Der globale Ressourcenverbrauch ist nicht nachhaltig: Gemäss WWF und Global Footprint Network hat der Planet bereits Anfang August mehr Ressourcen verbraucht, als er im gesamten Jahr wird regenerieren können. Gegenwärtige Treibhausgasemissionen führen zu einer globalen Klimaerwärmung von 3 bis 4 Grad Celsius bis Ende des 21. Jahrhunderts.

Das im Dezember 2015 von 195 Ländern unterzeichnete Pariser Klimaübereinkommen will die Erwärmung deshalb auf deutlich weniger als 2 Grad Celsius begrenzen. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es zusätzliche Investitionen. Insbesondere sind die Finanzflüsse klimaverträglich auszurichten.

EU greift ein

Alleine in den EU-Staaten sind zusätzliche Investitionen in der Höhe von 180 Milliarden Euro pro Jahr nötig, wie die EU-Kommission am 8. März 2018 in ihrem Aktionsplan zur Finanzierung eines nachhaltigen Wachstums schreibt. Gemäss dem Aktionsplan sollen erstens Kapitalflüsse auf nachhaltige Investitionen umgelenkt werden. Zweitens gilt es finanzielle Risiken zu bewältigen, die sich aus Klimawandel, Umweltzerstörung, Ressourcenknappheit und sozialen Problemen ergeben, und drittens sollen Real- und Finanzwirtschaft nachhaltiger und transparenter werden.

Der EU-Massnahmenkatalog ist umfassend. Ein einheitliches Klassifikationssystem («Taxonomie») bildet dabei die Grundlage für künftige Regulierungen. Mit einer EU-Norm für «grüne» Anleihen, einem EU-Umweltlabel und der Vereinheitlichung von CO2-Benchmarks will die EU das Vertrauen des Marktes in nachhaltige Finanzprodukte stärken. Nachhaltigkeitserwägungen sollen bei der Beratung eine grössere Rolle spielen, und die treuhänderische Pflicht von institutionellen Anlegern und Vermögensverwaltern soll um Nachhaltigkeitsaspekte erweitert werden. Auch Ratingagenturen sollen Nachhaltigkeitsfaktoren bei der Bewertung der Kreditwürdigkeit stärker berücksichtigen.

Erste auf dem Aktionsplan basierende Regulierungsvorschläge hat die EU-Kommission bereits wenige Wochen nach der Publikation des Aktionsplans am 24. Mai 2018 erlassen. Diese betreffen die Taxonomie, die Offenlegung von Informationen über nachhaltige Investitionen und Nachhaltigkeitsrisiken sowie CO2-Benchmarks.

Positive Reaktion der Branche

In der EU hat die Finanzbranche vorwiegend positiv auf den Aktionsplan reagiert. So erhofft sich beispielsweise der Bundesverband deutscher Banken davon verlässliche Rahmenbedingungen für nachhaltige Anlagen und Finanzierungen. Für den Branchenverband sind nun bei der Umsetzung die Reihenfolge der Massnahmen, die Einbindung aller Stakeholder und die Berücksichtigung bestehender Standards entscheidend.

Bezüglich eines «Green Supporting Factor» – der positiven Bewertung grüner Finanzierungen bei den Eigenkapitalanforderungen von Banken und Versicherungen – zeigen sich die europäischen Bankenverbände zurückhaltender. Die Massnahme wird zuweilen kritisiert, sie könne die Finanzstabilität gefährden. Ein weiterer Kritikpunkt am Aktionsplan ist, das Nachhaltigkeitsthema werde auf den Klimawandel reduziert.

Schweiz setzt auf Freiwilligkeit

Auch in der Schweiz setzt sich die Erkenntnis durch, dass neben der Realwirtschaft auch die Finanzwirtschaft bei der Eindämmung des Klimawandels und der Finanzierung einer nachhaltigen Entwicklung einbezogen werden muss. Bereits 2014 wurde der Branchenverband Swiss Sustainable Finance (SSF) gegründet, der die Position der Schweiz als nachhaltigen Finanzplatz stärken will. Im Jahr 2016 veröffentlichte das Bundesamt für Umwelt (Bafu) konkrete Vorschläge für einen Fahrplan zu einem nachhaltigen Finanzsystem in der Schweiz.

In der Politik werden nachhaltige Finanzen ebenfalls vermehrt zu einem Thema, wie diverse Interpellationen von Parlamentariern zeigen. Die Antworten des Bundesrates machen deutlich, dass er die Finanzbranche in der Schweiz primär über Freiwilligkeit, Transparenz und Dialog dazu ermutigen will, zu einer nachhaltigen Entwicklung und zur Eindämmung des Klimawandels beizutragen. Ein Beispiel für diesen subsidiären Ansatz sind die vom Bafu und vom Staatssekretariat für Internationale Finanzfragen (SIF) 2017 initiierten, kostenlosen Klimaverträglichkeitstests: Pensionskassen und Versicherungen können so ihre Portfolios auf die Klimaverträglichkeit überprüfen. Um die Transaktionskosten von Klimaverträglichkeitstests zu senken und die Transparenz im Markt zu steigern, setzt sich der Bund zudem für die Schaffung einer internationalen Norm zur Messung der Klimawirkung von Investitionen und Finanzierungen ein (ISO-Standard 14097).

Es ist nun zu wünschen, dass der Aktionsplan der EU die Diskussion über Nachhaltigkeit im Finanzwesen auch in der Schweiz verstärkt – denn a priori ist gegen das Anliegen und die Stossrichtung der EU-Kommission nichts einzuwenden. Vielmehr könnten sich von der EU abweichende Schweizer Regelungen und Standards negativ auf den hiesigen Finanzplatz auswirken. Will sich die Schweiz weiterhin glaubwürdig als nachhaltiger Finanzplatz positionieren und entsprechende Chancen nutzen, muss sie eine Antwort auf den EU-Aktionsplan entwickeln.

Zitiervorschlag: Christian Hofer (2018). Standpunkt: Nachhaltige Investitionen vorantreiben. Die Volkswirtschaft, 24. Oktober.