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Was hat die Schweizer Klimapolitik bisher bewirkt?

Die Wirkung der Energie- und Klimapolitik auf die Treibhausgasemissionen ist schwierig zu beziffern. Simulationen zeigen: Will die Schweiz die Klimaziele erreichen, sind weitere Massnahmen erforderlich.
Die Gebäude in der Schweiz werden zusehends energiefreundlicher. Minergie-Haus in Unterwasser SG. (Bild: Keystone)

Zwischen 1990 und 2015 sind die CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger in der Schweiz um 10,5 Prozent zurückgegangen.[1] Die Bevölkerung ist im gleichen Zeitraum um 23 Prozent gewachsen; das Bruttoinlandprodukt (BIP) um 47 Prozent. Es ist anzunehmen, dass die Emissionen ohne die getroffenen energie- und klimapolitischen Massnahmen zugenommen hätten, dass jedoch die höheren Energiepreise und der technische Fortschritt den Aufwärtstrend gebremst haben. Wie gross die Nettowirkung aller in der Schweiz umgesetzten Massnahmen war, ist daher schwierig abzuschätzen. Genau dies verlangt aber das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC) in den nationalen Berichten. Überdies sind auch Prognosen zur Wirkung der nationalen Politik bis 2035 abzugeben.

Drei Szenarien – mit und ohne Massnahmen


Die in den Simulationen (siehe Kasten) berücksichtigten Massnahmen ergeben sich vor allem aus dem Energie- und dem CO2-Gesetz, den Verordnungen zum Energieverbrauch von Fahrzeugen, der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe sowie aus den kantonalen Bauvorschriften. Ein erstes Szenario («with existing measures»; WEM) beinhaltet alle relevanten bisherigen Massnahmen und bildet den tatsächlichen Energieverbrauch und die CO2-Emissionen der Schweizer Wirtschaft der Jahre 1990 bis 2015 ab (siehe Abbildung 1). Basierend auf den offiziellen Hypothesen zur Bevölkerungsentwicklung und zur Wirtschaft, wurde das WEM-Szenario bis ins Jahr 2035 verlängert.[2] Dabei wird davon ausgegangen, dass alle 2016 bestehenden oder beschlossenen Massnahmen bis 2035 auf demselben Niveau beibehalten werden.

Ein zweites Szenario (WEM+) bezieht zusätzlich die Massnahmen mit ein, die vom Stimmvolk am 21. Mai 2017 im Rahmen des revidierten Energiegesetzes gutgeheissen wurden. Im dritten Szenario («without measures»; WOM) wird berechnet, wie sich der Energieverbrauch und die Treibhausgase ohne Massnahmen entwickeln würden. Der Vergleich der ersten beiden Szenarien mit dem letzten ermöglicht eine Beurteilung der bisherigen Wirkungen (1990 bis 2015) und der künftigen Wirkungen (2016 bis 2035) der Massnahmen.

Emissionen sinken


Im WEM-Szenario gehen die energiebedingten CO2-Emissionen, die von 40,9 Millionen Tonnen im Jahr 1990 auf 36,6 Millionen Tonnen im Jahr 2015 abgenommen haben, weiter zurück. Sie sinken gegenüber 1990 um 15 Prozent auf 34,8 Millionen Tonnen im Jahr 2020; im Jahr 2035 sind es noch 30,5 Millionen Tonnen (–25%). Mit dem ersten Massnahmenpaket der Energiestrategie 2050 (Szenario WEM+) verringern sich die Emissionen gegenüber 1990 um 16,3 Prozent im Jahr 2020 und um 29 Prozent im Jahr 2035. Allerdings reicht auch dieser Rückgang nicht aus, um das Ziel des aktuellen CO2-Gesetzes zu erreichen, welches eine Reduktion um 20 Prozent bis 2020 verlangt. Bis 2030 müsste die Reduktion im Inland laut der Revision des CO2-Gesetzes 30 Prozent betragen. Dazu wären stärkere Kompensationsmassnahmen und der Einbezug von weiteren Treibhausgasen erforderlich.

Das WOM-Szenario zeigt schliesslich, dass die energiebedingten CO2-Emissionen im Jahr 2015 ohne Massnahmen 4 Prozent höher als 1990 ausgefallen wären. Insgesamt wurden von 1990 bis 2015 mit den getroffenen Massnahmen 48 Millionen Tonnen CO2 eingespart. Das ist etwas mehr als die in einem Jahr ausgestossenen Emissionen. Hauptverantwortlich für die Einsparungen sind die CO2-Abgabe und das Gebäudeprogramm von Bund und Kantonen. Der Abstand zwischen den Emissionskurven ohne beziehungsweise mit den bestehenden Massnahmen vergrössert sich gemäss den Szenarien nur noch geringfügig.

Erwähnenswert ist, dass sich die energiebedingten CO2-Emissionen selbst ohne Massnahmen stabilisiert hätten – trotz des Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstums sowie der schrittweisen Stilllegung der Kernkraftwerke. Denn technische Fortschritte hätten sich auch ohne Fördermassnahmen in der Schweiz vollzogen, und die höheren Preise für Erdöl und Erdgas hätten ebenfalls bremsend gewirkt.[3]

Abb. 1: CO2-Emissionen in der Schweiz (3 Szenarien; 1990–2035)




Anmerkung: Dargestellt sind Treibhausgasemissionen, die durch die Verbrennung fossiler Energieträger entstehen. Nicht berücksichtigt sind Emissionen des Flugverkehrs und Kompensationen im Ausland.

Quelle: Thalmann und Vielle (2017) / Die Volkswirtschaft

Erfolge bei Industrie und Gebäuden


Sowohl im WEM-Szenario als auch im WEM+-Szenario tragen die Sektoren Industrie sowie Wohn- und Nichtwohnbauten am meisten zur Reduktion der CO2-Emissionen bei. Bei der Stromproduktion steigen die Emissionen hingegen trotz eines Ausbaus der erneuerbaren Energien[4], die von Bundesbeiträgen profitieren. Verantwortlich für den Anstieg ist die schrittweise Abschaltung der Kernkraftwerke – was den Einsatz von Erdgaskraftwerken erfordert. Auch beim Verkehr werden die Emissionen bis 2023 über dem Stand von 1990 liegen. Allerdings entwickeln sich beide Sektoren immerhin deutlich besser, als es ohne Massnahmen der Fall gewesen wäre (siehe Abbildung 2).

Im Gebäudebereich haben sich die kantonalen Mustervorschriften (MuKEn seit 1992) als besonders wirkungsvoll gezeigt. Von den insgesamt zwischen 1990 bis 2035 eingesparten 236 Millionen Tonnen CO2 entfällt fast ein Viertel auf diese Vorschriften (siehe Abbildung 2). Die CO2-Abgabe – direkt und über Befreiungsmechanismen (Verpflichtungen und Emissionshandelssystem) – steuert 17 Prozent zu diesen Einsparungen bei. Dies ist selbst dann der Fall, wenn sie bis 2035 auf dem aktuellen Stand von 96 Franken pro Tonne CO2 bleibt und nur auf Brennstoffe erhoben wird. Die Massnahmen im Verkehrsbereich leisten einen fast ebenso grossen Beitrag, wobei sich der Effekt gegen das Ende des Zeitraums verstärkt, da erst dann Emissionsvorschriften für neue Personenwagen ihre volle Wirkung entfalten.

Abb. 2: Insgesamt in der Schweiz eingesparte CO2-Emissionen (1990–2035)




Anmerkung: Abgebildet sind die Einsparungen dank emissionsmindernden Massnahmen (Szenario WEM+ verglichen mit WOM)

 Quelle: Vielle und Thalmann (2017) / Die Volkswirtschaft

Verstärkte Anstrengungen nötig


Zwischen 1990 und 2015 konnte die Schweiz mit den emissionsmindernden Massnahmen den Ausstoss von insgesamt 48 Millionen Tonnen CO2 vermeiden. Zwischen 2016 und 2035 dürften sich die Einsparungen auf 187 Millionen Tonnen belaufen. Die gesamten Einsparungen entsprechen damit 5,8-mal den Emissionen des Jahres 1990. Gemäss unseren Prognosen wird es der Schweiz mit den aktuellen Massnahmen allerdings nicht gelingen, ihre Emissionen bis 2030 gegenüber 1990 um 30 Prozent zu senken. Deshalb sollte insbesondere die CO2-Abgabe nochmals angehoben werden, ausserdem gilt es Mittel zu finden, die den Treibstoffverbrauch stärker eindämmen.[5]

  1. Summe 1A im Treibhausgasinventar des Bafu. []
  2. Szenario A-00-2015 des BFS, Seco, IEA World Energy Outlook 2016, Verkehrsperspektiven 2040 des ARE. []
  3. Teuerungskorrigierte Erdölpreise pro Barrel (Basis = 2015): 1990 = 37 USD, 2015 = 51 USD, 2035 = 137 USD. []
  4. +7,7 TWh im Jahr 2035 gemäss WEM+. []
  5. Vgl. Beitrag von Jean-Marie Grether und Nicole A. Mathys in dieser Ausgabe. []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Philippe Thalmann, Marc Vielle, (2018). Was hat die Schweizer Klimapolitik bisher bewirkt. Die Volkswirtschaft, 24. Oktober.

Simulation anhand von Modell

Welche Nettoeffekte gehen von den in der Schweiz bereits umgesetzten beziehungsweise von den geplanten energiepolitischen Massnahmen bis 2035 aus? Diese Frage haben der Lehrstuhl für Städte- und Umweltökonomie der ETH Lausanne und das Büro Infras im Auftrag des Bundesamts für Umwelt (Bafu) untersucht. Zur Simulation wurde das Modell Gemini-E3 verwendet, welches die Schweizer Wirtschaft durch 18 für den internationalen Handel offene Produktionssektoren, einen repräsentativen Verbraucher und den Staat abbildet. Im Modell verhalten sich alle Akteure preisorientiert – auch bei der Wahl ihrer Energiequellen. Die Annahmen zum technischen Fortschritt sind in allen Szenarien identisch. Eine Ausnahme bilden die Massnahmen, die spezifisch die Energieleistung betreffen (wie zum Beispiel die Emissionsvorschriften für Fahrzeuge). Die Studie wurde Ende 2017 abgeschlossen.