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Ungleichheiten in der EU verringern

Der Bundesrat will den wirtschaftlichen und sozialen Aufholprozess in den neuen EU-Mitgliedsstaaten erneut mit einem Beitrag im Umfang von 1,302 Milliarden Franken fördern. Die Erfahrungen mit den bisherigen Projekten sind positiv.
Beispiele aus den 300 Projekten des Erweiterungsbeitrags: Zusammenarbeit zur Sicherung der Schengen-Aussengrenze Polens, ... (Bild: Deza/Seco)

Kohäsion in Europa, Berufsbildung und Migration: Dies sind die Schwerpunkte des geplanten Schweizer Beitrags an die EU im Umfang von 1,302 Milliarden Franken. Der Fokus des zehnjährigen Programms liegt auf den 13 seit 2004 der EU beigetretenen Staaten.

Der neue Beitrag knüpft an den Erweiterungsbeitrag in derselben Höhe an, in dessen Rahmen die Schweiz von 2007 bis 2017 in Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, der Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern insgesamt 210 Projekte zur Verringerung der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten unterstützte. In Bulgarien und Rumänien laufen die Projekte noch bis Ende 2019; in Kroatien, das der EU im Jahr 2013 beigetreten ist, enden diese 2024.

Im Rahmen ihrer Kohäsionspolitik fördert die EU den wirtschaftlichen und sozialen Aufholprozess in den EU-13-Mitgliedsstaaten mit Mitteln von jährlich rund 33 Milliarden Euro.

Der Schweizer Beitrag entspricht pro Jahr 0,35 Prozent der Kohäsionsleistungen der EU zugunsten der EU-13-Mitgliedsstaaten und rund einem Drittel des Betrags, den Norwegen zur Unterstützung der Kohäsion in Europa aufbringt.

Sicherheit, Stabilität und Prosperität in Europa kommen auch der Schweiz zugute. Als verantwortungsbewusste Partnerin engagiert sich auch die Schweiz dafür – dies ist sowohl Ausdruck der Solidarität als auch eine Investition in die friedliche Zukunft des Kontinents. Gleichzeitig stärkt die Schweiz damit ihre wirtschaftlichen und politischen Beziehungen mit den EU-Mitgliedsstaaten und der EU insgesamt.

Auch wenn der Beitrag nicht direkt mit anderen EU-Dossiers verknüpft ist, gliedert er sich doch in die Schweizer Europapolitik ein. So waren Anfang November wesentliche Fragen im Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU weiterhin offen – unter anderem betreffend den Ausgang der Verhandlungen zum institutionellen Abkommen und die Anerkennung der Börsenäquivalenz, welche der Bundesrat als erforderlich erachtet. Die Festigung der bilateralen Beziehungen und die Fortführung der guten Zusammenarbeit liegen jedoch weiterhin im gegenseitigen Interesse der Schweiz und der EU. Vor diesem Hintergrund hat der Bundesrat Ende September beschlossen, einen nächsten Schritt zu machen und die Finanzierungsbotschaft für einen zweiten Beitrag ans Parlament zu überweisen. Damit gibt er dem Parlament die Möglichkeit, unter Berücksichtigung der erwarteten Entwicklungen bei den verschiedenen EU-Dossiers über den zweiten Beitrag zu entscheiden.

In der Vernehmlassung stiess der zweite Beitrag bei Kantonen, Parteien und Verbänden mehrheitlich auf Zustimmung.[1] Von den 53 eingegangenen Stellungnahmen befürworteten 48 grundsätzlich die Bereitstellung des Beitrags. In verschiedenen Stellungnahmen wurde die Genehmigung desselben von einer positiven Beurteilung der Gesamtbeziehungen Schweiz – EU abhängig gemacht. In einigen Stellungnahmen wurde als Voraussetzung für die Zustimmung explizit die unbefristete Anerkennung der Börsenäquivalenz genannt.

Schweiz handelt eigenständig

Ein Grundsatz des Beitrags ist: Die Schweizer Projekte werden autonom – das heisst nach schweizerischen Vorgaben und direkt mit den begünstigten Partnerländern – durchgeführt. Den Modalitäten der EU-Kohäsionspolitik wird angemessen Rechnung getragen. Für den Abbau der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten sind 1,102 Milliarden Franken vorgesehen (siehe Tabelle). Mit weiteren 200 Millionen Franken sollen Länder wie aktuell zum Beispiel Griechenland und Italien, die stark von Migrationsbewegungen betroffen sind, unterstützt werden. Die Verwaltungsausgaben der Schweiz über zehn Jahre werden mit fünf Prozent veranschlagt. Zwei Prozent sind speziell für projektbezogene Schweizer Expertise vorgesehen. Damit sollen die bilateralen Beziehungen mit den Partnerländern gestärkt, Fachwissen zur Verfügung gestellt sowie die Qualität und die Nachhaltigkeit der Projekte und Programme gewährleistet werden.

Wie setzt sich der Beitrag zusammen?

Anmerkung: Die Rechtsgrundlage für den Erweiterungsbeitrag und den Kohäsionsteil des zweiten Beitrags ist das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas, welches in der Referendumsabstimmung vom 26. November 2006 angenommen und 2016 erneuert wurde. Der Migrationsteil des zweiten Beitrags stützt sich auf das Asylgesetz. Wie der Erweiterungsbeitrag ist auch der zweite Beitrag ein Instrument der Schweizer Europapolitik und nicht Teil der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit.

Für die Umsetzung der Kohäsionsprojekte sind die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) und das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) gemeinsam zuständig. Im Schwerpunktbereich Berufsbildung erfolgt die Umsetzung in enger Kooperation mit dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI). Die Aufteilung der Mittel auf die EU-13-Mitgliedsstaaten im Bereich Kohäsion basiert im Wesentlichen auf der Bevölkerungsgrösse und dem Pro-Kopf-Einkommen. Mit dem neuen Verteilschlüssel erhalten die drei ärmsten EU-Mitgliedsstaaten – Bulgarien, Kroatien und Rumänien – mehr Mittel als beim bisherigen Erweiterungsbeitrag, die meisten anderen Partnerländer rund ein Drittel weniger (siehe Abbildung).

Der neue Beitrag im Vergleich zum Erweiterungsbeitrag (in Mio. Fr.)

Anmerkung: Die Ausgaben für die 13-EU-Staaten im Bereich Kohäsion belaufen sich beim geplanten Beitrag auf 1024,9 Millionen Franken. Hinzu kommen Ausgaben für Schweizer Expertise in der Höhe von 22 Millionen Franken (2%) und ein Verwaltungsaufwand von 55,1 Millionen Franken (5%). Insgesamt beläuft sich der Kohäsionsbeitrag auf 1102 Millionen Franken (ohne Bereich Migration).

Die Verantwortung für die Zusammenarbeit im Bereich Migration liegt beim Staatssekretariat für Migration (SEM). Da sich Migrationsrouten rasch ändern können, sollen die Projekte in drei Mehrjahresprogrammen mit jeweils zwei bis vier Partnerländern umgesetzt werden. Das Ziel ist es, unter anderem die Strukturen für die Aufnahme von Schutzsuchenden zu stärken, effizientere Asylverfahren zu fördern sowie Rückkehrverfahren zu verbessern. Rund 10 Millionen Franken sind für dringende Sonderprojekte reserviert, um in Krisensituationen rasch reagieren zu können.

Auf Erfahrungen aufbauen

Die Zusammenarbeit der Schweiz mit den 13 EU-Staaten im Rahmen des Erweiterungsbeitrags hat sich bewährt: Dies zeigen vier von der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) durchgeführte Prüfungen sowie eine unabhängige, externe Evaluation aus dem Jahr 2015.[2] Die externe Evaluation zeigte, dass die Projekte einen positiven Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in den Partnerländern leisten. Die Empfehlungen der EFK und der externen Evaluation fliessen in die Konzipierung des zweiten Beitrags ein. Dazu gehören eine stärkere thematische Konzentration sowie – in den grösseren Ländern – eine stärkere geografische Konzentration auf benachteiligte Regionen. Weiter gilt es, die Projektgenehmigung zu vereinfachen, ohne die Qualität zu beeinträchtigen. Hilfreich für die Zusammenarbeit sind auch klarere Vorgaben und eine schlankere Berichterstattung. Schliesslich sollte die Kommunikation über das Programm in den Partnerländern verstärkt werden.

Mit fünf Berufsbildungsprojekten des Erweiterungsbeitrags besteht bereits eine gute Ausgangslage, um die Zusammenarbeit in diesem Bereich auszubauen. Bei den weiteren Themenbereichen wie Forschung und Innovation, Sozial- und Gesundheitssysteme, öffentliche Sicherheit, Bürgerengagement und Transparenz, Umwelt- und Klimaschutz sowie KMU-Finanzierung sollen generell solche bevorzugt werden, die den Prioritäten des jeweiligen Partnerlandes entsprechen und bei denen durch den Erweiterungsbeitrag bereits eine gute Grundlage für die weitere Zusammenarbeit geschaffen werden konnte.

Die Massnahmen der Schweiz zur Verminderung der Risiken von Unregelmässigkeiten, Missbrauch und Korruption werden grundsätzlich beibehalten. Dazu gehören die Sicherstellung der Nachvollziehbarkeit der Projektauswahl in den Partnerländern, die Überprüfung von Auftragsvergaben sowie die enge Begleitung der Projektumsetzung durch die schweizerischen Vertretungen vor Ort oder durch von der Schweiz mandatierte Experten.

Die Partnerländer sollen sich weiterhin mit mindestens 15 Prozent an den Projektkosten beteiligen und die Projekte vorfinanzieren. Die Rückvergütungen durch die Schweiz erfolgen aufgrund der Projektfortschritte und der überprüften Rechnungsbelege. Noch stärker als beim Erweiterungsbeitrag sollen Schweizer Expertise und Partnerschaften in die Projekte eingebracht werden. Fachbehörden und andere öffentliche oder private Leistungserbringer können eine wertvolle Rolle spielen, indem sie Wissen und Erfahrungen vermitteln.

Parlament hat letztes Wort

Mit dem Zeitpunkt der Genehmigung des Schweizer Beitrags durch das Parlament werden voraussichtlich die Verpflichtungsfristen zu laufen beginnen. Die Mittel für die Zusammenarbeit im Bereich Kohäsion müssen innerhalb von fünf Jahren für Projekte und Programme verpflichtet werden, im Bereich Migration innerhalb von zehn Jahren. In beiden Bereichen fallen die Auszahlungen über zehn Jahre an.

Wie schon beim Erweiterungsbeitrag beabsichtigt der Bundesrat, nach der parlamentarischen Genehmigung die von der Schweiz festgelegten Parameter in einer rechtlich nicht verbindlichen Vereinbarung mit der EU festzuhalten. Beispiele für solche Parameter sind die den Partnerländern zustehenden Beiträge, die Themenbereiche sowie allgemeine Umsetzungsgrundsätze. Mit jedem Partnerland schliesst die Schweiz ein bilaterales Rahmenabkommen ab, in welchem die länderspezifischen Themen festgehalten und die für alle geltenden Durchführungsmodalitäten im Detail geregelt werden.

Für die Umsetzung des zweiten Beitrags müssen das Personal und die Bürostrukturen in den betreffenden Partnerstaaten wieder aufgebaut respektive im Falle von Bulgarien, Rumänien und Kroatien weitergeführt werden.

  1. Mehr Details unter abgeschlossene Vernehmlassungen auf Admin.ch. []
  2. Deza und Seco (2016). Evaluation: Swiss Contribution to the Enlarged European Union, durchgeführt vom deutschen Beratungsunternehmen Gopa Consultants. EFK-Prüfberichte Nr. 9327, 12467, 13363 und 14447, abrufbar unter Efk.admin.ch[]

Zitiervorschlag: Hugo Bruggmann, Siroco Messerli (2018). Ungleichheiten in der EU verringern. Die Volkswirtschaft, 22. November.