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Der Aargau beschreitet neue Wege

Nach einem erfolgreichen Pilotprojekt dehnt der Aargau die interinstitutionelle Zusammenarbeit in der Arbeitsmarktintegration zwischen der Arbeitslosen-, der Invalidenversicherung und den kommunalen Sozialdiensten auf den ganzen Kanton aus.
Arbeitssuche vereinfachen: Aargauer Stellensuchende sollen in Zukunft nur noch eine Ansprechperson haben. (Bild: Keystone)

Das Ziel der Arbeitsmarktintegration ist es, stellensuchende Personen in die Gesellschaft zu (re)integrieren und finanziell eigenständig zu machen. Neben der Arbeitslosenversicherung (ALV) setzen daher zunehmend weitere Akteure wie die Invalidenversicherung (IV), die Sozialdienste, private Eingliederungsinstitutionen und vermehrt auch die Migrationsbehörden auf die Arbeitsmarktintegration.

Die Anfänge des Pilotprojekts «Pforte Arbeitsmarkt» liegen im Jahr 2007. Einer der Gründe für das Projekt war der damals intensiv diskutierte Drehtüreffekt, also das Abschieben von Klienten in ein anderes soziales Sicherungssystem. Hinzu kamen weitere wichtige Themen wie etwa die 5. IV-Revision mit dem Fokus auf Eingliederung, der Anstieg der Sozialhilfefallzahlen in den Gemeinden und die teilweise schwierige Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Institutionen. Auch die Arbeitgeber beklagten sich damals über einen zunehmenden Druck seitens privater und öffentlicher Akteure, Plätze bereitzustellen für arbeitslose, gesundheitlich beeinträchtigte oder ausgesteuerte Personen. Zudem wünschten sie sich klarere Anlaufstellen für ihre Anliegen.

Der Ruf nach einer stärker koordinierten Arbeitsintegration zwischen den diversen Akteuren war und ist auch heute noch unüberhörbar. Vor diesem Hintergrund entwickelte man im Aargau die Idee, die Arbeitsmarktintegration der drei grössten Akteure – der ALV, der IV und der Sozialdienste der Gemeinden – unter einem Dach zusammenzufassen. Die Vision bestand aus drei Punkten: Die Stellensuchenden sollen gleichzeitig nie mehr als eine Beratungsperson haben, die Arbeitgebenden werden durch eine einzige Stelle beraten, und die Gemeinden erhalten verbesserte Leistungen für die Integration von Sozialhilfebeziehenden.

Anfang April 2012 öffnete das Pilotprojekt «Pforte Arbeitsmarkt» seine Türen; heute blickt es auf eine fast siebenjährige Erfolgsgeschichte zurück. Mitarbeitende von IV und ALV sowie der zehn beteiligten Gemeinden arbeiten heute wie selbstverständlich unter einem Dach zusammen und setzen die damalige Vision um. Befragte Arbeitgebende, Gemeinden, Klienten und Mitarbeitende sind mit den Leistungen des Projekts sehr zufrieden.

Projekt «Kooperation Arbeitsmarkt»


Aufgrund der erfolgreichen Zusammenarbeit wurde bereits nach zwei Jahren Pilotbetrieb beschlossen, ein Projekt für eine gesamtkantonale Realisierung zu erarbeiten. Der Kanton Aargau steht heute kurz vor dessen Umsetzung: Aus dem Pilotprojekt «Pforte Arbeitsmarkt» wurde das Projekt «Kooperation Arbeitsmarkt». Der neue Name steht für die Zusammenarbeit von Sozialversicherungsanstalt (SVA), Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA), Gemeinden und Arbeitgebenden. Das Konzept des Pilotprojektes wurde dabei so weit angepasst, dass eine grossflächige Umsetzung möglich wird. Eine Zusammenführung unter einem gemeinsamen Dach ist dabei nicht mehr möglich, insbesondere weil dies für die Institutionen und deren rechtliche Regelsysteme eine zu grosse Hürde gewesen wäre. Räumlich bleiben RAV und SVA/IV getrennt, einzelne Mitarbeitende der IV werden zeitweise auch in den RAV arbeiten.

Die Beratung aus einer Hand für Stellensuchende, Klienten und Arbeitgebende sowie die verbesserten Leistungen für die Gemeinden werden wie schon im Pilotprojekt aufrechterhalten. Ab dem 1. April 2019 wird die «Kooperation Arbeitsmarkt» an allen Standorten der RAV und der IV im Kanton Aargau umgesetzt.

Wissen und Kompetenzen teilen


Die Kernkompetenzen von IV und RAV, insbesondere für die Integration von Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen bzw. mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt, werden wirksamer eingesetzt und Doppelspurigkeiten verhindert. Gewisse bundesrechtliche Aufgaben in der Arbeitsintegration werden zwischen SVA/IV und den RAV neu verteilt. Das AWA und die IV betreiben eine gemeinsame Falltriage, welche von IV-Mitarbeitenden geführt wird. Diese Triage ermöglicht eine rasche und passende Fallzuteilung. So übernimmt die IV für die RAV den Vollzug des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (Avig) und des Arbeitsvermittlungsgesetzes (AVG) für Personen, welche einen zeitgleichen Leistungsanspruch nach Avig/AVG und bei der Invalidenversicherung haben. Hierfür wird in der IV ein spezialisiertes Team für die Eingliederung geschaffen. Stellensuchende werden in Zukunft während des ganzen Integrationsprozesses durch eine spezialisierte Fachperson der SVA betreut, welche IV- und ALV-Leistungen koordiniert und zuspricht.

Die Arbeitgeberbetreuung und die Akquisition von Stellen für die Klienten übernimmt neu das AWA und entlastet so die IV. So haben Arbeitgebende mit den Arbeitgeberberatenden der «Kooperation Arbeitsmarkt» nur noch eine Ansprechperson auf den RAV für alle drei Institutionen.

Nicht alle Gemeinden verfügen über Ressourcen und Kenntnisse, um die Arbeitsintegrationsaufgaben selber zu leisten. Neu können die Gemeinden deshalb die RAV mit der Arbeitsintegration von Sozialhilfebeziehenden beauftragen (siehe Kasten). Spezialisierte Beratende der RAV übernehmen Arbeitsintegrationsaufgaben für Klienten der Sozialdienste. Damit stehen den Gemeinden bei den RAV zusätzliche Integrationsmassnahmen zur Verfügung, die in Rechnung gestellt werden.

Mit der «Kooperation Arbeitsmarkt» geht der Kanton Aargau in der interinstitutionellen Zusammenarbeit neue Wege, die weit über die vom Gesetzgeber vorgesehene Koordination der Akteure hinausgehen. Die Zusammenarbeit zwischen IV, ALV und den Sozialdiensten der Gemeinden wird mit der «Kooperation Arbeitsmarkt» systematisiert und intensiviert. Sie legt den Fokus auf die betroffenen Menschen und Arbeitgeber statt auf institutionelle Grenzen und nutzt dabei gegenseitig Wissen, Erfahrung und Kompetenzen für die Arbeitsintegration und den Arbeitsplatzerhalt.

Die «Kooperation Arbeitsmarkt» mit den institutionenübergreifenden und systematischen Prozessen erlaubt dabei auch Erweiterungen bzw. das Andocken von zusätzlichen Aufgaben, wie sie sich z. B. aus der Integrationsagenda Schweiz ergeben. Eine intensivierte Zusammenarbeit zwischen Gemeinden und den RAV drängt sich auch mit der Stellenmeldepflicht auf. Stellensuchende Sozialhilfebeziehende können nämlich nur dann von der Stellenmeldepflicht profitieren, wenn sie auf einem RAV angemeldet sind.

Zitiervorschlag: Thomas Buchmann, Peter Eberhard, Karin Hunziker, (2018). Der Aargau beschreitet neue Wege. Die Volkswirtschaft, 22. November.

Angebot für Gemeinden

Die RAV übernehmen im Auftrag der Gemeinden die Abklärung der Arbeitsmarktfähigkeit, den Aufbau der Arbeitsmarktfähigkeit und die begleitete Integration in den ersten Arbeitsmarkt. Diese drei Phasen gestalten sich nach dem individuellen Integrationsbedarf der Klienten. Die Gemeinden erhalten vom RAV pro Phase eine Einschätzung für die Integration. Die Zusammenarbeit basiert auf verbindlichen Prozessen. Für die Anmeldung dieser Klienten gelten definierte Minimumkriterien (z. B. Deutschkenntnisse, keine akute Suchtproblematik etc.). Das RAV kann, nach Rücksprache mit dem Sozialdienst, einen Integrationsauftrag beenden, wenn die individuellen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Arbeitsmarktintegration nicht mehr gegeben sind.