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Das Aufschieben der Liberalisierung des Strommarktes führt zu volkswirtschaftlichen Kosten – nicht nur für Konsumenten, sondern auch für die Anbieter.
Patrick Dümmler, Dr. sc. ETH, Senior Fellow sowie Mitglied der Geschäftsleitung, Avenir Suisse, Zürich

Standpunkt

Seit 2014 – fünf Jahre nach der Strommarktöffnung für Grossbezüger – sollten auch die privaten Haushalte und Kleinunternehmen ihren Stromanbieter selbst wählen können. Doch das vor über zehn Jahren abgegebene politische Versprechen des Bundesrates wurde bisher nicht eingelöst: Nach wie vor wird rund die Hälfte der Strommenge monopolistisch abgesetzt, das heisst, die Kleinbezüger sind an ihren lokalen Versorger gebunden.

Eine der Erklärungen ist, dass die europäischen Strompreise – und damit auch die Preise in der Schweiz – aufgrund des Wirtschaftsabschwungs im Zuge der Finanzkrise stark unter Druck kamen. In dieser Situation waren die Schweizer Produzenten froh, zumindest die Hälfte der Strommenge nicht nur kostendeckend, sondern auch mit einem Gewinnaufschlag verkaufen zu können. Die Leidtragenden sind Millionen von Haushalten und Kleinunternehmern in der Schweiz.

Die Zweiteilung des Strommarktes «verführt» die Versorger zu kreativen Ansätzen: Günstig eingekaufter Strom wird oft nur an Grosskunden weitergegeben, da im Wettbewerb um diese gekämpft werden muss. Demgegenüber wird der bislang oft teurere, selbst produzierte Strom den im Monopol bedienten Kleinkunden verkauft. Zwar hat das Bundesgericht vor einigen Jahren derartiges Verhalten sanktioniert, doch politisch sind Bestrebungen im Gange, für diese Geschäftspraxis die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen.

Doppelrolle der Kantone

Analysiert man die Besitzverhältnisse der massgebenden Schweizer Stromproduzenten, fällt auf, dass beinahe alle im Besitz von Kantonen oder Gemeinden sind. Aus Sicht des Stromkonsumenten wird man deshalb den Verdacht nicht los, dass die politische Doppelrolle der Kantone als Eigentümer und Gesetzgeber die vollständige Marktöffnung wohl eher verzögert denn beschleunigt hat.

Die seit 2014 «verlorenen Jahre» dürften auch einen weiteren, volkswirtschaftlich negativen Effekt zur Folge gehabt haben: Im Gegensatz zum europäischen Ausland, dessen Strommärkte seit Jahren allen Konsumenten offenstehen, entwickelten Schweizer Versorger bisher nur vereinzelt neue, kundenorientierte Lösungen. Die Möglichkeiten der Digitalisierung kommen so bei den kleinen Stromkunden nicht an, und der fehlende Wettbewerb macht entsprechende Investitionen der Anbieter betriebswirtschaftlich unattraktiv.

Diese Situation ist nicht nur für souveräne Stromkonsumenten unbefriedigend, sondern letztlich auch für die Stromanbieter selbst. Die ausbleibende Produktentwicklung führt zu einem Innovationsrückstand gegenüber ausländischen Versorgern, die bereits über jahrelange Erfahrungen im Kleinkundensegment verfügen. Je länger die Marktöffnung in der Schweiz hinausgezögert wird, desto grösser fällt der Wettbewerbsvorteil der ausländischen Konkurrenz aus.

Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist die vollständige Liberalisierung des Strommarktes ein Gebot der Stunde und sollte notfalls auch unabhängig von weiteren Reformen im Strommarkt rasch angegangen werden.

Zitiervorschlag: Patrick Dümmler (2018). Standpunkt: Eine überfällige Marktöffnung. Die Volkswirtschaft, 22. November.