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Den Schweizer Strommarkt zukunftstauglich machen

Mit der Revision des Stromversorgungsgesetzes verbessern sich die Rahmenbedingungen: Die Versorgungssicherheit erhöht sich, Innovationen werden begünstigt, und die Stromversorgung wird effizienter.
Die Teilmarktöffnung verzerrt den Markt: 99 Prozent der Schweizer Stromkunden sind im Monopol des Verteilnetzbetreibers gefangen. (Bild: Keystone)

Die Stromproduktion in Europa verändert sich zusehends von einer zentralen hin zu einer dezentralen Ausrichtung mit erneuerbaren Energien. Im Zuge des fortschreitenden europäischen Energiebinnenmarktes verflechten sich die nationalen Strommärkte immer stärker. Dadurch verändern sich die Marktzusammenhänge auch in der Schweiz.

Eine zentrale Herausforderung ist die Versorgungssicherheit, welche in der Schweiz im europäischen Kontext betrachtet werden muss. Insbesondere im Zusammenhang mit zwischenzeitlich niedrigen Grosshandelspreisen – Tiefstand im Jahr 2016 – stellt sich die Frage, welche Anpassungen am regulatorischen Rahmen nötig sind, um die Versorgung auch in Zukunft zu gewährleisten. Welche Rahmenbedingungen garantieren langfristig hinreichende Investitionsanreize, damit die nötigen Kraftwerke zur Verfügung stehen?

In der Schweiz verzerrt die Teilmarktöffnung den Markt: Es werden heute bereits fünf Sechstel der gelieferten Strommenge über den Markt beschafft – nur ein Sechstel wird von den Netzbetreibern für ihre Kunden in der Grundversorgung selbst erstellt. Zugleich sind 99 Prozent der Schweizer Stromkunden im Monopol des Verteilnetzbetreibers gefangen. Zu Letzteren zählen nebst den Haushalten auch die meisten kleineren Unternehmen. Diese mangelnde Wahlfreiheit und die meist starre Tarifierung in der heutigen Grundversorgung setzen kaum Anreize für eine längerfristig effiziente, transparente und innovative Stromwirtschaft.

Bis zum Jahre 2050 wird es im Kontext der Energiestrategie zu einem erheblichen Netzausbau – vor allem in den Verteilnetzen – kommen. Der Ausbau kann nur zu wirtschaftlich vertretbaren Kosten erfolgen, wenn Schwächen in der Netzregulierung korrigiert werden. Wichtig ist dabei  der Einbezug von effizienten Smart-Grid-Technologien.

Die Revision des Stromversorgungsgesetzes (StromVG), die sich bis Ende Januar 2019 in der Vernehmlassung befindet, beinhaltet die beiden grossen Themenblöcke Markt- und Netzregulierung (siehe Abbildung). Bei der Marktregulierung stehen die langfristige Sicherstellung der Versorgungssicherheit, die Verbesserung der Effizienz des Marktes sowie die marktseitige Unterstützung der Energiestrategie 2050 und die Marktintegration der Erneuerbaren im Vordergrund. Nicht vorgesehen sind hingegen wirtschaftspolitische Massnahmen wie die finanzielle Unterstützung ausgewählter Produktionstechnologien oder einzelner Unternehmen. Bei der Netzregulierung sollen die Verursachergerechtigkeit, die Effizienz und die Transparenz sowie der Regulierungsrahmen verbessert werden.

Ziele der Gesetzesrevision


Marktöffnung begünstigt Innovation


Obwohl die Marktöffnung hinsichtlich einer umfassenden Integration in den europäischen Strommarkt mittelfristig unabdingbar ist, bringt sie auch unabhängig davon Vorteile für die Schweiz. Als Kernstück der Revision bringt sie den Haushalts- und Gewerbekunden umfassende Wahlfreiheiten. Wie in anderen Netzindustrien sollen die Kunden selbstbestimmt ihren Versorger wählen und auf ihre Wünsche zugeschnittene Produkte (zum Beispiel reine Wasserkraft) beziehen können. Die Marktöffnung wird innovative Dienstleistungen befördern. So könnte der Strombezug für Haushalte zum Beispiel mit dem Lademanagement von Elektromobilen verknüpft werden. Denkbar ist auch, dass sich regionale Stromproduzenten und Verbraucher zusammenschliessen, um ihren Strom aus Fotovoltaikanlagen ohne Zwischenhändler zu vermarkten. Solche Modelle können auch mit Beteiligungen an Produktionsanlagen verbunden werden. Dadurch werden mehr erneuerbare Energien in den Markt integriert – was im Sinne der Energiestrategie 2050 ist.[1]

Gemäss dem Revisionsvorschlag ist weiterhin eine Grundversorgung zu gewährleisten, welche kleinere Endverbraucher angemessen vor Preismissbrauch schützt und in die man immer wieder zurückwechseln kann. Zudem soll die Ausgestaltung der Grundversorgung zusätzlich die Umsetzung der Energiestrategie 2050 marktnah stützen. So ist vorgesehen, dass der Standardvertrag in der Grundversorgung auf einem Schweizer Strommix beruht, der bezüglich Erneuerbaren-Anteil mindestens die Anforderungen der Energiestrategie 2050 abbildet. Dies stärkt die heimische Produktion auch über einen Wertgewinn der Herkunftsnachweise.

Das derzeitige Marktmodell, bei dem nur tatsächlich gelieferte Energiemengen vergütet werden («Energy only»), soll weiterhin bestehen bleiben und die Basis für langfristige Investitionsentscheide sowie kurzfristige Einsatzentscheide bilden. Marktmechanismen wie etwa flexiblere Endverbrauchertarife, welche durch die Strommarktöffnung ermöglicht werden, werden in der Revision gestärkt. In Bezug auf die Versorgungssicherheit zeigen mehrere Studien, dass diese durch Schweizer Erzeugungskapazitäten und eine Anbindung an die benachbarten Strommärkte sogar ohne Stromabkommen marktbasiert gewährleistet werden kann.[2] Für zusätzliche Sicherheit soll eine Speicherreserve im Sinne einer Versicherung sorgen. Diese ist so zu konzipieren, dass sie Energie für unvorhergesehene Situationen ausserhalb des Marktes vorhält.

Netzregulierung wird effizienter


Verbesserungen in der Netzregulierung betreffen zunächst eine Korrektur der ungenügenden Verursachergerechtigkeit bei den Netznutzungsentgelten. Obwohl die Leistung (Kilowatt) der hauptsächliche Dimensionierungsfaktor ist und somit den wesentlichen Kostentreiber bei den Stromnetzen darstellt, orientieren sich die Tarife für die Endverbraucher mehrheitlich an der bezogenen Energie (Kilowattstunden). Dies soll durch Möglichkeiten einer (innovativen) Leistungstarifierung korrigiert werden, damit die Netznutzung durch die ökonomischen Knappheiten mehr gesteuert wird und implizite Verteilungseffekte begrenzt werden.

Das Regulierungssystem bleibt kostenbasiert. Gleichzeitig wird es durch ein umfassendes Transparenzinstrument («Sunshine-Regulierung») verbessert: Zukünftig kann die Eidgenössische Elektrizitätskommission (Elcom) umfassende Effizienz- und Qualitätsindikatoren für die Netzbetreiber veröffentlichen und somit «milde» Anreize zur Verbesserung in der Leistungserbringung setzen. Eine weiterführende Anreizregulierung, welche explizite finanzielle Anreize setzt, soll im Rahmen einer weiteren Revision eingeführt werden, wenn sich bei der Netzkostenentwicklung auf der Verteilnetzebene keine genügende Steigerung der Effizienz ergibt.

Um einen effizienten Netzausbau in den Verteilnetzen zu stärken und neue netznahe Märkte zu entwickeln, bedarf es einer besseren Nutzung vor allem netzdienlicher Flexibilitäten wie des Einspeisemanagements und der Nutzung flexibler Lasten (beispielsweise Wärmepumpen, dezentrale Speicher, Ladung von Elektromobilen). Diese können mittelfristig als Ersatz für den konventionellen Netzausbau dienen. Zudem werden attraktive Geschäftsmodelle gefördert wie virtuelle Kraftwerke und Aggregatoren, die auf der effektiven Nutzung vorhandener Flexibilitäten in der Last und der Erzeugung beruhen. Zu diesem Zweck soll klar geregelt werden, dass das Inhaberrecht der Flexibilität beim jeweiligen Erzeuger beziehungsweise Verbraucher liegt. Er kann sie selber nutzen oder vertragsbasiert dem Netzbetreiber oder einem Marktteilnehmer anbieten.

Da im Messwesen Ineffizienzen bestehen, welche durch die Elcom dokumentiert sind, sollen grössere Endverbraucher sowie die Betreiber von grösseren Elektrizitätserzeugungsanlagen und Speichern ein gesetzliches Recht erhalten, ihren Anbieter im Bereich der Verrechnungsmessung zu wählen. Auch weitere Massnahmen haben zum Ziel, die Regulierung zu verbessern. So sind die Leitplanken für Massnahmen zur Gewährleistung des sicheren Netzbetriebs zu schärfen. Weiter wird detailliert geregelt, wie man sicherstellt, dass die Übertragungsnetzbetreiberin Swissgrid in Schweizer Hand bleibt. Zudem werden die Regulierungsbefugnisse der Elcom gestärkt.

Wirtschaftsstandort Schweiz profitiert


Der Hauptnutzen der Revision des Stromversorgungsgesetzes besteht somit aus folgenden Punkten:

  • verbessertes Marktdesign, welches die Schweizer Versorgungssicherheit gegen unbekannte kritische Situationen absichert;
  • volle Marktöffnung, die für alle Kunden eine umfassende Freiheit bei der Lieferantenwahl schafft, sodass sie ihren Strombezug über Preis und Leistung optimieren;
  • eine durch die volle Marktöffnung geförderte kundennahe Dienstleistungsentwicklung, welche die Umsetzung der Energiestrategie 2050 stützt (beispielsweise direkter Strombezug von lokalen Produzenten, Optimierung der Stromprodukte für Verbraucher beziehungsweise Produzenten mit mehreren Standorten – zum Beispiel KMU – oder Produkt-Dienstleistungs-Bündel für Elektromobilität, Heimspeicher und erneuerbare Erzeugung);
  • verursachergerechtere Netztarifierung;
  • verbesserte Effizienzanreize durch erhöhte Transparenz;
  • effizientere Nutzung der Verteilnetze durch bessere Netznutzungsanreize sowie eine umfangreichere Nutzung von Flexibilitäten;
  • gesamtwirtschaftlich sinnvoll begrenzte Wahlfreiheiten im Messwesen.


Abschliessend lässt sich sagen: Die Revision des StromVG trägt durch die bei einer vollen Marktöffnung zu erwartenden Innovationen, eine umfängliche Absicherung der Versorgungssicherheit und eine verbesserte Netzregulierung dazu bei, dass der Wirtschaftsstandort Schweiz sich den künftigen volkswirtschaftlichen Anforderungen angemessen und in dynamischer Weise stellen kann.

  1. Institut für Strategisches Management, Wirtschaftsuniversität Wien (2018). []
  2. ETH Zürich und Universität Basel (2017) und Elcom (2018). []

Literaturverzeichnis

  • Elcom (2018). Studie zur Versorgungssicherheit der Schweiz im Jahr 2025.
  • ETH Zürich und Universität Basel (2017). Modellierung der System Adequacy in der Schweiz im Bereich Strom, Studie im Auftrag des BFE.
  • Institut für Strategisches Management, Wirtschaftsuniversität Wien (2018). Analyse von Geschäftsmodellinnovationen für Erneuerbare Energien in liberalisierten Märkten.

Bibliographie

  • Elcom (2018). Studie zur Versorgungssicherheit der Schweiz im Jahr 2025.
  • ETH Zürich und Universität Basel (2017). Modellierung der System Adequacy in der Schweiz im Bereich Strom, Studie im Auftrag des BFE.
  • Institut für Strategisches Management, Wirtschaftsuniversität Wien (2018). Analyse von Geschäftsmodellinnovationen für Erneuerbare Energien in liberalisierten Märkten.

Zitiervorschlag: Wolfgang Elsenbast, Florian Kämpfer, (2018). Den Schweizer Strommarkt zukunftstauglich machen. Die Volkswirtschaft, 22. November.