Suche

Abo

Schnittstellen bei der Arbeitsmarktintegration optimieren

Zahlreiche Institutionen unterstützen in der Schweiz Stellensuchende bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Zwischen der Arbeitslosenversicherung und diesen Institutionen bestehen viele Schnittstellen. Eine Studie zeigt nun, wo diese liegen und wie sie verbessert werden können.
Nicht alle Jugendlichen schaffen einen nahtlosen Übertritt von der Schule in den Arbeitsmarkt. (Bild: Keystone)

Was sind die Erfolgsfaktoren für eine langfristige Teilnahme am Erwerbsleben? Ist es eine abgeschlossene Schulbildung? Ist es die gezielte Vermittlung einer stellensuchenden Person an einen Arbeitgeber? Oder die Anpassung eines Arbeitsplatzes auf die Bedürfnisse einer Person mit körperlichen Einschränkungen?

So vielfältig wie die Antworten auf diese Fragen sind, so vielfältig ist auch die Arbeitsmarktintegration. Neben der Arbeitslosenversicherung (ALV) leistet eine Vielzahl weiterer Institutionen wie die IV, die Sozialhilfe, die Integrationsförderung von Migranten oder die Berufsbildung einen wichtigen Beitrag zur Eingliederung von Stellensuchenden in den Arbeitsmarkt (siehe Abbildung).

Durch die unterschiedlichen institutionellen Zuständigkeiten ergeben sich unweigerlich Überschneidungen und Koordinationsbedarf bei den Übergängen von einer in die andere Institution sowie teilweise auch Konflikte um die Mittel oder die Ziele. Eine Übersicht zu den verschiedenen Schnittstellen der ALV fehlte bisher. Aus diesem Grund hat das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) das Beratungs- und Forschungsunternehmen Ecoplan beauftragt, im Rahmen einer qualitativen Studie einen Katalog der Schnittstellen der ALV zu ihren institutionellen Partnern zu erstellen. Für jede Schnittstelle enthält der Katalog eine Bewertung der jeweiligen Bedeutung, der Herausforderungen und der vorhandenen Lösungsansätze.

Die wichtigsten institutionellen Akteure in der Arbeitsmarktintegration


Grosse kantonale Unterschiede


Die Zusammenarbeit zwischen der ALV respektive den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) und den Sozialdiensten ist je nach Kanton unterschiedlich intensiv. Während sich in einigen Kantonen alle arbeitsmarktfähigen Sozialhilfebezüger beim RAV zur Arbeitsvermittlung anmelden müssen, ist dies in anderen Kantonen nur sporadisch der Fall. Dies hängt massgeblich davon ab, ob die Sozialdienste eigene Programme zur Arbeitsmarktintegration betreiben. In kleineren Sozialdiensten und Kantonen hat die Sozialhilfe oft keine entsprechenden Kapazitäten und Kompetenzen und ist daher auf die Angebote der RAV angewiesen.

Um sicherzustellen, dass die Sozialdienste die vermittelbaren Personen den RAV melden, ist ein gemeinsames Verständnis des Konzepts der Arbeitsmarktfähigkeit entscheidend. Die Arbeitsmarktfähigkeit ergibt sich aus den individuellen Voraussetzungen einer stellensuchenden Person und aus den Anforderungen des Arbeitsmarkts. Die individuellen Voraussetzungen setzen sich zusammen aus Eigenschaften wie der Ausbildung, den sozialen Kompetenzen sowie der Vermittlungsbereitschaft, der Arbeitsfähigkeit und der Arbeitsberechtigung. Oftmals haben RAV und Sozialdienste unterschiedliche Ansichten hinsichtlich der Arbeitsmarktfähigkeit eines Stellensuchenden. Der Schlüssel für ein gemeinsames Verständnis der Arbeitsmarktfähigkeit sind deshalb eine gegenseitige Sensibilisierung und ein kontinuierlicher Austausch sowie gemeinsam verwendete Hilfsmittel zur Bewertung der Arbeitsmarktfähigkeit einer Person.

Sobald sich eine Person mit wirtschaftlicher Sozialhilfe beim RAV zur Arbeitsvermittlung anmeldet, ist eine Koordination zwischen RAV und Sozialdienst notwendig. Diese Zusammenarbeit erfolgt meist informell und ist somit stark vom persönlichen Einvernehmen der beteiligten RAV-Personalberatenden und Sozialarbeitenden abhängig. Herausforderungen ergeben sich dann etwa bei der Finanzierung von sogenannten Arbeitsmarktlichen Massnahmen (AMM). Dabei handelt es sich um Kurse oder Praktika, die den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt vereinfachen sollen. Der Entscheid, ob eine Person für eine solche Massnahme infrage kommt, liegt zwar bei den Organen der ALV. Doch die Finanzierung kann bei Sozialhilfebezügern ohne ALV-Taggeldanspruch nicht über die ALV erfolgen. Deshalb muss die Finanzierung durch die Sozialhilfe oder mit anderen finanziellen Mittel erfolgen. Die Finanzierung des Existenzminimums obliegt in jedem Fall der Sozialhilfe.

Überschneidungen gibt es auch bei der ALV und der IV. Sie arbeiten vor allem dann zusammen, wenn ein ALV-Taggeldbezüger gleichzeitig bei der IV zur Frühintervention oder zur Abklärung eines Leistungsanspruchs angemeldet ist. Beide Sozialversicherungen beraten die Klienten und können Integrationsmassnahmen einsetzen und auch finanzieren. Art und Schwerpunkt der Massnahmen sind zwischen den beiden Versicherungen jedoch unterschiedlich, sodass sie sich gut ergänzen können. Dazu ist allerdings eine Koordination zwischen IV-Stelle und RAV notwendig. Ein unterschiedliches Verständnis der Erwerbsfähigkeit kann dabei hinderlich sein. Zudem ist sicherzustellen, dass die Anforderungen der beiden Sozialwerke an die Versicherten nicht die Bemühungen der jeweils anderen Institution behindern. So ist beispielsweise bei Massnahmen der IV sicherzustellen, dass die RAV einen Stellensuchenden nicht abmelden, weil dieser während der Massnahme nicht vermittlungsfähig ist.

Schnittstellen von ALV und Berufsbildung


Eine abgeschlossene Ausbildung ist eine Hauptvoraussetzung für eine erfolgreiche berufliche Integration. Die ALV hat jedoch keinen originären Auftrag im Bereich der Berufs- oder der tertiären Bildung. Nichtsdestotrotz bestehen Schnittstellen zwischen ALV und Berufsbildung, zum Beispiel beim Übergang von der obligatorischen Schule in die Berufsbildung oder in eine weiterführende schulische Ausbildung: Mit dem Motivationssemester Semo besteht eine AMM, die auf Jugendliche zugeschnitten ist, die bei diesem Übergang zu scheitern drohen. Neben den kantonalen Brückenangeboten stellt das Semo ein wichtiges Angebot für diese Zielgruppe dar. Schulabgänger haben zudem einen beschränkten Anspruch auf ALV-Taggelder, da sie während der Ausbildung beitragsbefreit sind. Entsprechend ergibt sich hier ein Koordinationsbedarf zwischen Berufsbildungsstellen und ALV. Diese Koordinationsfunktion wird dabei oftmals vom Case-Management Berufsbildung wahrgenommen, welches durch den Bund im Rahmen einer Anstossfinanzierung gefördert wurde.

Ein zweiter grosser Berührungspunkt zwischen der ALV und der Berufsbildung besteht bei der beruflichen Grundbildung für Erwachsene. Die Bereitstellung von spezifischen Bildungsangeboten und die Finanzierung der Lebenshaltungskosten während der Ausbildung stellen hier die zentralen Herausforderungen dar. Eine AMM der ALV sind die sogenannten Ausbildungszuschüsse. Sie ermöglichen unter gewissen Voraussetzungen das Nachholen einer Berufsbildung. Doch die Ausbildungszuschüsse sind diesbezüglich eine Ausnahme und werden von den Kantonen unterschiedlich intensiv genutzt. Abgesehen davon ist der Spielraum der ALV bei der Berufsbildung durch die aktuelle rechtliche Lage und den Fokus auf die rasche Wiedereingliederung von Stellensuchenden beschränkt.

Auch zwischen der beruflichen Grundbildung und der Integrationsförderung von Migranten besteht eine sehr enge Verbindung. Ein wesentliches Ziel der Integrationsförderung ist es, Grundkompetenzen und Sprachkenntnisse zu vermitteln. Darauf kann eine berufliche Grundbildung und schliesslich die Integration in den ersten Arbeitsmarkt aufbauen. Die ALV kommt dann ins Spiel, wenn eine ausreichende Arbeitsmarktfähigkeit erreicht wurde, sodass eine berufliche Integration möglich wird. Die RAV können ab diesem Moment, je nach ALV-Leistungsanspruch, dieselben Mittel wie für andere Stellensuchende einsetzen. Dazu gehören auch gewisse spezifische AMM wie etwa Sprachkurse. Die Angebote der ALV setzen aber immer ein gewisses Kompetenzniveau voraus, welches von den vorgelagerten Institutionen vermittelt werden muss.

Zitiervorschlag: Michael Mattmann, Michael Marti, Ramin Mohagheghi, Svenja Strahm, (2018). Schnittstellen bei der Arbeitsmarktintegration optimieren. Die Volkswirtschaft, 22. November.