Suche

Abo

Das neue Stromversorgungsgesetz muss einen Artikel über die Weiterbildung des Personals enthalten. Für eine vollständige Marktöffnung braucht es ein Stromabkommen mit der EU und eine Stärkung der Sozialpartnerschaft.
Denis Torche, Mitglied der Geschäftsleitung, verantwortlich für das Dossier «Energiepolitik», Travailsuisse, Bern.

Standpunkt

Die Revision des Stromversorgungsgesetzes (StromVG) ist für die Gewerkschaftsdachorganisation Travailsuisse von zentraler Bedeutung. Zu unseren Mitgliedern gehören auch der Verband der Personalvertretungen der Schweizerischen Elektrizitätswirtschaft (VPE), der die Interessen von über 12’000 Mitarbeitenden und damit mehr als der Hälfte aller Beschäftigten in dieser Branche vertritt, sowie die Gewerkschaft Syna mit mehreren Hundert in Energieversorgungsunternehmen tätigen Mitgliedern.

Das aktuelle Gesetz hat die Erwartungen der betroffenen Arbeitnehmenden nicht erfüllt: Es fehlen Bestimmungen zum Schutz der Arbeitnehmenden vor den Auswirkungen der Marktöffnung und zur Sicherung ihrer Arbeitsmarktfähigkeit. Da die Elektrizitätsbranche stark vom Strukturwandel betroffen ist, muss das neue Stromversorgungsgesetz den Bedürfnissen der Beschäftigten stärker Rechnung tragen. Die Stromwirtschaft selbst gab in einer 2012 von der Boston Consulting Group und dem Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) durchgeführten Umfrage («Schweizer Stromwirtschaft zwischen Abwarten und Aktivismus») an, dass der Kundendienst und die Qualifikation des Personals auf einem liberalisierten Markt die wichtigsten Erfolgsfaktoren sind. Die Umfrage zeigte zudem auf, dass 70 Prozent der Befragten Kosteneinsparungen und 42 Prozent einen Stellenabbau planen.

Für die Elektrizitätsbranche braucht es deshalb eine Bildungsoffensive. Nur so kann die Versorgungssicherheit gewährleistet und gleichzeitig angemessen auf die laufenden Veränderungen wie Dienstleistungsorientierung und intelligente Stromnetze («Smart Grids») reagiert werden. Das Gesetz muss einen Artikel enthalten, der die Aus- und Weiterbildung sowie Umschulungsmöglichkeiten für das Personal fördert.

Eine vollständige Marktöffnung wird den Strukturwandel beschleunigen, die Margen der Energieversorgungsunternehmen schmälern und den Druck auf die Löhne und Arbeitsbedingungen erhöhen. Zudem könnte es schwieriger werden, die Ziele der Energiestrategie 2050 zu erreichen, und die Versorgungssicherheit wäre gefährdet. Angesichts dieser Herausforderungen ist es unerlässlich, klare Bedingungen für eine vollständige Öffnung des Strommarktes festzulegen. In erster Linie ist ein Stromabkommen mit der EU abzuschliessen, dessen Inhalt offengelegt werden muss, damit in Kenntnis der Sachlage dazu Stellung genommen werden kann. Ausserdem müssen die Netzwerkinfrastrukturen im Besitz der öffentlichen Hand bleiben, Massnahmen zur Erreichung der Ziele der Energiestrategie 2050 eingeführt sowie die Sozialpartnerschaft mit den Arbeitnehmenden gestärkt werden. Für die Arbeitnehmenden ist es zwingend, dass gute Arbeits- und Lohnbedingungen gewährleistet sind. Travailsuisse plädiert deshalb dafür, einen Artikel ins Stromversorgungsgesetz aufzunehmen, der im Grundsatz einen Gesamtarbeitsvertrag vorsieht und die Sozialpartner zu Verhandlungen über dessen Inhalt anhält.

Zitiervorschlag: Denis Torche (2018). Standpunkt: Keine vollständige Liberalisierung ohne Bedingungen. Die Volkswirtschaft, 22. November.