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Mit der neuen Medizinprodukteverordnung der EU erhöht sich die Markteintrittsschwelle für Medizinprodukte deutlich. Viele Anbieter bleiben auf der Strecke.
Reto Bucher, Leiter Beschaffung und Logistik, Kantonsspital Aarau AG, Aarau

Standpunkt

Medizinprodukte sind ein wesentlicher Faktor bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten. Die Palette der Medizinprodukte reicht vom einfachen Pflaster bis hin zu komplexen Implantaten wie etwa in der Orthopädie oder der Kardiologie. Meist bestehen bei der Verwendung solcher Produkte auch Abhängigkeiten von Medizintechnikgeräten. Das erschwert den Wechsel eines Medizinproduktes oft, sodass er teilweise nur mit beachtlichen Investitionskosten erfolgen kann.

Man geht davon aus, dass im Schweizer Markt aktuell rund 500’000 verschiedene Medizinprodukte verwendet werden. Selbst bei einem kleinen Unfall wie beispielsweise dem Sturz eines Radfahrers mit Schürfwunden und einem gebrochenen Handgelenk werden ab Eintreffen der Ambulanz bis zum Spitalaustritt nach 2 bis 3 Tagen 150 bis 200 Medizinprodukte benötigt, um den Patienten ordentlich versorgen zu können.

Brexit verkleinert Angebot

Infolge der Anpassungen des Rechtsrahmens für Medizinprodukte in der EU ist im Mai 2017 bereits die EU-Verordnung über Medizinprodukte (MDR) in Kraft getreten, die im Frühjahr 2020 ihre Gültigkeit erlangt. Wie wirkt sich die neue EU-Verordnung auf die Spitäler und Patienten aus? Die Spitäler befinden sich in internationalen Abhängigkeiten. Gemäss heutigem Informationsstand rechnet man damit, dass mit der Revision Anbieter und Produkte vom Markt verschwinden werden. Es stellt sich dann die Frage, ob die Beschaffungsorganisationen kurzfristig in der Lage sind, den Bedarf an Alternativartikeln auf dem Gesundheitsmarkt zu evaluieren. Noch vor Einführung der MDR könnte bereits der Brexit das Angebot an Medizinprodukten negativ beeinflussen. Denn mehrere massgebende Zertifizierungsstellen (sogenannte Notified Bodies) sind in England ansässig.  Mit dem Brexit werden die Zertifikate dieser Stellen für den EU-Raum grösstenteils ungültig.

Die grösste Herausforderung für die Endabnehmer wird jedoch die Informationsbeschaffung betreffend die Verfügbarkeit der Produkte sein. Wie werden sie rechtzeitig über die Produkte, die zukünftig nicht mehr erhältlich sein werden, informiert? Und wie schaffen es die Verantwortlichen, die Versorgungssicherheit im Spital zu gewährleisten, damit jeder Patient seinem Bedarf entsprechend behandelt werden kann?

Lieferanten und Hersteller werden über Lieferengpässe sehr zurückhaltend informieren; nämlich erst dann, wenn sie selber Gewissheit über die Verfügbarkeit der Produkte haben. Das ist verständlich, da der Beschaffungsmarkt sehr schnell reagiert und ein Lieferant, der transparent informiert, selber Absatzprobleme bekommen wird. Deshalb muss heute davon ausgegangen werden, dass es in etlichen Fällen sehr schwierig sein wird, zeitgerecht Alternativprodukte zu beschaffen.

Zitiervorschlag: Reto Bucher (2018). Standpunkt: Engpässe bei der Versorgung. Die Volkswirtschaft, 20. Dezember.