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«Der chinesische Markt ist Chefsache»

China-Experte Ruedi Nützi erklärt im Interview, wie falsche Vorstellungen über China den Markteintritt von Schweizer Unternehmen erschweren. Schnelle Gewinne gebe es in diesem Markt nicht, sagt er. Bei einem Unternehmen, das in China tätig sein wolle, müsse der Chef regelmässig vor Ort sein.
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«Wer in China tätig sein will, muss regelmässig persönlich vor Ort sein.» Ruedi Nützi, Professor an der Fachhochschule in Olten. (Bild: Marlen von Weissenfluh, Die Volkswirtschaft)

Herr Nützi, Sie sind erst kürzlich von einem einwöchigen China-Aufenthalt zurückgekommen. Haben Sie neue Erkenntnisse gewonnen?


Ich habe in einem Emba-Programm in Lanzhou Führungskräfte unterrichtet und konnte parallel dazu Gespräche mit Leuten führen, die ich zum Teil bereits seit 25 Jahren kenne. Dabei habe ich festgestellt, dass die zuvor vorherrschende Zuversicht abgenommen hat und die Unsicherheit und der Druck steigen. Die wirtschaftlichen und politischen Veränderungen haben nochmals an Tempo gewonnen.

Wie zeigt sich das?


Private chinesische Firmen scheinen mehr kontrolliert zu werden als früher. Es macht den Eindruck, als wolle die Regierung dem in den letzten Jahren ungezügelten Kapitalismus Einhalt gebieten.

Sie empfangen auch hier in Olten an der Hochschule für Wirtschaft FHNW immer wieder chinesische Geschäftsleute, die eine Managementausbildung absolvieren. Was sagen diese über die Schweiz?


Die Schweiz wird als wettbewerbsfähig und innovativ angesehen. Es wird auch wahrgenommen, dass es ihr gelingt, mit der Heterogenität einer Gesellschaft umzugehen. Zudem hat die Schweiz einen Vorbildcharakter, weil sie es als ehemals armes Land innerhalb von 150 Jahren geschafft hat, zum wettbewerbsfähigsten Land der Welt zu werden.

 

Chinesen und Schweizer sind sich ähnlicher, als man gemeinhin denkt.


 

Und bezüglich der Mentalität?


China ist ein guter Spiegel für Schweizer Werte. Man nimmt uns als bodenständig und leistungsstark wahr. Ohnehin sind sich Chinesen und Schweizer ähnlicher, als man gemeinhin denkt. Die beiden Länder teilen eine pragmatische Grundeinstellung.

Gibt es Mentalitätsunterschiede, die Schwierigkeiten bereiten?


Selbstverständlich. Die Schweiz zählt 8,5 Millionen Individualisten. Im Gegensatz dazu sehen sich die Menschen in China als Teil eines grossen Ganzen. Das ist kein Stereotyp, sondern prägt die Menschen stark. Wichtig ist auch, die Eigenheiten der chinesischen Sprache zu verstehen. Selbst wenn man Chinesisch gelernt hat, bleibt einem die Sprache fremd, denn sie funktioniert indirekt. Die Bedeutung des Gesagten muss man aus dem Kontext ableiten.

Zu welchen Problemen führt das konkret?


China ist eine Top-down-Gesellschaft. Als Direktor der Hochschule für Wirtschaft erfahre ich von meinen chinesischen Gästen nicht direkt, was sie denken. Das erfahre ich über Umwege, indem meine chinesischen Mitarbeitenden sich umhören.

Seit 25 Jahren hat die Hochschule für Wirtschaft FHNW Kooperationen mit China. Was ist der Hintergrund?


Unser Ziel ist, dank unseren Kontakten und Aktivitäten aktuelles China-Know-how zu generieren und an unsere Studierenden und an KMU weiterzugeben. In dieser Breite ist unser Angebot einmalig in der Schweiz: In den letzten fünf Jahren haben wir 900 chinesische CEOs zu Besuch gehabt. Wir führen Managementprogramme für chinesische Kaderleute durch. Ausserdem bieten wir mit dem Swiss-China-Update jedes Jahr eine Plattform für den Wissenstransfer, an dem sich Schweizer CEOs zum Thema China austauschen. Zudem beraten wir auch Schweizer KMU bei der Marktabklärung. Aktuell erarbeiten wir anhand konkreter Erfahrungen einen Leitfaden für KMU, die in den chinesischen Markt einsteigen wollen.

Worauf kommt es an beim Business mit China?


Viele Geschäftsleute unterschätzen die kulturellen Differenzen. Daher muss man sich intensiv mit China auseinandersetzen. Ein Schweizer KMU ist typischerweise ein Gewerbebetrieb mit 5 bis 15 Leuten, in dem der Geschäftsführer vieles selber machen muss. Da kann er den Einstieg in den chinesischen Markt nicht auch noch aufbauen. Also delegiert er das. Und das ist der erste Fehler. Der chinesische Markt ist Chefsache. Wer dort tätig sein will, muss regelmässig persönlich vor Ort sein.

Wie verschafft man sich als KMU Zugang zum riesigen chinesischen Absatzmarkt?


Die Vorstellung, dass man mit einem guten Produkt ohne Weiteres in diesen Markt einsteigen kann, ist zu naiv. Unternehmerinnen und Unternehmer brauchen fundierte Kenntnisse über den chinesischen Markt und die chinesische Kultur. Unsere Passion ist es, sie mit aktuellem Know-how zu unterstützen. Wenn dann nach einer soliden Abklärung ein begründetes Nein herauskommt, dann ist das eine gute Entscheidung. Das mag paradox klingen, aber es gibt viele KMU, die wie beim Roulette in die Hoffnung investieren, dass es sich irgendwann auszahlt. Sie spielen und spielen und verlieren. Schnelle Gewinne gibt es in diesem Markt nicht. Es braucht eine Langzeitperspektive.

Was sind weitere Schwierigkeiten von KMU, um in China Fuss zu fassen?


Oft herrscht ein falsches Bild der chinesischen Wirtschaft vor. China ist in vielen Bereichen innovativ, etwa bei Big Data, Drohnen oder künstlicher Intelligenz. Wenn man nach Shenzhen fährt, sieht man, dass wir in der Schweiz bei diesen Technologien nicht mehr Early Front-Runner, sondern bestenfalls noch Follower sind. Das zeigt sich beispielsweise bei Huawei. Durch globale Allianzen hat sich das Telekomunternehmen zum Weltkonzern entwickelt und ist Innovator in der Branche. Huawei investiert viel Geld in Forschung und Entwicklung, in seine Mitarbeitenden und geht strategische Partnerschaften mit Firmen auf der ganzen Welt ein, zum Beispiel auch mit Swisscom. Schweizer Unternehmen müssen sich permanent mit den neuen Realitäten in China auseinandersetzen.

Trotzdem ist China immer noch ein Hersteller von Massenprodukten. Das Land sucht gegenwärtig mit dem Infrastrukturprojekt «Belt and Road Initiative» einen Ausweg, um diese Produkte schneller nach Europa und Afrika zu schaffen. Wie könnte die Schweiz an dieser Initiative teilhaben?


Beispielsweise mit spezifischem Know-how im Umweltschutzbereich. Und schliesslich müssen diese Projekte auch alle finanziert werden. Da könnten Schweizer Banken zusammen mit chinesischen Banken, die in Zürich Fuss gefasst haben, ihre Erfahrung einbringen.

Könnten sich auch Schweizer KMU an dieser Initiative beteiligen?


Für KMU gestaltet sich das bei diesen gigantischen Projekten schwierig. Es gibt aber Möglichkeiten in Nischenbereichen. Ein Schweizer Ingenieurunternehmen etwa erarbeitet bereits seit zehn Jahren Abwasserreinigungskonzepte für chinesische Provinzen und Städte. Für eine Firma, die den chinesischen Markt bereits kennt, könnte eine Beratungsleistung in einem Teilprojekt infrage kommen.

Beschäftigt der Handelskrieg zwischen den USA und China die Unternehmen in der Schweiz?


Ja, weil er zu Unsicherheiten führt. Und gerade im Austausch mit einem Partner wie China, wo es üblicherweise schon genug Unsicherheiten gibt, ist ein solches Klima Gift.

Wie offen ist denn der chinesische Markt?


China macht, was andere Volkswirtschaften auch schon gemacht haben: Es spricht von Freihandel und setzt dann selektiv Limiten. Staatspräsident Xi Jinping präsentierte sich am WEF in Davos zwar als Verteidiger des freien Handels, aber gleichzeitig gibt es auf Provinzebene zahlreiche Möglichkeiten, ausländischen Firmen Steine in den Weg zu legen. Hilfreich sind daher ein gutes Netzwerk und Zugang zu politischen Kreisen. Viele Leute aus der Schweizer Wirtschaft stehen dieser vordergründigen Öffnung trotzdem positiv gegenüber und sehen das als Teil des Spiels.

 

Generell sind die Spiesse nicht gleich lang.


 

Schweizer Firmen können in China nicht problemlos Akquisitionen tätigen?


Generell sind die Spiesse nicht gleich lang. Chinesische Investoren können in der Schweiz Firmen kaufen. Umgekehrt gibt es zwar mittlerweile Lockerungen für Schweizer Unternehmen und Investoren in China. Aber grundsätzlich sind Akquisitionen in China nicht ungehindert möglich. Solche Ungleichheiten müssen angesprochen werden, zum Beispiel im Rahmen der Weiterentwicklung des Freihandelsabkommens.

Die Schweiz kennt keine Kontrolle bei ausländischen Direktinvestitionen in Schweizer Unternehmen. Befürworten Sie eine sogenannte staatliche Investitionskontrolle?


Ich habe kein Patentrezept für eine Investitionskontrolle. Die Schweiz muss aber eine Debatte darüber führen, was für ausländische Investoren generell nicht käuflich ist. Ich spreche hier nicht nur von Käufern aus China, sondern zum Beispiel auch von Investments mittels der Staatsfonds arabischer Länder. Einerseits sind unsere offenen Grenzen ein Erfolgsfaktor, andererseits besteht auch eine gewisse Gefahr, wenn eine Weltmacht gezielt Unternehmen aufkauft. Dieses Dilemma gilt es zu lösen. Denn es ist eben ein Unterschied, ob ein Privatunternehmen kauft oder ein chinesisches Unternehmen, bei dem letztlich immer der Staat mit einem Plan dahintersteht. Deutschland zum Beispiel, das auch exportstark ist und sich als Innovationsgesellschaft versteht, verschärfte die Bedingungen für ausländische Firmenübernahmen. Das könnte ich mir auch in der Schweiz vorstellen.

Laut der Denkfabrik Avenir Suisse ist das Volumen von chinesischen Direktinvestitionen in der Schweiz im Vergleich zu jenen aus den USA und Europa gering.


Ich bin immer vorsichtig, wenn man mit Volumina argumentiert. Die chinesische Stadt Shenzhen hat heute 13 Millionen Einwohner. Vor 30 Jahren waren es nur ein paar Tausend. In vielen Bereichen hat China klein begonnen und dann eine unglaubliche Geschwindigkeit entwickelt. So haben beispielsweise die Deutschen und die Franzosen den Chinesen das Know-how für den Bau von Schnellzügen zur Verfügung gestellt. Und innerhalb von fünf Jahren sind sie ausgebootet worden.

Könnten Sie sich vorstellen, in China zu leben?


Nein. (lacht) Aber das hat nichts mit China zu tun. Ich bin Schweizer Patriot und lebe gerne in der Schweiz. Der Blick auf China hebt für mich die guten Seiten der Schweiz hervor. Wenn Chinesen hierherkommen, fällt ihnen am meisten auf, dass es hier ruhig ist, dass die Luft frisch ist, dass die Leute Arbeit haben und das Berufsbildungssystem gut ist. Ich sehe so viele Vorteile hier, dass ich mir sage: Ich bleibe lieber hier und versuche diese Vorteile weiterzuentwickeln.

Und was gefällt Ihnen an China nicht?


Ein Beispiel ist die hierarchische Denkweise. Und die chinesische Gesellschaft ist extrem prestigeorientiert. Man muss dort studiert haben, und zwar nicht an irgendeiner Universität, sondern an einer ganz bestimmten. In der Schweiz machen zwei Drittel der Leute eine Lehre, und das duale Bildungssystem ist ein wichtiger Teil unserer Wettbewerbsfähigkeit. Aber aus Sicht der Chinesen hat eine Berufslehre kein Prestige.

Sie planen neue und vertiefte Kooperationen mit Indonesien und Vietnam. Weshalb gerade in diesen beiden Ländern?


Wir wollen unseren Studierenden die Vielfältigkeit von Asien vermitteln. In meiner Wahrnehmung tickt Vietnam kulturell völlig anders als China. In Vietnam sind wir seit zehn Jahren tätig. Wir haben dort Kooperationen aufgebaut und bieten MBA-Weiterbildungen an. Im Fall von Indonesien kam der indonesische Botschafter in der Schweiz, ein ehemaliger Geschäftsmann, auf uns zu, weil er von unseren Aktivitäten in China und Vietnam gehört hatte. Er sagte, er könne sich vorstellen, dass wir in Indonesien ein KMU-Center eröffnen. Wir werden unsere Aktivitäten im Land nun Schritt für Schritt ausbauen.

Zitiervorschlag: Tesar, Nicole (2018). «Der chinesische Markt ist Chefsache». Die Volkswirtschaft, 18. Dezember.

Ruedi Nützi

Der Direktor der Hochschule für Wirtschaft der Fachhochschule Nordwestschweiz, Ruedi Nützi, ist ebenfalls Dozent für Führung und Kommunikation. Unter seiner Leitung wurde das China-Geschäft der Hochschule laufend ausgebaut. Aktuell verfügt die Hochschule über Partnerschaften in zwölf verschiedenen Städten und Provinzen. Ruedi Nützi ist Mitglied der Delegation Internationale Beziehungen von Swissuniversities. Er ist Träger des Friendship Award der chinesischen Regierung.