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Unerwünschte Nebenwirkungen in der Agrarpolitik

Hohe Importzölle auf Nahrungsmittel schützen die Landwirte sowie die Nahrungsmittelindustrie in der Schweiz. Doch die damit generierten Kosten kommen nicht vollumfänglich der Landwirtschaft zugute.
Bei der Verarbeitung von Landwirtschaftsprodukten ist der Wettbewerb eingeschränkt. Schneidmaschine für Fertigsalat. (Bild: Keystone)

Lebensmittel kosten in der Schweiz mehr als im Ausland: Relativ zu den EU-15-Staaten sind Nahrungsmittel 60 Prozent und allgemeine Güter rund ein Drittel teurer. Im Vergleich zum gesamten EU-Durchschnitt sind die Preisdifferenzen noch höher, gemessen an unseren Nachbarländern tiefer.

Die höheren Preise bekommen nicht nur Konsumenten zu spüren, sondern als Vorleistungen verteuern sie auch die Produktionskosten der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelindustrie und behindern deren Wettbewerbsfähigkeit. Beispielsweise machen die Kosten für Futtermittel 40 Prozent des Aufwands der Schweizer Landwirtschaft aus.

Für die Preisdifferenz zwischen der Schweiz und den Nachbarländern gibt es verschiedene Gründe. So sind in der Schweiz die Löhne und die Mieten höher. Weiter basiert die Landwirtschaft vergleichsweise auf kleinen Betrieben, was an den geografischen Bedingungen, dem auf das Inland begrenzten Absatzmarkt sowie dem Schweizer Bodenrecht und den Präferenzen der Bevölkerung liegen dürfte. Beispielsweise wird für Futtermittel nur gentechnikfreies Soja in die Schweiz importiert, obwohl günstigere Alternativen im Ausland erhältlich wären.[1] Ein wesentlicher Faktor ist zudem der Grenzschutz: Mittels Zöllen werden die Preise in der Schweiz hoch gehalten, und die einheimische Produktion wird vor ausländischer Konkurrenz geschützt. Darüber hinaus entstehen zusätzliche Kosten aufgrund der hohen Produktionsstandards und strenger Umweltvorschriften.

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) hat im Rahmen der jährlichen Strukturberichterstattung fünf externe Studien in Auftrag gegeben, welche nach Ursachen für die höheren Preise suchen und die Rolle des Grenzschutzes beleuchten. Aufgrund der Spezifizität einzelner Produkte hat man sich auf Fallstudien konzentriert. Im Fokus waren dabei sowohl typische Konsumgüter – Fleisch, Brot und Joghurt – als auch wichtige Vorleistungen der landwirtschaftlichen Produktion wie Futtermittel, Dünger und Pflanzenschutzmittel.

Stützungsmassnahmen in Milliardenhöhe


Die schweizerische Agrarpolitik basiert grösstenteils auf zwei Säulen: dem Grenzschutz und den Direktzahlungen. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schätzt die Marktpreisstützung (Grenzschutz und Exportstützung) in der Schweiz auf jährlich rund 3,3 Milliarden Franken in den Jahren 2015 bis 2017 (provisorische Daten für 2017). Während zwischen 1980 und 2000 die Marktpreisstützung das wichtigste Instrument der Agrarpolitik war, gewinnt die zweite Säule zusehends an Bedeutung. In den Jahren 2015 bis 2017 betrugen die Direktzahlungen jährlich etwa 3,5 Milliarden Franken. Schliesslich zählen auch staatliche Dienstleistungen an die Landwirtschaft als drittes Instrument zur Agrarpolitik, insbesondere beim Wissenstransfer und der Innovation, wobei diese in der Schweiz zahlenmässig weniger wichtig sind. Insgesamt macht die Unterstützung der landwirtschaftlichen Produzenten in der EU etwa 20 Prozent von deren Einkommens aus, während dieser Anteil in der Schweiz fast 80 Prozent beträgt.

Vereinfacht gesagt, hebt die Schweiz mit dem Grenzschutz die tieferen Importpreise auf das inländische Preisniveau an. Damit soll sichergestellt werden, dass Schweizer Produkte im Inland preismässig konkurrenzfähig bleiben und verkauft werden. Die tieferen Importzölle im Kontingentsystem erlauben es, die inländische Nachfrage ausserhalb der Schweizer Saison oder bei einer zu geringen internen Produktionsmenge zu decken. Eine Studie im Auftrag des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW) aus dem Jahr 2016 hat gezeigt, dass das Zoll- und Kontingentsystem der Schweiz das Ziel der Preisstützung erreicht.[2]

Die Tücken des Grenzschutzes


Allerdings führt der Grenzschutz auch zu Nebenwirkungen, welche nicht im Interesse der Landwirtschaft sind. So trägt er massgeblich zur Marktabschottung bei. Indem nicht nur das eigentliche Agrarprodukt (beispielsweise Weizen), sondern auch das verarbeitete Produkt (Mehl, Futtermittel oder Brot) durch Zölle geschützt ist, wird der Markt künstlich klein gehalten. Denn die inländische Produktion ist wegen der hohen Nahrungsmittelpreise auf die inländische Nachfrage limitiert. Dies wiederum beschränkt die Zahl der Anbieter, zumal die ausländische Konkurrenz bereits durch den Grenzschutz ausgeschaltet ist. Zwei Studien zeigen, dass oft nur wenige Akteure auf dem Markt tätig sind und diese somit über eine höhere Marktmacht verfügen – beispielsweise auf dem Schweinefleischmarkt oder im Detailhandel, wo zwei Anbieter den Markt prägen.[3]

In der Praxis ist es allerdings schwierig, festzustellen, ob die geringe Anzahl Anbieter die Preise tatsächlich in die Höhe treibt, wie es die ökonomische Theorie nahelegt. Eine Studie gibt Hinweise dafür, dass die Fleischverarbeiter und Schlachthöfe in der Schweiz ihre Marktmacht ausspielen, um bei den Landwirten tiefe Preise durchzusetzen.[4] Klar ist: Langfristig bestehen bei einem geringeren Wettbewerb weniger Anreize, ineffiziente Produktionsstrukturen zu verbessern. Insgesamt zementieren die Begrenztheit des Marktes und der geringe Wettbewerb die vorhandenen Marktstrukturen.

Eine negative Folge des Grenzschutzes sind zusätzliche Renten in den nachgelagerten Produktionsstufen.[5] Mit anderen Worten: Der Grenzschutz führt zu zusätzlichen Kosten für die Konsumenten, welche nicht oder nur teilweise – wie von der Agrarpolitik beabsichtigt – der Landwirtschaft zugutekommen. Anhand der Beispiele von Brot und Joghurt konnte eine Studie aufzeigen, dass die wenigen Akteure in der verarbeitenden Industrie und im Detailhandel insgesamt höhere Bruttomargen erzielen als die entsprechenden Stufen im jeweiligen Nachbarland der Schweiz.[6]

Genau beziffern lässt sich der reine Profit der nachgelagerten Produktionsstufen nicht. Dennoch wird deutlich, dass die Kombination von Grenzschutz und Marktkonzentration dazu führt, dass Firmen über entsprechende Verhandlungsmacht in der Wertschöpfungskette verfügen. Diese Situation wird verschärft durch die Tatsache, dass sich ein Grossteil der Schlachthöfe und Molkereien in den Händen von wenigen Eigentümern oder Hauptabnehmern befindet.[7] Den zahlreichen Landwirtinnen und Landwirten stehen also nur wenige grosse Abnehmer gegenüber.

Nebst dem geringeren Wettbewerb führt auch die Preisstützung dazu, dass die Produzenten kaum Anreize haben, mit alternativen Angeboten an Vorleistungen, wie beispielsweise mit importierten Produkten aus dem Ausland, zu experimentieren. Auch Nachhaltigkeitslabels im Detailhandel tragen zu höheren Preisen bei. Viele Konsumenten scheinen hier bereit, für Ökologie und Tierwohl einen Aufpreis zu zahlen. Nicht zuletzt, da ein Anteil der höheren Preise direkt der Landwirtschaft zugutekommt. In Kombination mit der Marktkonzentration im Detailhandel schränken diese Vorschriften jedoch die Entscheidungsfreiheit der landwirtschaftlichen Produzenten ein und verstärken die Abhängigkeit der Landwirte vom Abnehmer, zumal ein Wechsel eines Labels mit Kosten verbunden ist.[8]

Komplexes Direktzahlungssystem


Aufgrund der erwähnten Nebenwirkungen wird oft eine Verschiebung weg vom Grenzschutz hin zu einer noch stärkeren Ausrichtung der Landwirtschaft auf Direktzahlungen gefordert. Ein Wandel in diese Richtung hat bereits eingesetzt.

Mit dem Ausbau hat das Direktzahlungssystem jedoch zunehmend an Komplexität gewonnen – was für die Landwirte eine administrative Belastung darstellt und dem Ziel entgegenläuft, die unternehmerische Freiheit zu stärken und die Landwirtschaft stärker auf den Markt auszurichten.[9] Die komplexen Vorgaben akzentuieren jedoch die Preisunterschiede für landwirtschaftliche Vorleistungsgüter wie Dünger und Pflanzenschutzmittel. So sind viele Landwirte beim Kauf der Vorleistungen auf Fachberatungen von Schweizer Vertriebshändlern angewiesen, um sicherzustellen, dass sie die Anforderungen der Direktzahlungsverordnung erfüllen.[10] Dies schlägt sich in den Preisen dieser Produkte nieder. Die Komplexität der Verordnung schützt die Vertriebshändler indes auch vor ausländischer Konkurrenz und trägt somit zu höheren Preisen für Vorleistungsgüter in der Landwirtschaft bei. Neben einer Verschiebung hin zu mehr Direktzahlungen ist daher auch eine Vereinfachung des Direktzahlungssystems anzustreben.

Schliesslich wirkt sich ein höherer Anteil an Direktzahlungen auch auf das Ausgabenverhalten für Vorleistungen aus. Eine Studie dazu zeigt, dass höhere Anteile der Direktzahlungen am Einkommen tendenziell mit vergleichsweise höheren Ausgaben für Vorleistungen einhergehen.[11]

Die unbeabsichtigten Folgen des Grenzschutzes und die Komplexität des Direktzahlungssystems haben somit diverse Nebenwirkungen, und die Kosten der Agrarpolitik kommen nicht vollumfänglich der Landwirtschaft zugute. Eine wettbewerbsfähigere Landwirtschaft ist langfristig nur möglich, wenn Marktmechanismen vermehrt zum Tragen kommen.

  1. Cerca, M. et al. (2019). []
  2. Loi et al. (2016). []
  3. Logatcheva et al. (2019) und Bokusheva et al. (2019). []
  4. Bokusheva et al. (2019). []
  5. Vgl. Loi et al. (2016). []
  6. Logatcheva et al. (2019). []
  7. Logatcheva et al. (2019). []
  8. Logatcheva et al. (2019). []
  9. Vgl. BLW (2019). Administrative Vereinfachung in der Land- und Ernährungswirtschaft. []
  10. Gentile, Gentile et al. (2019). []
  11. Gentile, Loi et al. (2019). []

Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Yvan Decreux, Larissa Müller, Timothey Nussbaumer, (2019). Unerwünschte Nebenwirkungen in der Agrarpolitik. Die Volkswirtschaft, 25. Februar.