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Schicksalhafte Tragik der Allmende

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Nicht nur Menschen, auch deren intellektuelle Leistungen feiern runde Geburtstage. Vor fünfzig Jahren wurde in der Fachzeitschrift «Science» ein Beitrag eines Mikrobiologen publiziert, dessen Kerngedanke das ökonomische Denken heute noch prägt. Unter dem Titel «The Tragedy of the Commons» (Die Tragik der Allmende) beklagte Garrett Hardin die weitverbreitete Tendenz der Ressourcenübernutzung und zeigte deren folgenschwere Logik anhand eines eingängigen Beispiels auf: Bei der gemeinsamen Nutzung einer Viehweide (Allmende) durch mehrere Bauern bietet die Grasfläche genug Nahrung, solange die Summe der Kühe begrenzt bleibt. Überschreitet diese eine bestimmte Schwelle, wächst das Gras nicht mehr rasch genug nach; es kommt zu einer Übernutzung der Allmende. So weit, so einfach.

Statt dieses Gruppenverhalten moralisch anzuprangern, erklärte Hardin das Phänomen mit dem rationalen Verhalten des Einzelnen: Erhöht ein einzelner Bauer Stück um Stück seinen Bestand, steht ihm der zusätzliche Gewinn des wachsenden Viehbestandes allein zu; die zusätzlichen Kosten der Weidennutzung tragen aber alle anderen Viehhalter mit. «Tragisch» ist in dieser Logik der Anreiz anderer Bauern, dieser Expansionslogik zu folgen und damit unweigerlich den Keim der Übernutzung zu legen.

Hardin nutzte das Bild der Allmende zur Erklärung des damals bedrohlich scheinenden Bevölkerungswachstums und plädierte für eine staatliche Geburtenkontrolle – eine Forderung, die heute einen faden Beigeschmack hat. Die Stringenz der Gedankenführung bleibt aber relevant. Wir nutzen täglich zahlreiche Allmendegüter: gute Luftqualität etwa, Verkehrsachsen im Strassenverkehr, unversehrte Gewässer oder attraktive Reisedestinationen. In der Anonymität der Massen ignorieren viele Menschen, dass ihr Verhalten zur Übernutzung führt. Klimaerwärmung, Stau, Überfischung und «Overtourism» sind logische Folgen. Wie kann solchen Entwicklungen entgegengetreten werden?

Genossenschaften als Vorbild


Im Idealfall lässt sich der Zugang zu Allmendegütern durch Privatisierung beschränken. Der Nutzungsanspruch wird in diesem Fall klar definierten Eigentümern zugeteilt. In Afrika beispielsweise gehören private Safariparks zu den erfolgreichen Formen des Wildtier- und Naturschutzes. In der Regel wird die Nachfrage bei solchen Gütern aber eher durch staatliche Einschränkungen gesteuert. So bezweckt die Raumplanung eine Eindämmung der Zersiedelung; die Gefahr einer Übernutzung von Fischbeständen wird durch die amtliche Vergabe von Fischereipatenten reduziert.

Die Trägerin des Wirtschaftsnobelpreises von 2009, die Amerikanerin Elinor Ostrom, plädierte für eine Art «Dritten Weg»: Allmendegüter können von privaten Gemeinschaften nachhaltig genutzt werden, falls Letztere überschaubar sind und die Mitglieder die Nutzungsregeln bestimmen sowie Regelverstösse sanktionieren können. Anhand von Fallstudien, darunter auch die genossenschaftliche Bewirtschaftung der historischen Bewässerungskanäle im Oberwallis, zeigte sie auf, warum private Verhandlungslösungen nicht vorschnell durch staatliche Regelungen ausgeschlossen werden sollten.

Trotz aller Erkenntnisse bleibt das Problem der Ressourcenübernutzung allgegenwärtig. Ein Patentrezept gibt es nicht. Gerade bei grenzüberschreitenden Herausforderungen wie dem Klima oder dem Schutz der Meere sind Nutzen und Kosten des kollektiven Handelns international ungleich verteilt. Die Kosten der Nutzungseinschränkung fallen je nach Land unterschiedlich hoch aus. Der Nutzen einer weitsichtigen Zurückhaltung hingegen kommt allen zugute. Solche Sachzwänge erschweren eine dauerhafte Einigung auf globale Spielregeln und setzen Anreize für Trittbrettfahren. Anhaltendes kooperatives Verhalten in der anonymen Masse der «Weltgemeinschaft» ist eben ungleich schwieriger zu sichern als in einem Dorf, einem Quartierverein oder einer Genossenschaft mit einer gewissen sozialen Kontrolle. Dies ist die schicksalhafte Tragik internationaler Allmendegüter.

Zitiervorschlag: Scheidegger, Eric (2019). Schicksalhafte Tragik der Allmende. Die Volkswirtschaft, 25. Februar.