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In der Schweiz steht es um den Schutz von Gewerkschaftsmitgliedern nicht zum Besten. Die ILO-Normen wirken solchen Missständen entgegen.
Luca Cirigliano, Dr. iur., Zentralsekretär, Schweizerischer Gewerkschaftsbund (SGB), Bern

Standpunkt

Das 100-Jahr-Jubiläum der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bietet die Gelegenheit, die Bedeutung dieser für die Arbeitnehmenden einzigartigen UNO-Organisation aufzuzeigen. Zentral sind insbesondere die von der ILO geschaffenen und ständig weiterentwickelten Normen: Diese wirken sowohl in der Schweiz – bei der Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention – als auch auf internationaler Ebene bei der Entwicklung der UNO-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung.

Gerade in der Schweiz, wo das aktuelle Kündigungsrecht nicht den ILO-Konventionen entspricht (wie nach einer Beschwerde des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes festgestellt wurde), soll das 100-Jahr-Jubiläum dazu dienen, gesetzliche Verbesserungen für den Schutz von gewerkschaftlich und betrieblich engagierten Arbeitnehmenden einzuführen: für Vertrauensleute in den Betrieben, Mitglieder von Personalkommissionen oder Stiftungsräte von Pensionskassen. Es darf nicht sein, dass sich das ILO-Gastland um verbindliches Völkerrecht foutiert. Hier hat das Bundesgericht im Dezember 2018 mit einem Leitentscheid (144 I 50) zur direkten Anwendbarkeit von ILO-Standards den Weg geebnet für eine längst fällige grundrechtskonforme Auslegung des Schweizer Kündigungsrechts, sollten Bundesrat und Gesetzgeber weiterhin passiv bleiben.

Arbeit ist keine Ware

In Zeiten der Globalisierung, der Digitalisierung und der Herausforderungen durch reaktionäre Politik gewinnt eines der Leitprinzipien der ILO immer mehr an Aktualität: Arbeit ist und bleibt keine Ware. Dies wurde erstmals von der ILO 1944 in der wegweisenden Deklaration von Philadelphia festgehalten – einem der ersten Menschenrechtswerke der UNO-Familie.

Um dieses fundamentale Prinzip gerade im Warenverkehr zwischen Staaten sicherzustellen, muss jedes neue Freihandelsabkommen, welches die Schweiz abschliesst, Mindestbestimmungen in Bezug auf Menschen- und Arbeitsrechte beinhalten. Dafür sind die entsprechenden ILO-Standards einzubauen. Denn es gibt keine nachhaltige, breit abgestützte Globalisierung ohne soziale Gerechtigkeit. Dies gilt besonders für eine offene, vernetzte Wirtschaft wie die der Schweiz.

Die UNO will menschenwürdige und gute Arbeit für alle ermöglichen. Dafür sind die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung mit ihren 169 Unterzielen in der Agenda 2030 festgelegt worden. Sie tragen der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Dimension der nachhaltigen Entwicklung in ausgewogener Weise Rechnung und führen zum ersten Mal Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung in einer Agenda zusammen. Im Kapitel 8 geht es um die Umsetzung unter anderem der ILO-Standards in allen Mitgliedsländern. Hier bleibt immer noch viel zu tun für die Schweiz: Denn auch in der Schweiz geniessen längst nicht alle Arbeitnehmenden die von der ILO garantierten Rechte. So beispielsweise den bereits erwähnten effektiven Schutz gegen missbräuchliche, antigewerkschaftliche Kündigungen.

Zitiervorschlag: Luca Cirigliano (2019). Standpunkt: Die ILO ist zentral für die Schweiz. Die Volkswirtschaft, 25. März.