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Blockchain eröffnet Perspektiven im Gesundheitswesen

Das Gesundheitswesen scheint für den Einsatz von Blockchain-Anwendungen besonders geeignet. So könnte das elektronische Patientendossier dereinst auf dieser Technologie basieren.

Blockchain eröffnet Perspektiven im Gesundheitswesen

Pharmaunternehmen wollen die Blockchain-Technologie im Kampf gegen Produktfälschungen einsetzen. (Bild: Keystone)

Seit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über das elektronische Patientendossier (EPDG) im April 2017 gilt: Teile des Schweizer Gesundheitswesens sollen im Rahmen der E-Health-Strategie umfassend digitalisiert werden. Das elektronische Patientendossier ist eine virtuelle Akte, in der behandlungsbezogene Patientendaten wie Rezepte, Diagnosen oder Laborberichte digital verwaltet werden. Diese Daten sollen allen für die Behandlung relevanten Parteien des Gesundheitswesens – Ärzten, Spitälern, Pflegeheimen, Labors etc. – zugänglich gemacht werden. Durch den vernetzten Austausch soll die Behandlungsqualität der Patienten gesteigert und Informationsverluste verhindert werden.

Das Bundesgesetz bietet für das elektronische Patientendossier lediglich den regulatorischen Rahmen – grundsätzlich sind die verschiedenen Akteure bei der Wahl der konkreten technischen Lösung frei. Aber: Die Zeit drängt. Während die Nutzung des elektronischen Dossiers für die Patienten freiwillig bleibt, müssen Spitäler bis 2020, Pflegeheime bis 2022 zwingend die Möglichkeit einer digitalen Patientenakte anbieten. So buhlen gegenwärtig verschiedene private Anbieter von technischen Lösungen, darunter auch eine Partnerschaft zwischen der Schweizerischen Post und Siemens Healthineers, um die Gunst von Spitälern, Pflegeheimen und Arztpraxen.

Beim Wettbewerb um das beste System rückt die Blockchain-Technologie immer öfter ins Zentrum der Aufmerksamkeit, denn eine der zentralen Anforderungen des EPDG gehört zu den Kernstärken des Blockchain-Prinzips: die dezentrale Ablage und Verwaltung der Daten sowie der Beibehalt der Datenhoheit beim User, in diesem Fall beim Patienten. Eine weitere wichtige Voraussetzung für das elektronische Patientendossier erfüllen sogenannte Smart Contracts. Smart Contracts sind in der Blockchain abgelegte Vereinbarungen, die ausgelöst werden, sobald bestimmte hinterlegte Bedingungen erfüllt werden. Im elektronischen Patientendossier sollen sie dafür sorgen, dass die verschiedenen Leistungsträger im Gesundheitssektor schnell, einfach und transparent – und zur richtigen Zeit – auf die jeweiligen Daten zugreifen können.

Pharmabranche entdeckt Blockchain


Im Schatten der laufenden Debatte zur besten Technologie für das elektronische Patientendossier öffnen sich auch in anderen Bereichen des Gesundheitswesens Perspektiven für die Anwendung von Blockchains. Erst kürzlich hat ein Konsortium aus Vertretern der EU sowie einer Gruppe von Pharmaherstellern[1] unter dem Dach der europäischen «Innovative Medicine Initiative» die Bildung eines neuen Programms mit dem Titel «Blockchain-Enabled Healthcare» bekannt gegeben. Das Konsortium hat sich zum Ziel gesetzt, verbindliche technische Leitlinien für den Einsatz von Blockchain-Lösungen im Health-Sektor festzulegen, vergleichbar mit den technischen Internetstandards des World Wide Web Consortium.

In der Pharmaindustrie stehen vor allem Anwendungen zur Diskussion, die mit der Wertschöpfungskette rund um die Entwicklung neuer Medikamente oder der Lieferlogistik zusammenhängen. So können im Rahmen der Medikamentenentwicklung Blockchain-Protokolle dabei helfen, Patienteneinwilligungen bei klinischen Studien für alle Stakeholder transparent und nachverfolgbar zu verwalten. Die Technologie vermag die Qualität der erhobenen Resultate sicherzustellen. Ein anderes Einsatzfeld betrifft die Organisation und die Plausibilisierung des Prozesses rund um die Einreichung neuer Medikamente bei den Gesundheitsbehörden.

In der Logistikkette rund um das Geschäft mit Medikamenten können passende Blockchain-Lösungen ebenfalls nutzenstiftend eingesetzt werden. Ein Augenmerk gilt dabei der Verifizierung von Medikamenten, die von Apotheken oder Grosshändlern retourniert werden. Und im Kampf gegen Produktfälschungen – ein grosses Problem im Pharma-E-Commerce – sollen transparentere und nachverfolgbarere Produktlieferketten für mehr Vertrauen und Sicherheit sorgen. Gerade angesichts des ansteigenden Onlinegeschäfts mit Medikamenten haben Pharmaunternehmen ein vitales Interesse an wirksamen Lösungen zur Steigerung der Produktsicherheit und zur besseren Kontrolle der Logistikketten.

Was machen die Krankenkassen?


Während das Gesetz zum elektronischen Patientendossier den Einblick in die digitalen Daten ausschliesslich für die in der Behandlung involvierten Parteien vorsieht (also für Ärzte, Spitäler oder Pflegeheime), haben Krankenkassen grundsätzlich keinen Zugriff – auch dann nicht, wenn dies der Patient wünschen sollte. Aus diesem Grund arbeiten Krankenversicherungen an eigenen E-Health-Projekten, die unter anderem auch auf Blockchain-Lösungen basieren. Mögliche Anwendungen betreffen beispielsweise die Plausibilisierung, die Abgleichung und die Kontrolle von Versichertendaten. Weitere Projekte haben zum Ziel, den Versicherungsbetrug zu bekämpfen. Andere Lösungen betreffen das Sanktionieren und Belohnen bestimmter Verhaltensmuster der Versicherten. Oder es geht darum, den jährlich anstehenden Krankenkassenwechsel für den Kunden einfacher, schneller und komfortabler zu gestalten.

Egal, ob sie für die sichere Verwaltung von Patienten- und Behandlungsdaten, bei der Optimierung der Lieferkette von Medikamenten, in der Pharmaforschung, bei der Verbesserung krankenkasseninterner Prozesse oder der Optimierung der Kundenerlebnisketten in der Krankenversicherung verwendet wird: Die Blockchain-Technologie kann auf verschiedenen Ebenen dazu beitragen, das Vertrauen in die Digitalisierung des Gesundheitswesen zu stärken und die Qualität der Gesundheitsversorgung spürbar zu steigern.

  1. Novartis, J&J, Bayer, Sanofi, Astra Zeneca, UCB, Pfizer, Novo Nordisk und Abb Vie. []

Zitiervorschlag: Sandro Morghen (2019). Blockchain eröffnet Perspektiven im Gesundheitswesen. Die Volkswirtschaft, 23. April.