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Ruhig Blut bewahren bei Big Data

Das Modell scheint einfach: Wer auf elektronischen Plattformen viele Daten sammelt, diese geschickt auswertet und in ein internetbasiertes Geschäftsmodell integriert, stösst bei den Nutzern auf Begeisterung. Er erhält dadurch täglich Unsummen von Klicks, wird zum Shootingstar der Plattformen und zum milliardenschwer bewerteten Unternehmen. So könnte man verkürzt den kometenhaften Aufstieg der «GAFA»-Firmen Google, Apple, Facebook und Amazon skizzieren. Sie stehen stellvertretend für übermässig erfolgreiche Unternehmen des digitalen Zeitalters – und für eine neue Herausforderung der Wirtschaftspolitik: Wie geht man mit marktdominierenden Internetgiganten um?

Die «Superstarfirmen» haben auch unter Ökonomen eine negative Konnotation. Ihnen wird vorgehalten, sie tendierten aufgrund von positiven Netzwerkeffekten zu marktbeherrschender Dominanz: Je mehr Nutzer eine Plattform hat, desto mehr Daten hat sie zur Verfügung, desto interessantere Leistungen kann sie entwickeln, und desto mehr potenzielle Werbekunden steigen wiederum ein. In der Folge erobert sie so noch mehr Marktanteile. Diese mikroökonomische Sichtweise wird von Makroökonomen um eine kritische Dimension ergänzt: Weil solche Superstarfirmen typischerweise einen relativ geringen Lohnanteil an der Wertschöpfung haben, erodiert mit ihrem Aufstieg auch der Anteil der Löhne am gesamtwirtschaftlichen Einkommen. Und dies könnte die soziale Ungleichheit erhöhen.

Verschiedene Elemente dieser vereinfachten Gedankenführung sind empirisch erhärtet. Das heisst aber nicht, dass die gesamte Argumentationskette richtig ist. Erstens bedeuten mehr Daten nicht zwingend mehr Marktmacht. Das jährlich weltweit produzierte Datenvolumen beträgt zurzeit 33 Zettabyte – das ist die Zahl mit den 21 Nullen. Das tönt beeindruckend, doch relevant ist nicht die Menge, sondern die Qualität. Banken und Detailhändler verfügen über aussagekräftigere Daten als die von mir verwendeten Suchmaschinen. Zudem verlieren Angaben rasch an Relevanz: So sind meine Nutzerdaten von 2017 bereits veraltet. Und schliesslich sind Daten spezielle «Produkte»: Sie sind nicht ausschliessende und nicht abnutzende Güter. Das heisst, dieselben von mir produzierten Daten können von verschiedenen Unternehmen immer wieder erhoben und verwendet werden. Sie müssen nicht zwingend nur auf ein Unternehmen konzentriert sein.

Zweitens ist eine beeindruckende Marktstellung von digitalisierten Unternehmen nicht per se mit beeinträchtigtem Wettbewerb gleichzusetzen. Denn die starke Position spiegelt eben auch den Erfolg eines Geschäftsmodelles. Entscheidend ist vielmehr, dass grosse Marktakteure ihre Stellung nicht missbrauchen, um etwa den Markteintritt neuer Konkurrenten zu erschweren. Und gerade bei digitalen Plattformen sind die Voraussetzungen für potenziellen Wettbewerb grundsätzlich günstig. In Teilbereichen einzelner elektronischer Angebote – wie etwa an Werbeeinnahmen gekoppelte Nachrichtendienste mit Fotoaustausch – befinden sich grosse Plattformen in Konkurrenz. Allein im Markt für Musik- und Filmstreaming gibt es verschiedene erfolgreiche Konkurrenten mit leistungsfähiger Technologie und wertvollen Kundendaten.

Verhältnismässig niedrige Eintrittshürden


Zudem sind die Marktzutrittshürden bei digitalen Geschäftsmodellen grundsätzlich überwindbar. Vereinfacht gesagt: Potenzielle Konkurrenten mit aussichtsreichen Geschäftsideen benötigen für den Markteintritt nur Zugang zu Servern, Datenzentren, Software, Ingenieuren, Businesspartnern und Büroräumen; sie müssen keine industriellen Produktionsanlagen mit hohen Fixkosten aufbauen. Und falls sie nach dem Markteintritt nicht erfolgreich sind, können sie ihre Sachgüter relativ einfach wieder veräussern. Das galt damals auch für Google. Für den Neuankömmling war es deshalb einfach, den damaligen Platzhirsch Altavista als stärkste Suchmaschine zu verdrängen.

Die Wettbewerbsbehörden verfolgen die Digitalisierung der Märkte mit Aufmerksamkeit. Aufgrund der Vielfalt innovativer Geschäftsmodelle richten sie ihr Augenmerk gezielt auf Einzelfälle. Angesichts der dynamischen Entwicklungen üben sie sich bewusst in Zurückhaltung und bewahren ruhig Blut. Denn vermeintliche digitale Problemfälle können sich dank des Wettbewerbs von allein lösen.

Zitiervorschlag: Eric Scheidegger (2019). Ruhig Blut bewahren bei Big Data. Die Volkswirtschaft, 23. April.