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Der Eigenmietwert wird schlechtgeredet. Ein Systemwechsel ohne steuerliche Gleichstellung der Mieterinnen und Mieter hat keine Chance.
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Natalie Imboden, Generalsekretärin, Schweizerischer Mieterinnen- und Mieterverband (SMV), Bern

In den letzten 20 Jahren wurde die Revision der Wohneigentumsbesteuerung fünf Mal an der Urne abgelehnt. Jetzt will der Ständerat den Eigenmietwert erneut abschaffen. Gemäss Bundesverfassung müssen Personen nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteuert werden. Wenn eine Person ihr Vermögen also nicht in ein Haus investieren würde, könnte sie darauf Renditen erzielen, die dann steuerbar wären. Daher müssen Hauseigentümerinnen und -eigentümer die Einnahmen, die ihre Wohnung bei einer Vermietung an Dritte erzielen würde, als Realnutzen versteuern. So wie auch Kost und Logis bei einer Anstellung besteuert werden. Wobei: Je nach Kanton werden nur 60 bis 70 Prozent der realen Marktmiete besteuert. Im Gegenzug können Unterhaltskosten, Schuldzinsen und ausserfiskalische Abzüge für Energiesparmassnahmen abgezogen werden. Fällt der Eigenmietwert weg, dann müssen auch diese Abzüge gestrichen werden. Sonst würden Hausbesitzende grosszügige Steuererleichterungen erhalten. In einem solchen Fall bliebe die Steuergerechtigkeit nur dann gewährleistet, wenn auch Mieterinnen und Mieter ihre Miete bei den Steuern abziehen könnten.

Der Mieterverband (SMV) hat sich offen gezeigt für einen vollständigen Systemwechsel, der die Steuergerechtigkeit nicht tangiert. Doch davon ist der Vorschlag des Ständerats weit entfernt: Abzüge sind auf kantonaler Ebene auch weiterhin möglich, und die Eigentümer werden dadurch gegenüber Mieterinnen und Mietern steuerlich bevorzugt. Zweitens wird als Ausnahme ein zeitlich begrenzter Ersterwerberabzug für neue Hausbesitzer eingeführt, um das Wohneigentum zu fördern. Und drittens haben sich die Tourismuskantone durchgesetzt, sodass selbst genutzte Zweitliegenschaften vom Systemwechsel ausgenommen sind. Die Tourismuskantone wollen so hohe Steuerausfälle verhindern.

Bezahlbare Wohnkosten notwendig

Stichwort Steuerausfälle: Beim heutigen Zinsniveau gibt es bei einem Wegfall des Eigenmietwerts auf Bundesebene Ausfälle von gegen 500 Millionen Franken; bei den Kantons- und Gemeindesteuern sind es rund 1,3 Milliarden Franken weniger. Dadurch fehlen Einnahmen für die Umsetzung der Verfassungsziele in Artikel 108, welche die «Verbilligung des Wohnungsbaus» und die «Verbilligung der Wohnkosten» fordern. Doch gerade diese Verbilligung der Wohnkosten wäre notwendig, wie auch der Mietpreisindex zeigt. Dieser ist zwischen 2005 und 2019 auf 117,6 Punkte gestiegen, obwohl der Konsumentenpreisindex nur auf 103,1 Punkte gestiegen ist. Die Mieten galoppieren der Preisentwicklung davon. Die jüngst vom Parlament beratene Volksinitiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» wird dadurch umso dringender. Denn sie setzt dort an, wo es harzt: nämlich bei der Verfügbarkeit von Bauland für den gemeinnützigen Wohnungsbau. Sie fordert, dass jede zehnte neue Wohnung von gemeinnützigen Wohnbauträgern gebaut wird. Diese Wohnungen sind dank der Kostenmiete langfristig günstiger.

Zurück zum Eigenmietwert: Die ursprüngliche Vorgabe der ständerätlichen Wirtschaftskommission sah vor, dass «im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben keine unzulässigen Disparitäten zwischen Mietern und Wohneigentümern entstehen». Der aktuelle Vorschlag verletzt diese Vorgabe jedoch.

Zitiervorschlag: Imboden, Natalie (2019). Verschrien, aber notwendig! Die Volkswirtschaft, 22. Mai.