Herr Olschewski, trinken Sie privat Mineralwasser?
Ich trinke nur Hahnenwasser. Gutes Hahnenwasser finde ich deutlich besser als Mineralwasser.
Wie beliebt ist Hahnenwasser?
Gut 70 Prozent der Schweizer Bevölkerung trinken Hahnenwasser. Das zeigen unsere Umfragen. Das Hahnenwasser punktet bei der Qualität, beim Preis, bei der Verfügbarkeit und den Umweltauswirkungen. Allerdings trinken Jüngere derzeit vermehrt Mineralwasser oder Softdrinks.
Die Sommer werden immer trockener. Müssen wir uns Sorgen um die Wasserversorgung machen?
Das Trinkwasser geht uns in naher Zukunft nicht aus. Lokal kann es aber im Sommer zu Wasserknappheit kommen – vor allem dort, wo keine ergiebigen Grundwasservorkommen zur Verfügung stehen und wo die Wasserversorgungen nicht regional miteinander vernetzt sind. Dies war im letzten Sommer beispielsweise im Kanton Thurgau und im Kanton Zürich der Fall. Die Gefahr steigt aber auch in den Alpen, weil die Gletscher schmelzen und weniger Schnee zwischengespeichert wird.
Wird der Konsument diese Wasserknappheit spüren?
Das merken in erster Linie die Wasserversorger – der Konsument weniger. Viel früher trifft es die Landwirte, die ihre Felder nicht mehr bewässern dürfen.
Wie hat sich der Wasserverbrauch in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt?
Seit Mitte Achtzigerjahre ist der absolute Verbrauch trotz Bevölkerungswachstum kontinuierlich gesunken. Stark dazu beigetragen haben Spararmaturen in Haushalten wie zum Beispiel wassersparende WC-Spülungen. Auch der Strukturwandel in der Industrie spielt eine Rolle. So sind wasserintensive Zweige wie die Papierindustrie mehrheitlich verschwunden.
Trinkwasser ist ein Lebensmittel. Wie wird die Qualität sichergestellt?
Die Wasserversorger sind für die Qualität verantwortlich. Als Trinkwasserverband unterstützen wir unsere Mitglieder mittels umfassender Ausbildungen und spezifischer Richtlinien bei der Qualitätssicherung. Jeder Wasserversorger muss heute über ein Selbstkontrollkonzept verfügen, wo er mögliche Gefahren identifiziert, beurteilt und Massnahmen ergreift. Der kantonale Trinkwasserinspektor kontrolliert das Konzept und die Anlagen regelmässig.
Trinkwasser wird auch zum Löschen von Bränden verwendet. Ist das nicht unsinnig?
Die Infrastruktur für die Trinkwasserversorgung ist historisch gewachsen und hat heute einen Wert von rund 50 Milliarden Franken. Es wäre unsinnig, ein zweites Verteilsystem zum Löschen aufzubauen. Dasselbe gilt für Toilettenspülungen: Wir spülen das WC mit Trinkwasser – das ist ein grosser Anteil unseres täglichen Verbrauchs. Im Zuge des Klimawandels wird zudem vermehrt Trinkwasser verwendet, um beispielsweise Pflanzen zu bewässern. Dafür könnte man auch Regenwasser verwenden.
Eine Person bezahlt rund 30 Rappen pro Tag für das Trinkwasser und 40 Rappen für die Abwasserentsorgung. Ist der Anreiz nicht schlicht zu gering, um Wasser zu sparen?
Über diese tiefen Preise kann man keinen Hebel erzeugen. Man muss deshalb beim Bewusstsein der Konsumenten ansetzen. Bei wasserintensiven Aktivitäten wie Autowaschen, Gartenbewässern oder Swimmingpool soll vor allem in Trockenzeiten jedem klar sein: Wasser ist ein kostbares Gut, das nicht verschwendet werden darf.
Die Wassergebühren unterscheiden sich je nach Region: Worauf ist das zurückzuführen?
Je vierzig Prozent des Trinkwassers stammen aus Grundwasser und Quellen, zwanzig Prozent aus den Seen. Eine Gemeinde, die über eine Quelle am Berg verfügt, kann das Wasser in einem Reservoir fassen und es ohne zusätzlichen Energieaufwand und Kosten zu den Kunden transportieren. Andere Gemeinden müssen dafür teure Pumpwerke bauen. Der grösste Kostenpunkt ist aber die Erneuerung der Netze: Gesamtschweizerisch werden jedes Jahr 900 Millionen Franken investiert, um die Infrastruktur instand zu halten. Die grössten Unterschiede in den Tarifen entstehen, weil die Gemeinden diese Kosten anders berechnen.
Heisst das, einzelne Gemeinden legen zu wenig Geld für den Unterhalt zur Seite?
Im Durchschnitt sind diese Kosten gut eingepreist. Es gibt aber Ausreisser: Bei Gemeinden mit zu tiefen Gebühren sind die regelmässige Erneuerung und die nachhaltige Entwicklung nicht gewährleistet.
Das Wasser gehört den Kantonen
Wie muss man sich das vorstellen: Rosten die Rohre?
Metallische Leitungsrohre können durch Korrosion Schäden erleiden, wodurch Wasser austritt. Der gesamte Wasserverlust in der Schweiz beträgt 13 Prozent.
Wem gehört eigentlich das Wasser?
Das Wasser gehört den Kantonen. Der Thunersee gehört beispielsweise dem Kanton Bern. Auch die unterirdischen Grundwasserströme sind in Kantonsbesitz. Gemeinden bezahlen dem Kanton für die Nutzung Konzessionsgebühren. Kleinere Quellen, die nicht von öffentlichem Interesse sind, gehören jedoch den Landeigentümern. Die Versorgungsinfrastruktur wiederum ist in den Händen der Wasserversorger.
Die Wasserversorgung in der Schweiz ist kleinräumig organisiert. Macht es Sinn, wenn jedes Dorf für seine eigene Wasserversorgung zuständig ist?
Die Struktur hat historische Gründe. Heute findet ein Umdenken statt: Im Kanton Thurgau habe ich zum Beispiel kürzlich einen Workshop zur regionalen Trinkwasserplanung moderiert. Das Projekt wurde vom Kanton initiiert – anfänglich mit wenig Verständnis der Gemeinden. Die Trockenheit vom letzten Jahr führte zu einem Umdenken – die Bereitschaft zur Zusammenarbeit stieg. Das Projekt zeigte: Es gibt Gemeinden, die genügend Wasser haben, um Nachbargemeinden zu versorgen. Nun müssen Leitungen gebaut werden, um die Systeme zu vernetzen. Das ist technisch meist gar nicht so aufwendig – man muss es einfach zulassen.
Inwiefern sind technologische Entwicklungen bei Fusionen ausschlaggebend?
Das ist ebenfalls ein Treiber. Gerade in kleinen Gemeinden fehlt es oft an Know-how. Manche können sich keinen vollamtlichen, professionellen Brunnenmeister leisten. In solchen Fällen kann es sinnvoll sein, mit der Nachbargemeinde zusammenzuarbeiten. Als Trinkwasserverband unterstützen wir die Professionalisierung der Branche aktiv.
Gibt es auch private Firmen, die diese Dienste anbieten?
Die grössten ausgegliederten Wasserversorgungsunternehmen sind im Besitz der öffentlichen Hand. In diesem Bereich gibt es eine beachtliche Dynamik – gerade in der Romandie. Hinzu kommen private Sanitärbetriebe, die Brunnenmeister anstellen und Aufgaben für die Wasserversorgung ausführen. Die Digitalisierung spielt ebenfalls in die Hände der externen Anbieter: Sie sind effizienter als die lokalen Versorger, wenn es etwa darum geht, Smart-Meter abzulesen, Hydranten und Schieber mit digitalen Messgeräten zu kontrollieren. Die Kehrseite ist: Wenn die Gemeinden zunehmend das Know-how verlieren, können sie weniger gut einschätzen, welche Angebote sie benötigen und was ein angemessener Preis ist.
Wie viel Elektronik steckt in den Wasserzählern und Hydranten?
Wasserzähler sind zusehends digital. Auch im Versorgungsnetz wird die Digitalisierung Einzug halten: In Forschungsprojekten messen Sensoren, ob die Wasserqualität stimmt. So kann man rasch feststellen, wo Verunreinigungen ins Wasser gelangen. Dies ist wichtig bei Unwettern oder Sabotageakten: Wenn jemand eine Leitung öffnet, um Gift einzubringen, erkennen dies die Sensoren sofort.
Wie gut ist die Trinkwasserversorgung vor Cyber-Attacken geschützt?
Aufgrund einer Verwundbarkeitsanalyse des Bundes haben wir einen ICT-Standard für Wasserversorger entwickelt. Das ist keine Fiktion: Im solothurnischen Lostorf löste im letzten Sommer ein Blitzeinschlag einen Stromausfall aus – was zu einer ICT-Panne in der Abwasserreinigungsanlage führte. Darauf floss Abwasser in die Aare und von dort über eine Grundwasserfassung ins Trinkwassernetz. Lostorf musste das Wasser abkochen. Es geht also nicht nur darum, Hackerangriffe abzuwehren, sondern auch darum, Mängel im System zu beheben. Dabei ist es nicht mit einer einmaligen Investition getan, sondern die Sicherheitsmassnahmen müssen im Alltag gelebt werden. Bereits ein einziger unvorsichtig eingesetzter USB-Stick kann Folgen haben.
Auf Bundesebene gibt es keine klare Wasserstrategie. Warum?
Es gibt Vorschläge. Jemand muss nun die Umsetzung an die Hand nehmen. Der Föderalismus bremst aber diesen Prozess. Aus meiner Sicht sind vor allem Kantone und Gemeinden gefordert. Aber auch die Wirtschaft müsste ein Interesse haben, wie die regionale Wasserversorgung in Zukunft aussieht. Im Verkehr und in der Siedlungsplanung gibt es Agglomerationsprogramme: Warum gibt es kein entsprechendes Impulsprogramm für Wasser? Wir müssen heute die Entscheide treffen, damit wir in zwanzig Jahren über die nötige Infrastruktur verfügen.
Privatisierung macht wenig Sinn
Der grösste Teil der Wasserversorgung gehört der öffentlichen Hand. Mancherorts ist sie jedoch in Privatbesitz. Warum?
In einigen Dörfern gibt es Wasserkorporationen. Das sind private Vereine, die vor mehr als 100 Jahren Geld in die Wasserversorgung investierten. Im Kanton St. Gallen ist diese Rechtsform beispielsweise heute noch verbreitet. Es gibt aber auch Aktiengesellschaften: In der Stadt Zug liefert ein privates Versorgungsunternehmen das Wasser.
Kann die Wasserversorgung effizienter von Privaten erbracht werden?
Dafür gibt es keine Hinweise. Die Qualität der Wasserversorgung ist sehr hoch und preiswert – wir erhalten kaum Beanstandungen des Preisüberwachers. Privatisierung macht auch wenig Sinn, da man keinen Gewinn erwirtschaften darf und die Wasserversorgung ein natürliches Monopol ist.
In den Schutzzonen rund um die Wasserfassungen gibt es Nutzungskonflikte: Es verlaufen Strassen und Bahnlinien in der Nähe von Wasserfassungen. Inwiefern ist das ein Problem?
Verkehrsanlagen gehören nicht in die innersten Schutzzonen. Ein Transportunfall, bei dem giftige Stoffe auslaufen, kann eine Grundwasserfassung auf Jahre hinaus unbenutzbar machen.
Können Sie ein Beispiel geben?
In der solothurnischen Gemeinde Schönenwerd gab es ein altes Pumpwerk namens Spitzacker. Als die SBB mit der Planung des Eppenbergtunnels begannen, gab der Kanton keine Konzession mehr, da die Bahnlinie zwischen Olten und Aarau praktisch über das Pumphäuschen führt. Nur: In der Gemeinde Schönenwerd gibt es keinen anderen geeigneten Standort für eine Wasserfassung. Gemeinsam mit den Nachbargemeinden hat man nun eine Lösung gefunden. Ein anderes Beispiel ist Oensingen: Dort ist der Nitratgehalt im Wasser zu hoch – der einzig mögliche Standort ist eine Wiese, an der auch ein Fleischverarbeiter interessiert ist. Da muss man sich nun entscheiden, welche Nutzung man will. Gemeinden müssen geeignete Flächen für die Trinkwasserversorgung unbedingt frühzeitig in ihrer Raumplanung sichern.
Als Konsument hört man nicht gerne, dass der Nitratgehalt zu hoch ist. Welche Gefahr geht von Düngern und Pestiziden aus?
Wenn die Fassung ungenügend geschützt ist, können Nitrat aus Düngern und Pflanzenschutzmittel im Grundwasser über grosse Distanzen verfrachtet werden und ins Netz gelangen. Nitrate und Pestizide sind im Trinkwasser unerwünscht. Einige Grundwasserfassungen mussten deswegen geschlossen werden. Der Einsatz von Pestiziden und Düngern im Umkreis der Fassungen muss verboten – oder zumindest stark reduziert – werden.