Der Sommer 2018 hat es auf den dritten Platz der heissesten Sommer seit Messbeginn im Jahr 1864 geschafft. Aber nicht nur die Rekordtemperaturen machen den letztjährigen Sommer zu einem aussergewöhnlichen Ereignis, sondern auch der Regenmangel: Es fehlte der Regen von zwei bis drei Sommermonaten. In der Folge führten viele Schweizer Flüsse und Seen weniger Wasser als normalerweise zu dieser Jahreszeit. Zwar mochte niemand offiziell von einer Wasserknappheit sprechen, trotzdem wurden teilweise lokale Einschränkungen der Wassernutzung erlassen – etwa für die Bewässerung von Grünflächen –, und vielerorts machten gut gemeinte Tipps, wie der Wasserverbrauch im Haushalt gesenkt werden könnte, die Runde.
Das Beispiel des Hitzesommers 2018 zeigt insbesondere eines auf: Wasser ist ein knappes und wertvolles Gut, um dessen Nutzung Konflikte entstehen können. Wasser wird nicht nur im Haushalt – zum Trinken, Duschen, Spülen und Waschen – gebraucht, sondern etwa auch zur Bewässerung in der Landwirtschaft, zur Energieproduktion oder für industrielle Prozesse. Zwei Fragen stellen sich in diesem Kontext: Wem gehört eigentlich das Wasser, und wie sollen allfällige Nutzungskonflikte gelöst werden?
Die erste Frage lässt sich für die Schweiz relativ einfach beantworten. Zwar gelten kleinere Wasserquellen als Bestandteil von Grundstücken und gehören damit dem Grundstückeigentümer; alle anderen Wasservorkommen sind hingegen öffentlich. Der allergrösste Teil des Wasservorkommens in der Schweiz unterliegt somit der Hoheit der Kantone, die auch die Verantwortung für die Koordination der unterschiedlichen Nutzungsinteressen tragen. Dabei gibt es hierzulande sicherlich einen Konsens, dass jedermann Zugang zu sauberem Trinkwasser haben sollte, auch wenn kein eigentlicher Rechtsanspruch besteht.
Trinkwasser ist kein öffentliches Gut
Dies bedeutet aber noch lange nicht, dass Trinkwasser ein öffentliches Gut darstellt, das zwingend vom Staat bereitgestellt werden muss. Ein öffentliches Gut definiert sich nämlich dadurch, dass Dritte nicht von dessen Nutzung ausgeschlossen werden können und keine Rivalität im Konsum besteht. Ein klassisches Beispiel eines öffentlichen Gutes ist der Leuchtturm: Er sendet sein Signal unabhängig davon aus, ob dafür bezahlt wird oder nicht («Nicht-Ausschliessbarkeit»), und das Signal wird nicht schwächer, wenn es gleichzeitig von mehreren vorbeifahrenden Schiffen «konsumiert» wird («Nicht-Rivalität»). Gerade Leitungswasser weist diese Eigenschaften jedoch nicht auf. Es ist ein Leichtes, nicht bezahlende Dritte von der Nutzung auszuschliessen, und auch die Rivalität im Konsum ist eindeutig gegeben. Aus ökonomischer Sicht unterscheidet sich Trinkwasser deshalb nicht grundsätzlich von anderen kommerziellen Produkten. Insbesondere in Ländern, wo die Qualität des Leitungswassers schlecht ist, wird Wasser im freien Markt gehandelt. Der Preis ergibt sich dabei als Resultat von Angebot und Nachfrage.
Demgegenüber gibt es in der Schweiz für Trinkwasser keinen freien Markt. Die Versorgung ist fest in der Hand der Gemeinden und erfolgt im Monopol. Mit anderen Worten: Das Wasser muss beim lokalen Versorger bezogen werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Gemeinwesen das leitungsgebundene Trinkwasser gratis abgibt. Vielmehr wird ein Tarif erhoben, der sich für einen Mehrpersonenhaushalt (abhängig vom Wasserverbrauch) jährlich auf mehrere Hundert Franken belaufen kann. Damit wird den Haushalten das Signal übermittelt, dass die Bereitstellung und die Verteilung von Trinkwasser mit Kosten verbunden sind und Wasser ein knappes Gut ist.
Versorgung effizient organisieren
Umgekehrt erwarten die Haushalte, dass ihr Budget nicht übermässig strapaziert wird und die staatliche Trinkwasserversorgung möglichst kostengünstig erfolgt – was in normalen Märkten über den Wettbewerb sichergestellt wird. Dass die öffentlichen Wasserwerke diese Erwartung nicht zwangsläufig erfüllen, zeigen die unzähligen Interventionen des Preisüberwachers: Zwischen 2013 und 2017 beurteilte er rund 140 geplante Tariferhöhungen als unangemessen. Dies führt zur Frage, ob die Wasserversorgung in einem wettbewerblichen Umfeld nicht effizienter erbracht werden könnte und ob diese gegebenenfalls nicht auch für Private geöffnet werden sollte.
Aus ökonomischer Sicht handelt es sich beim überwiegenden Teil der Wertschöpfungskette – Gewinnung, Speicherung, Aufbereitung, Verteilung, Abführung und Reinigung – um ein natürliches Monopol. Das heisst: Es ist nicht kosteneffizient, wenn mehr als ein Anbieter eine lokale Infrastruktur wie beispielsweise die Kanalisation erstellt. Da sich die Investitionen nicht anderweitig nutzen lassen, entstehen zudem irreversible Kosten. Wenn sowohl ein natürliches Monopol als auch irreversible Kosten vorhanden sind, spricht man von einem monopolistischen Engpass. Ein solcher liegt insbesondere bei der Wasserverteilung vor, dem weitaus grössten Kostenblock, der rund 80 Prozent aller Investitionen auf sich vereint. Dies bedeutet, dass kein Wettbewerb auf dieser Stufe entstehen kann. Die Ausgangslage ist vergleichbar mit Strom-, Gas- und Schienennetzen.
Paradigmenwechsel in der EU
Die aktuelle, stark öffentlich geprägte Struktur der Schweizer Wasserversorgung entspricht der im letzten Jahrhundert dominierenden Sichtweise, dass die öffentliche Hand in den Netzindustrien die gewünschte Versorgung selbst erbringen soll («Eigenerbringung»). Die in der Europäischen Union seit dem Ende der Achtzigerjahre stufenweise einsetzenden Liberalisierungen der Netzindustrien führten zu einem Paradigmenwechsel: Der Staat erbringt den Service public nicht mehr selbst, sondern gewährleistet dessen Erbringung («Gewährleistung»). Dabei können sowohl private als auch öffentliche Unternehmen mit der Leistungserbringung beauftragt werden.
Um sicherzustellen, dass die politisch gewünschte Versorgung erbracht wird, setzt der Staat eine unabhängige, in der Regel sektorspezifische Regulierungsbehörde ein. Diese überwacht die mit der Versorgung beauftragten Unternehmen. Im Detail zu regulieren sind unter anderem die Preise, um eine missbräuchliche Abschöpfung von Monopolrenten zu verhindern. Dabei bleibt der Staat im Sinne eines «Server of Last Resort» in der Verantwortung: Er reguliert nicht nur den Service public, sondern muss diesen auch gewährleisten und im Falle einer Unterversorgung eingreifen.[1]
Für beide Modelle – Eigenerbringung und Gewährleistung – gibt es bei der Wasserversorgung sowohl gute als auch schlechte Beispiele. In Berlin etwa wurde 2011 die Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe beschlossen, ein Schritt, der unter anderem mit steigenden Wasserpreisen nach der Privatisierung im Jahr 1999 begründet wurde.
Ein positives Beispiel für das Gewährleistungsmodell findet sich in nächster Nähe: Die Wasserwerke Zug, die zu rund 70 Prozent in privater Hand sind, versorgen die Bevölkerung seit 1878 zuverlässig mit Trinkwasser. Trotzdem hat gerade in der Schweiz die Beteiligung von Privaten an der Wasserversorgung bislang einen schweren Stand. Dies zeigte sich jüngst erneut im Kanton Zürich, wo ein vorsichtiger Versuch einer Neuregelung des Wasserwesens an der Urne daran gescheitert ist, dass künftig Minderheitsbeteiligungen von Privaten an der Wasserversorgung möglich geworden wären.
Eigenerbringung oder Gewährleistung?
Beim Entscheid, in welchem Modell die Wasserversorgung letztlich erbracht werden soll, sind mehrere Erwägungen zu berücksichtigen. Aus ökonomischer Sicht haben private Unternehmen, die ihren Gewinn maximieren, stärkere Anreize zur kosteneffizienten Leistungserstellung. Gleichzeitig haben sie aber auch grössere Anreize zu Preiserhöhungen. Die Preisregulierung ist denn auch in monopolistisch geprägten Märkten eine besondere Herausforderung. In der Regel wird von einer reinen Kostenregulierung abgesehen, bei der höhere Kosten automatisch höhere Tarife ermöglichen, da dies Anreize für eine Überkapitalisierung schafft. Dieser Effekt wird auch als «Averch-Johnson-Effekt» oder als «Goldplating» bezeichnet. Ein plakatives Beispiel: Die Anschaffung eines teuren Kunstwerks erhöht die Kapitalkostenbasis und würde entsprechend höhere Tarife erlauben.
Vor dem Hintergrund sind in der jüngeren Vergangenheit vermehrt Anreizregulierungen eingeführt worden, bei denen Erlös- oder Preisobergrenzen auf Jahre hinaus im Voraus festgelegt werden. So können Anreize für Kosteneffizienz geschaffen und gleichzeitig die Preise stabilisiert werden. Dabei muss im Auge behalten werden, dass für Private kein Anreiz entsteht, durch die Rückhaltung von Erneuerungsinvestitionen in die Wasserinfrastruktur, die grösstenteils «unsichtbar» unter dem Boden ist und teils hohe Nutzungsdauern von bis zu 100 Jahren aufweist, kurzfristig möglichst viele freie Mittel abzuschöpfen.
In dem Zusammenhang bestehen bei der privaten Erbringung latente Hold-up-Probleme: Das heisst, der gewährleistende Staat ist auf das private Unternehmen, das den monopolistischen Engpass besitzt, angewiesen und kann bei Bedarf nicht einfach auf ein anderes Unternehmen ausweichen. Als aktuelles Beispiel kann das Skigebiet Crans-Montana herangezogen werden, wo der Eigner kurzerhand die Bahnen abstellte, um den strittigen Förderbeitrag der Gemeinde zu erhalten. Auch bei staatlichen Ausschreibungen von Verkehrskonzessionen werden die Bedingungen oft nachverhandelt.[2]
Die richtige Balance von Kosten-, Preiserhöhungs-, Investitions- und Versorgungsanreizen zu finden, ist eine grosse Herausforderung bei der Regulierung von öffentlichen Versorgungsaufträgen in Netzindustrien. Das Gewährleistungsmodell bedingt eine höhere Regulierungsdichte und eine dichtere Aufsicht als das Eigenerbringungsmodell. Die Einbindung Privater lohnt sich vor allem dort, wo die Ineffizienz der öffentlichen Versorger als besonders hoch eingestuft wird, die Leistungserbringung inklusive Zustand der Anlagen gut beobachtbar und die Wettbewerbsdynamik ausgeprägt ist.
Stimmbürger als Aufsicht
In der Summe kann die lokale öffentliche Eigenerbringung bei der Wasserversorgung durchaus vorteilhaft sein, da einerseits wenig Grössenvorteile bestehen – die Abdeckung von zusätzlichem Gebiet erfordert neue Leitungen – und andererseits intermodaler Wettbewerb auch langfristig ausgeschlossen werden kann, weil es kein Substitut zu Wasser gibt. Voraussetzung sind jedoch wirksame kommunale Corporate-Governance-Strukturen. Wenn etwa Preiserhöhungen von der Gemeindeversammlung vor Ort abgesegnet werden müssen, sind die Stimmbürger, die gleichzeitig auch Eigner und Nutzer sind, gefordert, kurz- und langfristige Motive sorgfältig abzuwägen. Ein etwaiges Goldplating wird eher aufgedeckt als von einer zentralen Behörde. Und: Die Verantwortung für ihren Beschluss tragen die Stimmbürger in jedem Fall direkt. Insofern kann die lokale öffentliche Wasserversorgung auch aus ökonomischer Sicht eine langfristig effiziente Lösung sein.