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Wasserversorgung: In grösseren Räumen denken

Damit die Wasserversorgung in der Schweiz gesichert bleibt, sind jährliche Investitionen von Hunderten Millionen Franken nötig. Gerade kleinere Versorger geraten unter Druck.
Die grossen Städte haben sich gegen Wasserknappheit abgesichert. Arbeiter verlegen Wasserleitungen in Basel. (Bild: Keystone)

Die Schweiz gilt zu Recht als Wasserschloss Europas. Wir sind mit Ressourcen gesegnet, von denen andere Länder nur träumen können. Für die Versorgung mit Trinkwasser etwa brauchen wir gerade mal 5 Prozent der jährlichen Niederschlagsmenge – von jenem Teil, präziser gesagt, der nicht sofort abfliesst oder verdunstet. An dieser privilegierten Situation werden auch die Folgen des Klimawandels grundsätzlich wenig ändern. Zwar wird es vermehrt zu saisonalen und regionalen Verknappungen kommen wie während der anhaltenden Hitze- und Trockenphase im Sommer 2018, doch mengenmässig wird unser Land auch in Zukunft keine Wassersorgen haben. Dies nicht zuletzt, weil wir mit den zahlreichen Seen im Mittelland und den grossen Grundwasservorkommen über grosse Speicher verfügen.

Je rund 40 Prozent des Trinkwassers stammen aus Quellen und aus dem Grundwasser – knapp ein Fünftel wird aus den Seen gewonnen. Am einfachsten ist die Trinkwassergewinnung bei Quellen: Wegen des Gefälles fliesst das Wasser von allein in die Reservoire. Demgegenüber sind beim See- und Grundwasser Pumpen nötig.

Die Aufbereitung des Rohwassers ist in den meisten Fällen mit wenig Aufwand verbunden. Über 40 Prozent des genutzten Quell- und Grundwassers müssen gar nicht behandelt werden, und bei weiteren 30 Prozent reicht eine Desinfektion mittels Ultraviolettbestrahlung. Mehrstufig aufbereitet werden knapp ein Drittel des Quell- und Grundwassers sowie das gesamte Seewasser. Nicht zuletzt dieser relativ einfachen Aufbereitung wegen verfügt Schweizer Leitungswasser im Vergleich zu Mineralwasser über eine ausgezeichnete Ökobilanz: Betrachtet man den gesamten Lebenszyklus von der Wasserförderung bis hin zum Konsum im Haushalt, belastet das Hahnenwasser die Umwelt rund 500 Mal weniger als Mineralwasser.

Wasserverbrauch nimmt ab


In der Schweiz ist die Wasserversorgung traditionell eine Aufgabe der öffentlichen Hand – und wie beispielsweise die Abstimmung über das Wassergesetz im Kanton Zürich Anfang 2019 gezeigt hat, liegt der Bevölkerung viel daran, dass das auch in Zukunft so bleibt. Ein weiteres Merkmal der Wasserversorgung ist ihre dezentrale Organisation auf kommunaler Ebene. Verteilt über das ganze Land, existieren über 2000 öffentliche Wasserversorgungsbetriebe. Rund 90 Prozent sind kleinere Versorger, die das Wasser an jeweils weniger als 5000 Menschen liefern. Lediglich in den Grossstädten Genf, Zürich, Basel, Lausanne, Bern und Winterthur umfasst das Einzugsgebiet mehr als 100’000 Einwohner. Zusammen setzen die sechs städtischen Versorger jährlich Wasser im Umfang von rund 250 Millionen Kubikmeter um. Dies entspricht etwa dem Volumen des Hallwilersees. Die Hoheit über die Nutzung der Trinkwasserressourcen liegt bei den Kantonen, die den Gemeinden dazu langfristige Konzessionen erteilen.

Bis 1970 ist der Wasserverbrauch der Schweiz kontinuierlich gestiegen. Danach stagnierte er, und seit 1985 hat er trotz Bevölkerungswachstum leicht abgenommen. Der rückläufige Konsum hat verschiedene Gründe: Unter anderem werden in Neubauten wassersparende Armaturen eingebaut. Zudem benötigen moderne Waschmaschinen und Geschirrspüler deutlich weniger Wasser. Auch die Industrie hat ihren Verbrauch gesenkt, unter anderem, weil stark wasserkonsumierende Produktionsstätten wie etwa die Papier- und Kartonherstellung aus der Schweiz verschwunden sind.

Im Jahr 2013 verbrauchte eine Person im Durchschnitt 309 Liter pro Tag. Davon entfallen 142 Liter auf die Haushalte und 167 Liter auf Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft. Allerdings stammt bei Letzteren der grösste Teil dieses Wassers nicht von der öffentlichen Wasserversorgung, sondern aus konzessionierter Eigenförderung. Aufgeteilt nach Branchen, steht beim Wasserbedarf die Landwirtschaft an erster Stelle, nur unwesentlich weniger Wasser verbraucht an zweiter Stelle die chemische Industrie.

Das Image von Leitungswasser ist ausgezeichnet, wie Befragungen des Schweizerischen Vereins des Gas- und Wasserfaches (SVGW) zeigen. Mit gutem Grund: Die Trinkwasserversorgung in der Schweiz funktioniert reibungslos, und das Wasser ist von hoher Qualität. Das ist alles andere als selbstverständlich, denn die Wasserversorgung steht vor grossen Herausforderungen – auch wenn das in der Öffentlichkeit und der Politik kaum zur Kenntnis genommen wird. Damit Qualität und Verfügbarkeit von Trinkwasser gesichert bleiben, braucht es insbesondere beim Schutz der Trinkwasserressourcen sowie bei der Erneuerung und Vernetzung der Wasserversorgungsinfrastruktur grosse Anstrengungen. Dabei gilt es über die Gemeindegrenzen hinauszudenken: Die Wasserversorgung wird so zusehends zu einer regionalen Aufgabe.

Schutzzonen unter Druck


Eine Gefahr für Trinkwasserfassungen sind beispielsweise lecke Abwasserleitungen, der Einsatz von Gülle und Pestiziden, Unfälle mit Tanklastwagen oder schnell versickerndes verschmutztes Regenwasser. Um zu verhindern, dass die Trinkwasserfassung beschädigt oder das Grund- und Quellwasser bei der Fassung verschmutzt wird, hat der Bund ein Konzept von Schutzzonen geschaffen. Dieses folgt dem Grundsatz: Je näher sich eine Zone bei einer Wasserfassung befindet, desto stärker sind die Einschränkungen. Deshalb ist in der Nähe der Fassungen das Erstellen von Gebäuden und Infrastruktureinrichtungen wie etwa Strassen nicht erlaubt. Ebenfalls untersagt ist das Ausbringen von Gülle. Für die Durchsetzung der Gesetzesbestimmungen sind die Kantone zuständig.

In den vergangenen Jahren sind die Schutzzonen immer stärker unter Druck geraten. In einer Umfrage des Bundesamts für Umwelt (Bafu) aus dem Jahr 2017 haben fast alle Kantone angegeben, dass sie sich in ihren Schutzzonen mit schweren Nutzungskonflikten konfrontiert sehen. Die grössten Probleme aus Sicht der Wasserversorgung sind die sich ausdehnende Siedlungsfläche und die Landwirtschaft. Weil die Schutzzonen zunehmend mit Siedlungen überbaut oder landwirtschaftlich genutzt werden, müssen immer mehr Trinkwasserfassungen aufgehoben werden.

Angesichts dieser Entwicklung ist es oft schwierig, den gesetzlich vorgeschriebenen Schutz durchzusetzen. Als erschwerend erweist sich auch, dass dem Schutzaspekt bei vielen Bauprojekten allzu spät Rechnung getragen wird. Um diese Risiken abzuwenden, muss der Schutz der Wasserversorgung möglichst frühzeitig bei der Planung beispielsweise von Bauprojekten berücksichtigt werden. Hilfreich sind dabei eine weitsichtige Raumplanung und eine vorausschauende Planung von Bauprojekten, die mögliche Nutzungskonflikte im Voraus erkennt. Es gilt aber auch, die vorhandenen Instrumente zum Schutz der Trinkwasserfassungen auch tatsächlich einzusetzen.

Ein zunehmendes Problem für die Qualität des Trinkwassers sind Spuren von Fremd- und Schadstoffen, und zwar hauptsächlich in Ballungsräumen und landwirtschaftlich intensiv genutzten Gebieten. Es handelt sich dabei um besonders langlebige und gleichzeitig sehr mobile Substanzen – vor allem Nitrat und Pflanzenschutzmittel mit deren Abbauprodukten –, die durch den Boden ins Grundwasser gelangen. Wollen wir auch künftigen Generationen eine sichere Wasserversorgung gewährleisten, müssen diese negativen Entwicklungen möglichst schnell gestoppt werden.

Investitionen sind nötig


Eine Herausforderung auf ganz anderer Ebene stellt die für die Wasserversorgung nötige Infrastruktur dar. Der Wiederbeschaffungswert der Wasserversorgungsinfrastruktur ohne Hausanschlussleitungen wird auf rund 47 Milliarden Franken geschätzt (siehe Abbildung). Über zwei Drittel entfallen auf das Leitungsnetz, welches mit einer Länge von über 80’000 Kilometern dem doppelten Erdumfang entspricht. Unterhalt und Ersatz dieser Rohre sind arbeitsintensiv und haben ihren Preis: Im Betriebsjahr 2013 wurden 889 Millionen Franken in die Schweizer Wasserinfrastruktur investiert. Pro Kopf sind das 109 Franken.

Wiederbeschaffungswert der Infrastruktur zur Wasserversorgung (2013)




Im Jahr 2013 betrug der Wiederbeschaffungswert der Wasserversorgungsinfrastruktur in der Schweiz insgesamt 47 Milliarden Franken.


Quelle: Branchenbericht der schweizerischen Wasserversorgung (2015) / Die Volkswirtschaft

Diesen Kosten zum Trotz ist Trinkwasser in der Schweiz ein günstiges Lebensmittel – derart günstig, dass zwei Drittel der Bevölkerung keine Ahnung davon haben, was Hahnenwasser kostet. Zurzeit liegt der durchschnittliche Wasserpreis bei 2 Franken pro 1000 Liter. Deutlich weniger zahlt man zum Beispiel in Stans (50 Rappen). Einiges teurer ist dieselbe Menge Trinkwasser in St. Gallen (rund 2.90 Franken). Der Preis hängt unter anderem davon ab, wie viel Energie für Aufbereitung und Transport verbraucht wird und wie viel in die Erhaltung des Verteilnetzes investiert werden muss.

Künftig muss die Wasserinfrastruktur nicht nur erneuert, sondern gar weiter ausgebaut werden. Viele Kantone streben eine regionale Vernetzung an, wofür es zusätzliche Leitungen braucht. Ziel dieser Anstrengungen ist, das ganze Versorgungssystem widerstandsfähiger zu machen. Die Versorger sollen unter anderem bei lokaler Wasserknappheit auf einen alternativen Bezugsort zurückgreifen können. Die grossen Städte haben sich längst nach diesem Prinzip abgesichert. So sind etwa die Wasserversorgungen von Zürich und Winterthur über eine grosse Leitung miteinander verbunden, und die Stadt Bern bezieht ihr Trinkwasser sowohl aus dem Emmen- wie aus dem Aaretal.

Fachwissen vergrössern


Für eine verstärkte Regionalisierung spricht auch, dass sich bei der Wasserversorgung eine Professionalisierung aufdrängt. Trinkwasser ist ein Lebensmittel und unterliegt deshalb wachsenden Hygiene- und Qualitätsanforderungen, was eine langfristige Planung erfordert. Zudem verlangen auch die Schutz- und Umweltaspekte vermehrt nach Fachwissen, das bei kleinen Wasserversorgern nicht zwingend vorhanden ist. Zum Beispiel bei der Überwachung des Trinkwassers auf Rückstände von Pflanzenschutzmitteln oder bei der Cybersicherheit. Gerade kleinere Gemeinden tun sich aber schwer damit, beim Trinkwasser mit anderen zusammenzuspannen. Wasser ist ein hoch emotionales Gut, und deshalb ist bei der Wasserversorgung die Unabhängigkeit vielerorts erstes Gebot.

Es zeichnet sich jedoch ab, dass kleine Gemeinden künftig aus finanziellen Gründen zu einer Zusammenarbeit gezwungen sein könnten. Im Gegensatz zu grossen Versorgern verkaufen sie ihr Wasser nämlich tendenziell zu günstig und sind deshalb oft nicht in der Lage, die nötigen Rückstellungen für Investitionen zu machen.

Die Wassertarife unterscheiden sich in der Schweiz allerdings nicht nur der unterschiedlichen Preispolitik wegen. Einen Einfluss auf die Gestehungskosten haben auch Faktoren wie die unterschiedliche Topografie oder das Verhältnis zwischen der Anzahl Bezüger und der Länge des Leitungsnetzes. Auch ungeachtet äusserer Einflussfaktoren lassen sich die Preise häufig nur schlecht vergleichen. Die Wasserrechnung setzt sich aus einer fixen Grundgebühr und einem variablen Mengenpreis zusammen, wobei mancherorts auch die Gebühren für die Wasserentsorgung enthalten sind. Diese unterschiedlichen Verrechnungssysteme sind der Transparenz wenig dienlich.

Empfehlungen des Preisüberwachers


Weil Gemeinden in ihren Versorgungsgebieten ein Monopol in der Wasserversorgung haben, sind sie dem Preisüberwachungsgesetz unterstellt. Es schreibt unter anderem kostendeckende Tarife vor. Gleichzeitig verbietet es den Versorgern, mit der Wasserversorgung Gewinne zu erzielen.

Neue Gebühren sind dem Preisüberwacher vorzulegen. Dies sorgt regelmässig für Diskussionen: Manche Versorgungsbetriebe klagen, der Preisüberwacher zeige nicht genügend Verständnis für ihre finanzielle Situation. Es würden keine Tariferhöhungen bewilligt, die Rückstellungen erlaubten. Der Preisüberwacher seinerseits argumentiert, bei der Ausgestaltung der Tarife dürften zwar die Kapitalkosten berücksichtigt werden, doch es gehe nicht an, dass die heutigen Kunden via Rückstellungen für die Kosten der Wasserversorgung von morgen zur Kasse gebeten würden. So würde die Generationengerechtigkeit verletzt. Im Grundsatz aber anerkennt der Preisüberwacher, dass die Wasserversorgungen langfristig geplant und finanziert werden müssen. Daher sind seine Empfehlungen grundsätzlich mit den Anforderungen der Wasserversorger vereinbar.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die grössten Herausforderungen in den nächsten Jahren sind die Finanzierung, Nutzungskonflikte und extreme Wetterperioden. Gefordert sind nicht nur die Wasserversorger, sondern auch der Bund, die Kantone und die Forschung. Nur wenn wir zusammenarbeiten, können wir die Wasserversorgung für die nächsten Generationen sichern.

Zitiervorschlag: Andreas Peter, Michael Schärer, Urs von Gunten, (2019). Wasserversorgung: In grösseren Räumen denken. Die Volkswirtschaft, 22. Mai.