Berichte über chinesische Investitionen schaffen es häufig in die Schweizer Medien. Doch ist die Schweiz wirklich ein attraktiver Investitionsort für Chinesen? Die Antwort des britischen Wirtschaftsmagazins «The Economist» ist: ja. Laut dessen Umfrage bei 110 international tätigen chinesischen Unternehmen ist kein anderes Land in Europa für chinesische Investitionen attraktiver als die Schweiz.[1] Unsere Studie «The Awareness of Chinese Executives about Switzerland as Business Location» aus dem Jahr 2018 relativiert diese Aussage des «Economist». Die Studie besteht aus einer Umfrage und Stichprobeinterviews. 818 chinesische Führungskräfte aus 24 Industriesektoren[2] haben die Umfrage vollständig ausgefüllt. Per Zufallsprinzip haben wir 20 von diesen 818 Befragten für die Folgeinterviews ausgewählt. Durch die Studie haben wir untersucht, wie chinesische Unternehmer die Schweiz wahrnehmen, was sie über die Schweizer Wettbewerbsvorteile und -nachteile wissen, wie sie sich darüber informieren und was die Hindernisse und Vorteile von Investitionen in der Schweiz sind. Die Folgeinterviews helfen uns, zu erfahren, warum die Befragten bestimmte Antworten gewählt haben.
Schweizer Pharma nur wenig bekannt
Das Klischee bestätigt sich: Die Schweiz ist das Land der Uhren. 67 Prozent der Befragten bringen das Image der Schweiz mit Uhren in Verbindung. Laut unseren Folgeinterviews hängt das gute Image der Uhrenindustrie nach Meinung der Befragten ausserdem mit der Schweizer Präzision zusammen. Auch die Umwelt (64%), die politische Stabilität und Neutralität (63%) sowie das Bankgeheimnis (56%), das Bankensystem (48%) und die präzise Schweizer Industrieproduktion (46%) kommen den chinesischen Führungskräften bei der Frage nach dem Image der Schweiz in den Sinn. Obwohl das Bankgeheimnis für ausländische Bürger bereits seit 2014 abgeschafft ist. Die Innovationskraft, welche die Schweiz als wichtigsten Wettbewerbsvorteil vermarktet, verbinden nur 18 Prozent der Befragten tatsächlich mit der Schweiz. Auch das effiziente Schweizer Steuersystem ist nur wenigen bekannt (13%).
Die Antworten auf die Frage nach den bekannten Schweizer Branchen bestätigen dieses Ergebnis: 79 Prozent der Befragten nennen die Schweizer Uhrenindustrie, 46 Prozent die Präzisionsinstrumentenbranche. Nur selten genannt werden andere weltweit führende Branchen der Schweiz wie die Medizintechnik (8%), die Pharmazie und Chemie (12%) sowie der Maschinenbau (3%).
Die Mehrheit der chinesischen Unternehmer (59%) ist der Meinung, dass die Schweiz über das effektivste Bankensystem verfügt. Dieses geniesst in China einen sehr guten Ruf – einen deutlich besseren als die Bankensysteme der USA (29%) und von Singapur (9%). Bei den anschliessenden Interviews stellte sich jedoch heraus, dass die Befragten insbesondere das Schweizer Private Banking meinten.
Freihandel kaum als Vorteil wahrgenommen
Die neutrale Position der Schweiz in der Weltpolitik, ihre politische Stabilität sowie ihr Finanz- und Bankensystem sind bei den chinesischen Unternehmern und Managern hoch angesehen (siehe Abbildung 1). Zudem werden auch Unternehmen mit langer Tradition und bekannter Marke geschätzt und als wertvoll erachtet. Hier zeigte sich erneut, wie wichtig die Reputation der Schweiz ist. Denn oftmals wurde ein Zusammenhang zu den traditionsreichen Schweizer Uhren hergestellt, die beliebte und bekannte Luxusartikel für chinesische Konsumenten sind.
Andere Wettbewerbsvorteile der Schweiz wie die Hochtechnologie, die freie Marktwirtschaft, die Innovationskraft, das ausgezeichnete Bildungssystem, die erstklassige Infrastruktur und das flexible Steuersystem zeigten wiederum enttäuschende Ergebnisse. Überraschend war, dass nur 14 Prozent der Teilnehmer das schweizerisch-chinesische Freihandelsabkommen als einen Investitionsvorteil betrachteten. Überraschend ist dies insbesondere auch deshalb, weil ein Freihandelsabkommen davon lebt, dass es von den Unternehmen effektiv genutzt wird. Diese Einschätzung bestätigt auch eine Evaluierung des Freihandelsabkommens: Sie zeigt, dass nur 42 Prozent der Schweizer Importe aus China und nur 44 Prozent der chinesischen Importe aus der Schweiz das Freihandelsabkommen im Jahr 2017 in Anspruch nahmen.[3] In den Interviews begründeten dies viele chinesische Unternehmen mit Zeitmangel.
Einen gravierenden Nachteil sehen 70 Prozent der befragten chinesischen Unternehmer in der geringen Grösse des Schweizer Markts (siehe Abbildung 2). In den Interviews bemerkten wir allerdings Wissensdefizite hinsichtlich der Stellung der Schweiz in der globalen Wertschöpfungskette. Dies reflektiert die Tatsache, dass chinesische Unternehmen im internationalen Geschäft relativ unerfahren sind und die Schweiz bei der Kommunikation ihrer Stärken eher dezent, wenig konkret, teilweise über falsche Kanäle und mittels wenig relevanter Inhalte agiert. So sind auch die engen Verbindungen der Schweiz zur EU und der erleichterte Zugang zum EU-Markt über die Schweiz vielen chinesischen Managern nur wenig bekannt.
Abb. 1: Schweizer Wettbewerbsvorteile aus Sicht chinesischer Führungskräfte
Anmerkung: Umfrage bei 818 chinesischen Führungskräften in 24 Branchen, Juli 2018.
Quelle: Universität Freiburg / Die Volkswirtschaft
Abb. 2: Schweizer Wettbewerbsnachteile aus Sicht chinesischer Führungskräfte
Anmerkung: Umfrage bei 818 chinesischen Führungskräften in 24 Branchen, Juli 2018.
Quelle: Universität Freiburg / Die Volkswirtschaft
Information der Schweizer Botschaft kaum genutzt
Da viele der befragten Unternehmer nur begrenztes Wissen über die Schweizer Standortfaktoren besitzen, stellt sich die Frage, wie sie sich die relevanten Informationen beschaffen. Dabei zeigt sich, dass das Internet die herausragende Informationsquelle für chinesische Manager bei der Informationssuche zur Schweiz ist. 81 Prozent der Befragten informieren sich so. Freunde, Geschäftspartner und persönliche Netzwerke sind ebenfalls wichtige Quellen (56%). Andere Quellen werden kaum genutzt. Insbesondere Schweizer Regierungsorganisationen und -verbände, wie beispielsweise Switzerland Global Enterprises, Great Zurich Area usw. (6%), die Botschaft (5%) oder die chinesisch-schweizerische Wirtschaftskammer (5%), spielen kaum eine Rolle. Zu diesem Schluss sind auch frühere Studien gekommen.[4] Offenbar kennen also viele Manager die verschiedenen Institutionen nicht, die Informationen zur Schweiz bereitstellen. Zudem misstrauen chinesische Manager – oftmals historisch bedingt – den Informationen von Regierungsorganisationen.
Investitionsinteressen chinesischer Unternehmer
Was sind die Hindernisse, die chinesische Unternehmer davon abhalten, in die Schweiz zu investieren? Die Hälfte der Befragten (52%) gab an, dass fehlende relevante Projekte und Investitionsmöglichkeiten dafür verantwortlich seien. Ein anderer häufiger Grund ist, dass sie die Schweiz derzeit noch nicht in die strategischen Anlageregionen ihrer Unternehmen aufgenommen haben (32%). Zudem existiert bei den chinesischen Führungskräften teilweise ein mangelndes Verständnis des Schweizer Investitionsumfelds und der industriellen Merkmale der Schweiz (31%). Auch hier zeigt sich wieder: Das Wissensdefizit der Befragten ist ein wichtiges Hindernis für Investitionen in der Schweiz.
Es gibt aber auch positive Rückmeldungen: So argumentieren 60 Prozent der Teilnehmer, dass geeignete gute Projekte ihre Unternehmen durchaus motivieren könnten, mögliche Investitionen in der Schweiz genauer ins Auge zu fassen. Ein Drittel der Befragten interessiert sich für Schlüsseltechnologie in der Schweiz (33%) oder könnte sich Investitionen in der Schweiz vorstellen, um von hier aus in den europäischen Markt vorzudringen (32%). Die gut ausgebildeten Fachkräfte (32%), die Marke Schweiz (29%) sowie gute Bedingungen für die Produktion von High-End-Produkten (15%) sind Gründe, welche die Befragten dazu bewegen könnten, in der Schweiz zu investieren. Doch die Anteile der Befragten, die diese Gründe vorbringen, sind bescheiden. Auch hier zeigt sich in den Interviews, dass viele Unternehmer nicht konkret wissen, welche Wettbewerbsvorteile die Schweiz hat.
Schweizer Unternehmergeist mit chinesischer Flexibilität
Die vorliegende Umfrage belegt, dass die meisten chinesischen Geschäftsleute kein ganzheitliches Bild davon haben, wie sich die Schweiz im internationalen Wettbewerb positioniert. Viele von ihnen kennen zudem die Rolle der Schweiz in der globalen Wertschöpfungskette nur ungenügend. Sollte es durch zweckgerichtete Massnahmen gelingen, diese Wissenslücken zu schliessen, ergäben sich für die Schweiz Chancen in der Zusammenarbeit mit China.
Chinesische Firmen und chinesische Investoren tätigen Investitionen in Industrieländern, weil sie nach strategischen Assets und Märkten suchen, um so ihre eigene Konkurrenzfähigkeit zu stärken. Die Schweiz ist durch ihre zentrale Lage, die gute Infrastruktur, das liberale Marktsystem sowie zahlreiche hoch entwickelte Industriecluster ein idealer Standort für international tätige Unternehmen – und somit auch für chinesische Firmen. Schweizer Unternehmergeist mit chinesischer Flexibilität und Kundenorientierung zu kombinieren, könnte beiden Volkswirtschaften neue Chancen eröffnen. Angesichts der aktuell angespannten Lage in der EU und im Euroraum könnte eine Zusammenarbeit mit China die Schweiz resistenter gegenüber Rezessionen in Europa machen. Dabei darf man allerdings eines nicht aus den Augen verlieren: den Schutz von intellektuellem Eigentum.