Handelskontrollen betreffen nicht nur Exportfirmen
Oft ahnungslos: Ingenieurbüros, die technische Unterstützung im Ausland bieten, fallen möglicherweise unter die Handelskontrolle. (Bild: Keystone)
Die Wirtschaftsfreiheit ist als Grundrecht in der Schweizer Bundesverfassung verankert. Sie garantiert jedem Unternehmen, geschäftliche Entscheidungen selbst zu treffen – ohne staatliche Einflussnahme. Das betrifft auch den Aussenhandel. Konkret bedeutet das, dass Unternehmen grundsätzlich ohne vorherige Genehmigung Waren ein-, aus- oder durchführen dürfen. Doch die Wirtschaftsfreiheit ist nicht grenzenlos. Sie kann zum Schutz allgemeiner staatspolitischer Interessen eingeschränkt werden. Etwa wenn eine Bedrohung für die öffentliche Sicherheit vorliegt. Das gilt beispielsweise beim Handel mit Kriegsmaterial, Nukleargütern oder sogenannten Dual-Use-Gütern, die sowohl für zivile als auch militärische Zwecke verwendet werden können. Der Handel mit solchen Gütern unterliegt signifikanten Kontrollen und Restriktionen.
Zudem wird die Wirtschaftsfreiheit beispielsweise eingeschränkt, um Terrorismusfinanzierung und Geldwäscherei zu verhindern. Aufgrund der Zunahme von Kriegen, bewaffneten Konflikten, Piraterie, organisierter Kriminalität und Terrorismus haben Massnahmen zur Handelskontrolle wie Embargos und Sanktionen in jüngster Vergangenheit international an Bedeutung gewonnen.[1] Prinzipiell können derartige wirtschaftliche Zwangsmassnahmen gegen einzelne Personen, Unternehmen, Organisationen oder Wirtschaftszweige sowie ganze Staaten oder einzelne Regionen eines Landes verhängt werden.[2]
Unternehmen müssen sich selbst kontrollieren
Um sich regelkonform zu verhalten, muss jedes Unternehmen wissen, wo die Beschränkungen seiner Geschäftstätigkeit liegen, und diese überwachen. Die Unternehmen sind dazu verpflichtet, vorgängig alle erforderlichen Bewilligungen einzuholen und fortlaufend sämtliche Geschäftsbeziehungen und -transaktionen darauf hin zu prüfen, ob sie zweifelhaft oder auffällig sind.[3] Ergibt die Prüfung Unstimmigkeiten oder wurde keine Bewilligung erteilt, darf keine Geschäftsbeziehung begründet und keine Transaktion durchgeführt werden. Wenn bereits eine Geschäftsbeziehung besteht, muss das Unternehmen diese beenden.
Besonders herausfordernd für die Unternehmen ist, dass in diesem Bereich das Selbstdeklarationsprinzip gilt. Das heisst: Es liegt in der Verantwortung jedes einzelnen Unternehmens, die mit seiner Geschäftstätigkeit verbundenen rechtlichen Einschränkungen zu kennen, wenn nötig proaktiv eine entsprechende Bewilligung einzuholen oder von der Geschäftsaktivität Abstand zu nehmen.[4] Erschwerend kommt hinzu, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen nicht statisch sind, sondern permanent angepasst werden. Zudem sind Umfang und Inhalt der einzelnen Zwangsmassnahmen sehr unterschiedlich und können vielfältige Verbote und Restriktionen enthalten. So umfassen Embargomassnahmen häufig auch Waren und Leistungen, die gewöhnlich nicht der Handelskontrolle unterliegen: etwa die Einfuhr von Äpfeln und weiteren Obstsorten aus der Europäischen Union nach Russland oder Finanz- und Reisebeschränkungen für einzelne Personen und Unternehmen. Verstösse gegen die rechtlichen Einschränkungen können die Legitimität und die Reputation eines Unternehmens nachhaltig schädigen und zu hohen Geld- oder Haftstrafen führen.[5]
Nicht nur Exportfirmen sind betroffen
Die gestiegene Bedeutung wirtschaftlicher Restriktionen führt dazu, dass alle Unternehmen verpflichtet sind, permanent abzuklären, ob ihre Geschäftsaktivitäten davon betroffen sind oder nicht. Die Palette der betroffenen Güter, die unter die Handelskontrolle fallen, ist breit. Der in diesem Zusammenhang häufig verwendete Begriff «Exportkontrolle» ist irreführend, denn er impliziert, dass nur Exportfirmen betroffen sind. Dies ist jedoch nicht der Fall. Handelskontrollrechtliche Pflichten bestehen prinzipiell auch für Unternehmen, die nur im Inland tätig sind. Und zwar dann, wenn sie mit kritischen Gütern, Kunden oder Ländern in Kontakt kommen können, die auf den entsprechenden Sanktions- und Embargolisten stehen. Oder: wenn ihre Güter für kritische Zwecke verwendet werden oder sonstige kritische Situationen auftreten könnten, wie beispielsweise grosse Bargeldzahlungen.[6] Unter Gütern werden hier nicht nur Waren im engeren Sinn verstanden, sondern auch Software und Technologien. Hierzu zählt auch die technische Unterstützung beispielsweise durch Ingenieurbüros oder Universitäten, die etwa mithilfe von Unterlagen oder durch die schriftliche oder (fern)mündliche Weitergabe von Informationen erfolgt. Oder: der Transfer von sensiblen Informationen in eine Cloud etc. Dabei muss sichergestellt werden, dass ein nicht bewilligter Abfluss der Information ins Ausland nicht möglich ist. [7] Aus diesen Gründen ist die Bezeichnung Handelskontrolle zutreffender.[8]
Die handelskontrollrechtlichen Pflichten sind komplex, und es ist für die Unternehmen eine grosse Herausforderung, diesen effektiv und effizient nachzukommen. Das gilt insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Sogenannte Trade-Compliance-Massnahmen unterstützen die Unternehmen dabei, die Vorgaben der einschlägigen Handelskontrollregimes einzuhalten. Gemäss dem Wassenaar-Abkommen für Exportkontrollen von konventionellen Waffen, Dual-Use-Gütern und Technologien sind solche unternehmensinternen Massnahmen zwar nicht zwingend vorgeschrieben, sie werden jedoch dringend empfohlen und können vom Staat angeordnet werden.[9] Die Schweiz hat das getan. Seit der 2016 geänderten Güterkontrollverordnung ist der Nachweis eines «Internal Control Program for Export Controls (ICP)» eine Grundvoraussetzung für die Erteilung einer Bewilligung durch das Staatssekretariat für Wirtschaft für Unternehmen mit Sitz in der Schweiz.[10]
Von vielen Firmen unterschätzt
Die betriebswirtschaftliche Forschung zum Thema Trade-Compliance in KMU ist bislang spärlich. Deshalb hat die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Chur gemeinsam mit Wirtschaftspartnern ein Forschungsprojekt lanciert, das von der Schweizerischen Agentur für Innovationsförderung Innosuisse (ehemals KTI) gefördert wurde. Die Forscher haben untersucht, wie viele Schweizer KMU von den einschlägigen Handelskontrollvorschriften betroffen sind und wie gross das Problembewusstsein bei KMU-Entscheidungsträgern bezüglich der Thematik ist. Ausserdem haben sie analysiert, wie viele KMU über Trade-Compliance-Massnahmen verfügen und welche Faktoren dazu beitragen, dass KMU solche Massnahmen einführen.
Dazu wurde 2017 eine repräsentative Umfrage durchgeführt, an der 289 KMU mit weniger als 500 Mitarbeitenden aus der deutsch- und der französischsprachigen Schweiz teilgenommen haben. Die Umfrageresultate zeigen, dass die Geschäftsaktivitäten von 54 Prozent der befragten KMU potenziell von Vorschriften der Handelskontrolle betroffen sind. Bei den exportorientierten KMU liegt der Wert bei gut drei Vierteln (76%). Bei den binnenmarktorientierten KMU sind es 43 Prozent.
Die empirischen Befunde machen zudem deutlich, dass rund zwei Drittel der befragten exportorientierten KMU ihre Betroffenheit tendenziell unterschätzen. So gehen 62 Prozent davon aus, dass sie davon nicht betroffen sind, obwohl Warnindikatoren darauf hindeuten, dass ihre Geschäftsaktivitäten handelskontrollrechtlich relevant sein könnten. Umgekehrt halten sich nur 3 Prozent für potenziell betroffen, obwohl kein Warnindikator darauf hindeutet. Demzufolge ist sich die grosse Mehrheit der Schweizer KMU nicht über die bestehenden Trade-Compliance-Risiken im Klaren. Vielmehr scheinen Fehleinschätzungen bei den Unternehmen weitverbreitet, oder sie spielen das Problem herunter. Um Verstösse gegen die Handelskontrollvorschriften zu verhindern, ist das Problembewusstsein der KMU-Entscheidungsträger in Bezug auf die einschlägigen Vorschriften und Genehmigungsbestimmungen von grosser Bedeutung. Doch die Umfrageergebnisse zeigen, dass lediglich 28 Prozent der befragten KMU über solides Wissen im Bereich Handelskontrolle verfügen. Das Problembewusstsein ist bei KMU-Entscheidungsträgern also nur gering ausgeprägt.
54 Prozent der KMU haben mindestens eine Trade-Compliance-Massnahme implementiert. Bei den exportorientierten KMU sind es 80 Prozent. Zwischen der Unternehmensgrösse und der Implementierung von Trade-Compliance-Massnahmen besteht ein statistisch signifikanter Zusammenhang. Das heisst, je grösser ein KMU ist, desto umfangreicher ist das jeweilige Trade-Compliance-Programm. Zudem verfügen Unternehmen, die von der Thematik direkt betroffen sind, und solche, die ein höheres Problembewusstsein aufweisen, tendenziell über ein umfangreicheres Trade-Compliance-Programm.
Behörden sollen Informationen bereitstellen
Um Verstösse gegen handelskontrollrechtliche Pflichten zu vermeiden, sollten sämtliche Unternehmen sorgfältig prüfen, welche Trade-Compliance-Massnahmen für sie angemessen sind, und diese implementieren. Denn bei Gesetzesverstössen können sich die Unternehmen nicht hinter mangelndem Problembewusstsein oder ungenügenden Compliance-Vorkehrungen aufgrund knapper Ressourcen verstecken. Die KMU müssen sich daher aktiv mit der Thematik befassen und ein Problembewusstsein entwickeln. Binnenmarktorientierte Unternehmen vernachlässigen das Thema besonders häufig. Sie gehen davon aus, dass es für sie nicht relevant sei. Unkenntnis und mangelndes Wissen können jedoch mitunter zu Gesetzesverstössen führen, wodurch die Unternehmen Gefahr laufen, zu hohen Strafen verurteilt zu werden. Ein angemessenes, proaktives Management der bestehenden Trade-Compliance-Risiken ist deshalb auch für KMU wichtig. Hierzu sollte das Thema deutlich mehr Aufmerksamkeit und Ressourcen von der Geschäftsleitung erhalten. In der unternehmerischen Praxis spielt die organisatorische Ausgestaltung der Handelskontrolle vielfach noch eine untergeordnete Rolle. Häufig ist das Thema auf tiefen Hierarchiestufen, etwa in der Exportabteilung, verankert. Aufgrund der zunehmenden Bedeutung ist zu empfehlen, das Thema Trade-Compliance wie andere Compliance-Themen (z. B. Korruptionsprävention oder Antitrust) auf einer höheren Managementebene anzusiedeln.
Um die Einhaltung der Handelskontrollvorschriften durch die KMU zu erleichtern, sollten die zuständigen Behörden angemessene und leicht zugängliche Informationen anbieten. Und die Selbstverwaltungsorganisationen der Wirtschaft – beispielsweise Industrie- und Handelskammern, Branchenverbände oder der Exportförderverein Switzerland Global Enterprise – sollten ihre Sensibilisierungsaktivitäten zum Thema Trade-Compliance intensivieren. Im Rahmen des Innosuisse-Projektes ist hierzu ein praxisorientierter Leitfaden entstanden.[11] Dieser ist auf Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch erhältlich und kann auf den Websites der HTW Chur, von Switzerland Global Enterprise sowie des Staatssekretariats für Wirtschaft gratis heruntergeladen werden.[12]
- Chipman (2016). []
- Vock (2005). []
- Furrer/Henschel (2017). []
- Böhler-Royett Marcano/Frost (2017). []
- Frey (2012); Böhler-Royett Marcano/Frost (2017). []
- Borocz-Cohen (2014). []
- Frey (2012); Charatsis (2015). []
- Furrer/Henschel (2017). []
- Secretariat of Wassenaar Arrangement (2011). []
- Staatssekretariat für Wirtschaft (2016). []
- Bertsch et al. (2018). []
- Mehr Informationen auf www.htwchur.ch/exportkontrolle. []
Literaturverzeichnis
- Bertsch, L. et al. (2018). Exportkontrolle «in a Nutshell». Der Richtungsweiser für den Quereinstieg, HTW Chur.
- Böhler-Royett Marcano, J., und Frost, S. (2017). Anreiz zur Selbstkontrolle beim Export von Dual-Use-Gütern. In: Die Volkswirtschaft 2017/1-2: 60–62.
- Borocz-Cohen, J. A. (2014). Export Control Proliferation: The Effects of United States Governmental Export Control Regulations on Small Businesses – Requisite Market Share Loss; A Remodeling Approach. In: University of Miami Business Law Review, 23: 225–248.
- Charatsis, C. (2015). Setting the Publication of «Dual-use Research» Under the Export Authorisation Process: The H5N1 Case. In: Strategic Trade Review, 1: 56–72.
- Chipman, J. (2016). Why Your Company Needs a Foreign Policy. In: Harvard Business Review, 94: 36–43.
- Frey, S. (2012). Die fünf weit verbreitetsten Mythen über Exportkontrolle. In: CH-D Wirtschaft, 61: 18–20.
- Furrer, A., und Henschel, P. (2017). Handelskontrollpflichten (Exportkontrollen) schweizerischer Unternehmen am Beispiel der Dienstleister für die Exportindustrie wie Frachtführer oder Spediteure. Jusletter 10. April 2017.
- Secretariat of Wassenaar Arrangement (2011). Best Practice Guidelines on Internal Compliance Programmes for Dual-Use Goods and Technologies.
- Staatssekretariat für Wirtschaft (2016). Firmeninterne Kontrolle der Einhaltung der Exportkontrollvorschriften (Internal Compliance Program – ICP).
- Vock, R. E. (2005). UNO-Sanktionen: Umsetzung in der Schweiz. In: Die Volkswirtschaft 2005/11: 20–22.
Bibliographie
- Bertsch, L. et al. (2018). Exportkontrolle «in a Nutshell». Der Richtungsweiser für den Quereinstieg, HTW Chur.
- Böhler-Royett Marcano, J., und Frost, S. (2017). Anreiz zur Selbstkontrolle beim Export von Dual-Use-Gütern. In: Die Volkswirtschaft 2017/1-2: 60–62.
- Borocz-Cohen, J. A. (2014). Export Control Proliferation: The Effects of United States Governmental Export Control Regulations on Small Businesses – Requisite Market Share Loss; A Remodeling Approach. In: University of Miami Business Law Review, 23: 225–248.
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- Secretariat of Wassenaar Arrangement (2011). Best Practice Guidelines on Internal Compliance Programmes for Dual-Use Goods and Technologies.
- Staatssekretariat für Wirtschaft (2016). Firmeninterne Kontrolle der Einhaltung der Exportkontrollvorschriften (Internal Compliance Program – ICP).
- Vock, R. E. (2005). UNO-Sanktionen: Umsetzung in der Schweiz. In: Die Volkswirtschaft 2005/11: 20–22.
Zitiervorschlag: Hauser, Christian (2019). Handelskontrollen betreffen nicht nur Exportfirmen. Die Volkswirtschaft, 24. Juni.