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Finger weg von der Nationalbank

Finger weg von der Nationalbank

Mittlerweile ist die Geldpolitik zum Retter in aller Not avanciert. Sie soll richten, was Regierungen zuvor versäumt haben. (Bild: SNB)

Die führenden Zentralbanken beeinflussen mit ihrer Geldpolitik sowohl die Finanzmärkte wie auch den realen Wirtschaftsverlauf massgeblich. Dies gilt in besonderem Mass in einer Rezession: Anders als die Finanzpolitik, die staatliche Stimulierungsprogramme mühsam über Steuern oder über zusätzliche Schulden finanzieren muss, kann eine Notenbank einen Wirtschaftsabschwung durch Zinssenkungen abfedern. Mit dem Konzept der quantitativen Lockerung beziehungsweise einem massiven Aufkauf von Staatsanleihen haben die Notenbanken jedoch eine Grenze überschritten, die bisher verpönt war: die Vermischung von Staatshaushalt und Geldpolitik. Gerade in Europa und Japan ist diese Vermischung mittlerweile so stark geworden, dass berechtigte Zweifel an der Unabhängigkeit der geldpolitischen Instanz angebracht werden können. Mittlerweile ist die Geldpolitik zum Retter in aller Not avanciert. Sie soll richten, was Regierungen zuvor versäumt haben. Die Ideen gipfeln in der sogenannten Modern Monetary Theory. Ihr Kerngedanke ist: Der Staat muss sich nicht verschulden oder Steuern eintreiben, wenn er Ausgaben beschliesst – er kann das Geld einfach via Notenbank bereitstellen.

Diese bedenkliche Entwicklung stoppt leider nicht an der Landesgrenze. Auch in der Schweiz wachsen seit einigen Jahren die geldpolitischen Begehrlichkeiten wie das Unkraut im Salatgarten. Die Schweiz soll zum Beispiel über die Schweizerische Nationalbank (SNB) einen Staatsfonds finanzieren, der – je nach politischer Couleur des Promotors – weltweit oder nur in der Schweiz investiert. Oder die Vollgeldinitiative: Sie wollte erreichen, dass die Notenbank jährlich Milliarden an die Bevölkerung verteilt. Wie bei der Modern Money Theory wollten die Initianten die Geldpolitik in den Dienst der Finanzpolitik stellen. Man kann argumentieren, dass solche Allmachtsfantasien in der Schweiz (zum Glück) keine Chance haben. Momentan mag dies zutreffen, doch die Angriffe auf die Unabhängigkeit der Notenbank gehen trotzdem munter weiter. So werden derzeit zwei Initiativen im Parlament diskutiert, die direkte Vorgaben an die SNB formulieren: Gemäss einer Standesinitiative des Kantons St. Gallen sollen Pensionskassen von den Negativzinsen befreit werden. Und eine parlamentarische Initiative verlangt, dass die Nationalbank die Hälfte ihres Eigenkapitals zur AHV-Finanzierung einsetzen soll. Damit rütteln die Parlamentarier an der Unabhängigkeit der SNB.

Inflation rasch ausser Kontrolle


Die Schweiz profitiert seit vielen Jahren von einer Preisstabilität, wie sie nur eine unabhängige Nationalbank sicherstellen kann. Die politische Einflussnahme ist langfristig gefährlich. Die Geschichte zeigt, dass es bei einer Vermischung von Fiskal- und Geldpolitik leicht zu steigenden Inflationsraten kommen kann. Hinzu kommt: Wenn man sich an den kurzfristigen Segen einer Staatsfinanzierung durch die Notenbank erst einmal gewöhnt hat, rückt man nicht einfach wieder davon ab.

Es wäre daher falsch, zu glauben, die Unabhängigkeit der Nationalbank sei ein für alle Mal gesichert. Auch in der Schweiz gibt es immer wieder Vorschläge, die Notenbank in den Dienst der Politik zu stellen. Richtig ist vielmehr, dass die Unabhängigkeit der SNB dauernd erkämpft werden muss.

Zitiervorschlag: Rudolf Minsch (2019). Finger weg von der Nationalbank. Die Volkswirtschaft, 14. Juni.