Exporteure müssen in den «reifen Märkten» digital denken
Die Digitalisierung hat im japanischen Alltag Einzug gehalten. Humanoider Roboter «Pepper» in Tokio. (Bild: Keystone)
Die Globalisierung der Weltwirtschaft schreitet rasant voran. Noch nie haben sich Schweizer Exporteuren so viele potenzielle Absatzchancen geboten. Dank der Digitalisierung und der vierten industriellen Revolution wird der Transport von Waren und Daten immer einfacher. Hinzu kommt eine wachsende, kaufkräftige Mittelschicht in den Schwellenländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens – allen voran in China.
Und dennoch: Die mit Abstand wichtigsten Handelspartner für die Schweiz bleiben «reife Märkte»(siehe Abbildung).[1] Damit sind entwickelte Industriestaaten gemeint, die in der Regel bereits langjährige Handelsbeziehungen untereinander pflegen. So ist die Eurozone nach wie vor der wichtigste Absatzmarkt für die Schweiz: Fast die Hälfte der Exporte entfallen auf die Länder in der Währungsunion. An zweiter Stelle kommen die USA mit etwa 16 Prozent. Zum Vergleich: Der Anteil der Ausfuhren in den Wachstumsmarkt China liegt erst bei rund 5 Prozent. Die Exporte ins Vereinigte Königreich machen knapp 4 Prozent, jene nach Japan und Kanada 3,3 Prozent respektive 1,6 Prozent aus.
Noch immer stammen etwa drei von vier «Exportfranken» aus reifen Märkten. Trotz Weltwirtschaftskrise erzielte die Schweizer Exportwirtschaft in den letzten zehn Jahren zwei Drittel des Schweizer Wachstums in diesen Ländern. Dies ist bemerkenswert, da in diesem Zeitraum insbesondere die Wirtschaft der Eurozone geschwächt war.
Schweizer Exporte nach Markttyp (1988 bis 2018)
Quelle: EZV, Credit Suisse / Die Volkswirtschaft
Kaufkräftig und kulturell nahe
Reife Märkte bilden das Rückgrat des internationalen Geschäfts für Schweizer Firmen. Das gilt beispielsweise für Industrieprodukte. Wie ist das zu erklären? Eine entscheidende Rolle spielt sicherlich die Kaufkraft: Sie macht reife Märkte sowohl für Exporteinsteiger wie auch für erfahrene Exporteure schlicht unverzichtbar und trägt zu einem wesentlichen Teil zum Erfolg der Exportindustrie insgesamt bei. Hinzu kommt die kulturelle Nähe zwischen der Schweiz und den etablierten Industriestaaten. Die Erfahrung zeigt: Kulturelle Differenzen gehören bei einem Markteintritt zu den grössten Barrieren, insbesondere bei Exporteinsteigern.
Trotz Kaufkraft und kultureller Nähe sind Exporterfolg und langfristiges Wachstum in den reifen Märkten aber alles andere als gegeben. Der Wettbewerbsdruck in diesen Märkten ist meist hoch, die Märkte sind gesättigt, und die Konsumenten haben hohe Ansprüche. Zudem müssen Exporteure mit einem vergleichsweise langsamen Exportwachstum rechnen, da der Grundbedarf an Waren und Dienstleistungen grösstenteils bereits gedeckt ist.
Wie also gelingt der erfolgreiche Markteintritt in reifen Märkten? Und wie können Exporteure das Wachstum in diesen wichtigen Märkten aufrechterhalten und vorantreiben?
Auf Schweizer Qualität setzen
Als rohstoffarmes Hochlohnland bleibt der Schweiz im internationalen Wettbewerb kaum eine Alternative, als sich auf qualitativ hochwertige Produkte zu spezialisieren. Ob Pharma, Medizintechnik, Uhren, Präzisionsinstrumente, Maschinen, Elektronikkomponenten, Lebensmittel oder Chemikalien: All diese Exportbranchen stehen im internationalen Geschäft überwiegend im anspruchsvollen Qualitätswettbewerb.
Die hohen Ansprüche der kaufkräftigen Mittelschichten spielen den Schweizer Exporteuren in die Karten. Zudem führt auch die demografische Alterung in den Industriestaaten zu einer grösseren Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Produkten und Dienstleistungen. Davon profitieren namentlich die Pharma- und die Medizinaltechnikunternehmen, wie das Beispiel Japan zeigt. Angesichts der technologischen Neuerungen werden Angebote wie «Telehealth» stark wachsen: Ärzte werden die Patienten vermehrt per Videotelefon beraten, und die Überwachung der Patienten dürfte über Fernsysteme erfolgen.
Innovative Qualitätsprodukte werden in reifen Märkten sowohl im Business-to-Consumer- wie auch im Business-to-Business-Bereich nachgefragt. Für Schweizer Exporteure lohnt es sich, bei der Vermarktung ihrer Produkte auf die Karte «Swissness» zu setzen. Denn diese hat sich überall auf der Welt als Gütesiegel für qualitativ hochwertige Ware etabliert. Wer in reifen Märkten wachsen will, setzt deshalb von der Technologie über die Lieferanten bis hin zum After-Sales-Service auf Schweizer Qualitätsstandards.
Digitalisierung weitet sich aus
Die Digitalisierung erfasst im Eiltempo immer mehr Lebens- und Wirtschaftsbereiche. Eines der augenscheinlichsten Beispiele dafür ist der E-Commerce: Insbesondere in angelsächsischen Ländern wie den USA, Kanada und Grossbritannien, aber auch in asiatischen Märkten wie Japan hat sich das Einkaufen im Internet fest etabliert. In den USA werden beispielsweise bereits 10 Prozent aller Konsumgüter online gekauft – Tendenz steigend. Aber auch im Business-to-Business-Bereich nimmt der Onlinehandel bereits heute einen wichtigen Stellenwert ein. Die Lieferfristen werden immer kürzer und betragen oft nur noch wenige Stunden. Auch die sozialen Medien spielen, etwa bei der Produktvermarktung, eine immer wichtigere Rolle.
Die gerade in reifen Märkten rasant voranschreitende Digitalisierung erfordert eine ständige Anpassung und Weiterentwicklung von Geschäftsmodellen, Unternehmenskultur, Kompetenzen und Prozessen. Für Schweizer Exporteure ist es deshalb unabdingbar, sich vertieft mit den digitalen Trends auseinanderzusetzen. Eine digitale Präsenz des eigenen Unternehmens sowie ein auf das Zielland abgestimmtes digitales Marketing gehören zu den Mindestanforderungen. Die voranschreitende Globalisierung verschärft den Wettbewerbsdruck zusätzlich, da die Zahl der Anbieter steigt.
In den hochmodernen Gesellschaften steigt die Nachfrage nach stetig neuen digitalen Produkten, Prozessen und Dienstleistungen in allen Bereichen stark – sei dies bei Banken, Versicherungen, Rechtsdienstleistungen, Medizin, Bildung, Verkehr, öffentliche Verwaltung, Forschung etc.
Mit der Ausbreitung der Digitalisierung auf immer mehr Lebens- und Wirtschaftsbereiche öffnen sich immer wieder neue Technologie-Nischen. So ist in den USA etwa ein regelrechter Fintech-Boom ausgebrochen. Neue Softwarelösungen für das Finanzmanagement von Privatpersonen und Firmen oder für den Zahlungs- und Überweisungsbereich, beispielsweise basierend auf der Blockchain-Technologie, stehen hoch im Kurs. Aber selbst in klassischen Industrien, wie beispielsweise der Maschinenindustrie, eröffnen sich durch das Internet of Things neue Möglichkeiten.
Für Schweizer Unternehmen gilt es, solche Nischen in den reifen Märkten zu identifizieren und mit innovativen Lösungen zu besetzen. Die Zeichen stehen gut: So gewinnt etwa das sogenannte Crypto Valley in Zug als Zentrum der Blockchain-Industrie immer mehr an Bedeutung. Dank innovativen Technologien bleiben reife Märkte auch in Zeiten reduzierten Wirtschaftswachstums erfolgversprechende Exportmärkte.
Agilität bewahren
Da der Bedarf der anspruchsvollen Kundschaft an Produkten und Dienstleistungen grundsätzlich gedeckt ist, reicht es für den Exporterfolg nicht, das eigene Geschäftsmodell in den reifen Märkten lediglich auf den Kundennutzen auszurichten. Im Zentrum muss vielmehr das Kundenbedürfnis stehen, welches sich von Land zu Land unterscheiden kann.
In der Konsequenz heisst das: Lieferfristen, Serviceleistungen, Marketingmassnahmen und Preismodelle müssen länderspezifisch angepasst werden. Agilität ist zum Erfolgsfaktor geworden und muss in vielen Unternehmen noch tiefer verankert werden.
- Dieser Beitrag basiert auf der «Exportstudie 2019: Reife Märkte». Die Studie wurde von Switzerland Global Enterprise (S-GE) in Zusammenarbeit mit der Credit Suisse realisiert. []
Zitiervorschlag: Silini, Alberto (2019). Exporteure müssen in den «reifen Märkten» digital denken. Die Volkswirtschaft, 24. Juni.
Switzerland Global Enterprise (S-GE) begleitet Unternehmen auf dem Weg in reife und in aufstrebende Märkte. S-GE fördert im Auftrag von Bund und Kantonen Export und Investment und hilft Kunden, neues Potenzial für ihr internationales Geschäft zu realisieren und damit den Wirtschaftsstandort Schweiz zu stärken.